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Frauenkulturzentrum Sarah

Mut zum Anpacken

Frauenkulturzentrum Sarah: Mut zum Anpacken
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 Fotos: Jens Volle 

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Datum:

Hier wurde das Private politisch: Das Sarah in Stuttgart, Deutschlands ältestes Frauenkulturzentrum, wird 45 Jahre alt.

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Ende der 1970er-Jahre, als sich die Anti-AKW Bewegung mit ihren größten Demonstrationen auf einem Hoch befand, der erste deutsche Kosmonaut in den Weltraum flog und der RAF-Terror mit der Entführung des Flugzeugs "Landshut" ungeahnte Ausmaße annahm, hatte die Stuttgarterin Odile Laufner das Bedürfnis, "etwas Positives" in die Welt zu setzen.

Frauen hatten damals keinen öffentlichen Raum, um sich untereinander auszutauschen. Deshalb mietete Laufner gemeinsam mit Eveline Linke, Anne Böhme und Marion Storz die linke Seite des Doppelhauses in der Johannesstraße 13. Dort gründeten sie ein Frauenkulturzentrum namens Sarah. Frauen hatten damals gerade erst die Möglichkeit bekommen, ohne die Erlaubnis ihres Mannes arbeiten zu gehen. Der Paragraf 218, der einen Schwangerschaftsabbruch strafbar machte, war lange noch nicht gekippt. Auch im Architekturstudium – Laufner war gerade auf dem Weg zur Architektin – waren Männer überrepräsentiert. Genau das brachte sie, zu der Zeit 27 Jahre alt, auf den Gedanken, einen Ort nur für Frauen zu schaffen.

Innerhalb von nur drei Monaten renovierten die Gründerinnen, zwei davon Architektinnen, das Gebäude. Das prestigevolle Gründerzeithaus war gut an den Nahverkehr angebunden, was die unabhängige Anreise für Frauen leichter machen sollte. "Unser Glück, dass wir vom Fach waren", meint Laufner und lacht. Zuvor war das Landeskriminalamt in dem Gebäude untergebracht, in alten bedrückenden Büroräumen, auch mussten sie Küchen und Bäder neu einbauen. Noch kurz vor der Eröffnung sahen Passantinnen im Vorbeigehen, wie die Frauen auf der Straße den Teppichboden zurechtschnitten. "Die Nachbarrinnen haben gemerkt, wir Frauen packen richtig hier an. In Bezug auf die Größe des Projektes, ein 5-geschossiges Gründerzeithaus zu mieten, waren wir mutig, weil wir von unserem Vorhaben überzeugt waren".

So entstand das Sarah. Ins Erdgeschoss kam ein Café, in die oberen Stockwerke zogen Frauen-WGs. Da es damals besonders wichtig war für Frauen, sich beruflich zu ermächtigen, entstanden auch einige Werkstätten, darunter eine Schreinerei, ein Raum zum Töpfern und ein Fotolabor. Die Bibliothek ist inzwischen vom ersten Stock in den Keller gewandert.

"Müssen wir da dann alle Röcke anziehen?"

Odile Laufner sitzt in ihrem Architekturbüro in Stuttgart-Möhringen. Ihr schwarzes Outfit wirkt schlicht, aber durchdacht, ihr minimalistischer Auftritt verleiht ihren Worten Klarheit. Es passt zu einer Frau, die weiß, was sie will. "Wir hatten einen Antrag auf städtische Förderung gestellt, weil Kultur immer öffentlich gefördert werden muss", erzählt sie. Einige Herren aus dem Stuttgarter Gemeinderat kommentierten dies mit der Bemerkung "Müssen wir da dann alle Röcke anziehen?". Die Förderung hatte letztlich auch eher symbolischen Umfang. Die Eröffnung des Sarah allerdings konnte Baden-Württemberg im Fernsehen, der "Landesschau" des damaligen SDR, verfolgen.

