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Menschen mit Behinderung gegen die AfD

"Uns hört nie einer zu"

Menschen mit Behinderung gegen die AfD: "Uns hört nie einer zu"
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 Fotos: Jens Volle 

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Datum:

Eine Menschenkette kann lang werden, eine digitale noch länger: Die Initiative "Oberschwaben ist bunt" ruft dazu auf, Fotos einzusenden für Toleranz und gegen rechts. Am Foto-Aktionstag in Ravensburg fuhr ein ganzer Bus voller Menschen mit Behinderung vor.

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Am frühen Nachmittag sind es schon 350 Bilder. Mindestens, erzählen die beiden Frauen am Fotostand. Gerade stehen da Thomas und seine Freundin von den OWB, den Oberschwäbischen Werkstätten für Menschen mit Behinderung, und lachen in die Kamera. Das Foto wird sich einreihen in die digitale Menschenkette für Toleranz und gegen rechts der Initiative "Oberschwaben ist bunt" aus Ravensburg.

Thomas ist es ernst mit seinem Protest. Er und rund 40 weitere Beschäftigte der Werkstätten sind am Mittag mit Bus, Gruppenleiter:innen und Geschäftsführerin angereist und stehen nun auf dem Gespinstmarkt zwischen Bühne und Stand der deutschen Post, an dem Karten mit antifaschistischem Poststempel versendet werden können. Seine Freundin, erzählt Thomas, sei türkischstämmig, die würde nach den Plänen aus Potsdam abgeschoben, "das wäre schlimm". Seine Partnerin legt ihre Wange an seine Schulter und Thomas drückt sie an sich. "Ich habe Angst, dass Leute ausgegrenzt werden, darum bin ich gegen die AfD", sagt er.

Plötzlich haben sich die halbe Werkstatt-Belegschaft um ihn geschart. Sie erzählen von ihrer großen Angst, dass Menschen mit Behinderung aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, wenn die AfD an die Macht käme. Der Angst, dass die Werkstatt vielleicht geschlossen würde, in der sie ihren Freundeskreis und ihre Aufgaben haben, weil Björn Höcke Inklusion für einen "Irrweg" hält. Dass behinderte Menschen noch mehr an den Rand gedrängt würden, wie das eh schon der Fall ist. Es ist nicht so, dass sie nichts mitbekommen von der Welt, erzählt Betreuerin Tanja Lange. Im Gegenteil, die AfD und die Massendemonstrationen seien ein großes Thema im Betrieb. Die Gruppe hat Protest-Schilder beschriftet und mit Buntstiften ausgemalt, eine andere Gruppe der OWB hat am Vormittag den Getränkestand aufgebaut, Punsch gekocht und das Ganze mit Lichterketten verziert. "Uns hört nie einer zu", sagt Sandra, die vor dem Stand steht, entschieden. "Da muss man was machen."

Keine AfD-Mandate im Kreis Ravensburg

Ob es nun daran liegt, dass Oberschwaben genug olle CDU-Politik zu bieten hat, die sich gegen Flüchtlinge in Sporthallen stemmt, oder ob AfDler hier aus anderen Gründen in Deckung bleiben, ist schwer zu sagen. Ravensburg ist jedenfalls einer der wenigen Landkreise in Deutschland, in dem die AfD in keinem Gremium sitzt – weder im Kreistag, noch im Gemeinderat und auch zur Kommunalwahl diesen Sommer, so berichtet es die "Schwäbische Zeitung", sei bisher weit und breit keine Liste zu sehen.

"Alice Weidel kommt auch nicht mehr nach Ravensburg", sagt Aktivist Made Höld und grinst frech, "die hat keinen Bock mehr auf 'Oberschwaben ist bunt'." Was durchaus sein kann, die Ravensburger:innen um den Aktivisten der linken Szene-Kneipe "Räuberhöhle" machen immer wieder Rambazamba mit lauten und bunten Aktionen.

Vor der Bundestagswahl 2021 beispielsweise schrieb das Bündnis einen Wettbewerb aus: "Alice Weidel gilt als schlecht gelaunteste Politikerin – und damit dies so bleibt, gibt es jetzt den offiziellen Alice Weidel Dubletten-Contest 2021", hieß es im Aufruf. Anlass war das Weidel-Zitat: "Politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte." Ziel der Aktion: Im Vorfeld der damaligen Bundestagswahl möglichst viele "antifaschistische Dubletten auf AfD-Veranstaltungen auftreten zu lassen", die für Verwirrung sorgen sollten. Die Aktion scheiterte letztlich am "unguten Gefühl" der Bewerber:innen.

Am vergangenen Donnerstag geht's vor allem um die Aktion "Digitale Menschenkette für Toleranz und gegen rechts". 2014 ist sie zum ersten Mal gestartet mit etwa 4500 Fotos und unter der Schirmherrschaft von Martin Schulz, SPD, zu dieser Zeit Präsident des EU-Parlaments. Damals gab es die AfD noch in der Weichspül-Version als Anti-Euro-Partei. Zum zehnten Geburtstag 2024, da die AfD sich zu einer ernstzunehmenden faschistischen Gefahr für die Bundesrepublik entwickelt hat, soll die Menschenkette bestenfalls doppelt so lang werden, wünscht sich Made Höld.


Mehr Infos und die Möglichkeit, ein Bild einzusenden, gibt es hier.

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2 Kommentare verfügbar

  • Stefan Weinert
    am 08.02.2024
    Antworten
    Für eine Zeitung, die eine wirkliche Alternative zu den recht oberflächlichen und einseitigen "Kolleginnen" zwischen Flensburg und Freiburg sein will, ist der Bericht "Uns hört nie einer zu" ziemlich schlecht gemacht. Seit nun 35 Jahren wohne ich in Ravensburg, und es gibt neben…
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