Nach Wolfgang Dauner ist Jazz "überhaupt DAS hervorstechende künstlerische Phänomen des 20. und 21. Jahrhunderts. Der Jazz bedarf deshalb der gleichen Sorgfalt, Pflege, Förderung, auch natürlich Subventionen wie alle anderen Künste – und wir wissen: Die bekommt er nicht." Dauner hat in den 1950er-Jahren an der Stuttgarter Musikhochschule studiert: nicht Jazz, das ging damals noch nicht. 1963 gründete er ein Jazztrio, 1969 die Radio Jazz Group. Scheuklappen hatte er keine: Früh besuchte er die Donaueschinger Musiktage und erwarb 1971, noch vor der Musikhochschule, einen EMS Synthi 100, damals das Nonplusultra der elektronischen Klangerzeugung. Er gestaltete vier Folgen der Kinder-Fernsehreihe "Glotzmusik", schrieb Filmmusik und die Jazz-Oper "Der Urschrei", und war 1976 Mitbegründer des United Jazz and Rock Ensembles.
Damals war die Jazz-Welt in Stuttgart noch in Ordnung. Die Treffpunkt-Jazz-Konzerte des Süddeutschen Rundfunks und ein Jazzclub an wechselnden Orten sorgten für eine gesunde Mischung aus internationalen und ortsansässigen Musikern. Dann allerdings stellte der Rundfunk die Konzertreihe ein, und der Jazzclub-Betreiber Pit Haug musste aus gesundheitlichen und ökonomischen Gründen aufgeben. Für den Jazz in der Landeshauptstadt wurde die Situation komplizierter. Die IG Jazz, 1976 gegründet, war nie in der Lage, zu ihren Stuttgarter Jazztagen internationale Gäste einzuladen. Das Theaterhaus-Jazzfestival konfrontierte seit 1985 Musiker des United Jazz and Rock Ensemble mit etablierten Namen. Avancierter internationaler Jazz ist seit 1981 eher in der Esslinger Dieselstraße zu hören – und in der Manufaktur in Schorndorf.
Bernd Konrad schuf die Basis
In dieser Situation begann <link http: www.mh-stuttgart.de fileadmin downloads sonstiges einzelne_artikel_spektrum der_jazzstudiengang_-_ein_rueckblick__text_bernd_konrad.pdf _blank>Bernd Konrad, an der Stuttgarter Hochschule den Studiengang Jazz aufzubauen: den zweiten in Deutschland. "Da hat man vor exakt 30 Jahren", schimpft Dauner, "in der etablierten Jazzmetropole Stuttgart einen inzwischen weltweit repräsentativen Studiengang Jazz aufgebaut. Nun ist geplant, nach dem Personalienwechsel des Hochschulrektorats sowie unmittelbar nach dem Abgang von Professor Konrad schnell mal den Jazz abzuschieben, damit er ja nicht weiterhin in die Nähe der klassischen Ausbildung gerät. Hier scheint die Lehre des 'europäischen Jazz' noch nicht angekommen zu sein und was es bedeutet, in der Ausbildung den Kontext von Klassik und Jazz unmittelbar zu reflektieren."
Widerstände aus dem Kollegium waren beim Aufbau des Studiengangs ebenso zu überwinden wie das Problem mangelnder Ausstattung und fehlender Probenräume. Die Studierenden griffen zur Selbsthilfe. In Rogers Kiste fanden sie ein Lokal, wo sie an einzelnen Abenden auftreten konnten. Was als Lückenfüller begann, entwickelte sich zum Markenzeichen des Clubs und zum Erfolgsrezept über die Zeit des Kneipiers Atze Gericke hinaus. Setzte sein Nachfolger anfangs mehr auf Rock, so haben sich Jazzmusiker und Publikum das Lokal inzwischen zurückerobert. Ab 1989 lud Julius Pischl zum "Treffpunkt Jazz am Donnerstag" in seinen Buchladen. 100 CDs, zumeist mit lokalen Musikern, hat er in seiner Edition Musikat produziert. An der Geldgier seiner Vermieter ist er nach mehreren neuen Anläufen mit dem früheren Jazzclub-Betreiber Pit Haug am Ende gescheitert.
Seit 2006: das Bix als Zentrum
Was kann Jazz heute bedeuten? Von den Anfängen in New Orleans bis zum Free Jazz der 1960er-Jahre hat die ursprünglich amerikanische Musikrichtung eine rasante Entwicklung durchgemacht. Seither ereignen sich Neuerungen eher in Grenzbereichen, wo die Genrebegriffe versagen. Hier hat auch die Stuttgarter Musikhochschule ihre blinden Flecken. Der Avantgarde-Gitarrist Fred Frith etwa, der bis 1998 in Stuttgart lebte, stieß hier auf schwache Resonanz. Er lehrt seither am Mills College in Oakland und neuerdings in Basel. Improvisation jenseits des Jazz und interkulturelle Begegnungen: Solche neuen Entwicklungen, die bereits <link http: www.nmz.de artikel unverminderte-aktualitaet-von-werk-und-wirken _blank>Erhard Karkoschka brennend interessierten, der 1948 bis 1987 in Stuttgart lehrte, und die Frith etwa mit der Gruppe Clearing Customs vertritt, hat die Stuttgarter Hochschule noch kaum zur Kenntnis genommen.
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Hartmut Zipperlen
am 12.08.2013Leute, wenn ich eine Petition…