"Beim Austausch miteinander stellten wir fest, dass unsere privaten Erfahrungen nicht nur unserer Individuellen Wahrnehmung entsprachen, sondern häufig von gesellschaftlichen Vorstellungen geprägt und damit politisch waren", erzählt Laufner. "So zweifelten Frauen nicht mehr an ihrer Wahrnehmung der Dinge." Besonders prägend seien die Diskussionen untereinander für sie gewesen: "Zu versuchen, das, was ich im Kopf hatte, in Worte zu fassen", sich selbst als Frau und als politisches Subjekt zu sehen.

In seiner Anfangszeit war das Sarah einzigartig. Unpolitische Frauenräume gab es innerhalb der Kirche. Räume für Lesben waren jedoch selten. In der Subkultur dominierten meist schwule Männer, Lesbenbars hatten es wirtschaftlich so schwer, weil Frauen es wirtschaftlich schwer hatten. So war das Sarah sehr lesbisch geprägt.

Mit den Jahren verbesserte sich die Geschlechterungleichheit in manchen Berufsgruppen, 1997 wurde Vergewaltigung in der Ehe endlich strafbar. Zwei der Gründerinnen wollten dann nach einiger Zeit lieber ein gemischtes Projekt für Frauen und Männer und nicht mehr "nur" für Frauen. Für Odile Laufner und die anderen aktiven Frauen war allerdings damals klar, dass sie das SARAH Kulturzentrum und Café als Frauenräume erhalten und weiter führen wollten.

Viele Themen, über die bis dahin nur in feministischen Kreisen gesprochen wurde, wirkten mittlerweile in die Breite der Gesellschaft hinein.  "Die Frauenbewegung war schon sehr erfolgreich", sagt Odile Laufner stolz "auch wenn das Errungene immer wieder verteidigt werden muss und es noch so viel zu tun gibt bis zu einem wirklich gleichberechtigten Zusammenleben". Die Folge der Verbesserungen allerdings sei gewesen, erinnert sie sich, dass der Staat keine Notwendigkeit mehr für Frauenzentren sah, weswegen Förderungen gestrichen wurden. Viele Frauenzentren verschwanden in der Folge oder öffneten sich den Männern. 

Andere Sessel, gleiche Probleme

Vieles hat sich verändert, seitdem das Sarah eröffnet wurde. Dass Räume für Frauen noch immer notwendig sind, nicht. "Paragraf 218 steht noch immer als Straftatbestand, Gewalt an Frauen steigt weiter, sexuelle Gewalt ist immer ein Thema", sagt Patricia Wolf. Die Hände ineinandergelegt sitzt sie an der langen Tafel im Sarah-Café. Die alten Schalensessel sind verschwunden, gemütlich ist es noch immer. Über ihr hängen farbenfrohe Bilder einer brasilianischen Malerin, die Frauen verschiedener Herkunft porträtiert.

Patricia Wolf engagiert sich seit 2008 im Sarah, begann dort zu kochen und im Café zu helfen. Heute ist sie erste Vorständin des gemeinnützigen Vereins und Frau für (fast) alles. Sie kümmert sich vor allem um Werbung und Vermietungen. Zwar gibt es keine Werkstätten mehr, im Haus wohnen jedoch immer noch Frauen.

Ingrid Keilbach, die zweite Vorstandsfrau, fand ein paar Jahre später zum Sarah. Die 66-Jährige hat etwas Quirliges an sich, im Verein kümmert sie sich jedoch um die eher trockenen Finanzen. Keilbach ist im Lesekreis – den gibt es bereits seit der Gründung. Dort lesen sie in einer Gruppe von etwa zehn Frauen alle möglichen Bücher, meistens feministische, meistens von Frauen. Hin und wieder aber auch von männlichen Autoren, "die schreiben ja auch interessante Sachen, so ist es ja nicht", witzelt Keilbach.

Sie steht in der Sarah-Bibliothek und zeigt das dortige Ordnungssystem. Wie in einer richtigen Bibliothek ist jedes einzelne Buch mit einem Aufkleber versehen, die Bücher sind feinsäuberlich in Themenbereiche gegliedert, sie reichen von der alten Frauenbewegung ab 1800 bis zu Frauengesundheit.

Heute gibt es vier Gruppen und zwei Vereine, die das Sarah regelmäßig als Veranstaltungsort nutzen. Neben dem Lesekreis trifft sich eine Gruppe für Lesben über 30, der Verein der "Spanischsprechenden Frauen in Baden-Württemberg" und der Verein Sisters, der sich für Aussteigerinnen aus der Prostitution stark macht.

Neue Herausforderungen

Das Sarah ist das älteste noch bestehende Frauenzentrum dieser Art in ganz Deutschland. Wenn es um bestimmte Themen geht, merkt man das. Besonders die Generation Feministinnen, für die Alice Schwarzer eine Ikone war, eckt an mancher Stelle bei jungen Feministinnen an. Neue Themen in der feministischen Bewegung von heute, beispielsweise Transgeschlechtlichkeit, sorgen für Konflikte. Denn Alice Schwarzer gilt bei manchen Genz Z Frauen längst nicht mehr als Vorreiterin, sondern eher als TERF (trans exclusive radical feminist).

Im Sarah gibt es kein Zutrittsverbot für Transfrauen, aber das Thema Transgeschlechtlichkeit scheint für die Vorstandsfrauen kein leichtes zu sein. "Mein größtes Problem ist, dass es von allen Seiten keine schlüssige Definition gibt, was eine Frau ist. Wenn eine Transfrau sagt, sie will nicht als Transfrau gesehen werden, sondern einfach als Frau, dann habe ich ein Problem damit", sagt Ingrid Keilbach. "Wir haben ein Schild draußen, da steht Frauen drauf, die Frauen fühlen sich belogen, wenn dann ein Mann da sitzt", sagt Patricia Wolf. Transfrauen als Frauen wahrzunehmen, fällt beiden merklich schwer. Es gibt jedoch Frauenräume, wie das ff*gz, das sich anderen Geschlechtsidentitäten öffnet.

Grenzenloser Feminismus

Das Einbeziehen neuer Frauengruppen funktioniert an anderen Stellen im Sarah ganz natürlich. Als 2015 viele syrische Frauen in Deutschland Schutz suchten, haben sich die zwei Vorsitzenden um Veranstaltungen für Frauen mit Fluchterfahrungen bemüht. Patricia Wolf organisierte sogar eine Dolmetscherin und ging von Unterkunft zu Unterkunft, um vom Kulturzentrum in der Johannesstraße zu erzählen. Vor allem für Frauen aus dem arabischen Raum spielt das Sarah eine besondere Rolle. In ihren Herkunftsländern waren sie es gewohnt, unter sich zu sein und Frauenräume zu haben, erzählt Patricia Wolf. In Deutschland gibt es das selten.

Seit zwei Jahren gehört auch ein internationales Frauencafé zum Sarah dazu. "Das muss sehr niederschwellig sein", betont Ingrid Keilbach. Viele der Frauen sprechen nur schlecht deutsch, verständigen sich mit Händen und Füßen. Die Message des Sarah will sein: "Es ist hier nicht schlimm, wenn ich nicht gut deutsch kann." Jeden dritten Freitag im Monat gibt es zudem eine Radiosendung der Frauen ohne Grenzen (FOG). Dabei sind die beiden Vorsitzenden, die Spanischsprechenden Frauen in Baden-Württemberg, die Organisation Afghanische Frauen Stuttgart und Coexist, ein islamischer Verein. Marjam, eine Frau, die aus Afghanistan geflüchtet ist, erzählte in einer Sendung vom Afghanistan vor der Taliban: "Ihr könnt es euch gar nicht vorstellen, so anders war es."

Auch die Sarah-Selbstverteidigungskurse gibt es nicht nur, um vor sexuellen Übergriffen zu schützen. "Eine Frau kam mal zu uns, da sie sich gegen rassistische Attacken wehren wollte", sagt Patricia Wolf. Den beiden Frauen ist anzumerken, dass ihnen dieses Thema sehr am Herzen liegt. "Ein diverses Angebot zu haben, war immer ein Anliegen von uns", sagt Ingrid Keilbach. Eines gegen Nationalismus und Vorurteile, denn "man muss ja erstmal in Kontakt mit den Menschen kommen, sonst weiß man ja gar nichts über sie".


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