Sie wollen Stuttgart zum Tanzen bringen. Gegen Gewalt an Frauen und Mädchen. Sie verstehen sich als Teil einer weltweiten Bewegung, die den Valentinstag umfunktionieren will. Denn ein Blumenstrauß ändert nichts.
Barbara Rolf wird am morgigen Donnerstag auf dem Stuttgarter Marienplatz tanzen. "I rise", verspricht die Aufschrift auf ihrem Kapuzenpulli – aufstehen ist das Motto einer Bewegung, die am Valentinstag zum weltweiten Tanzen gegen Gewalt an Frauen trommelt. Und die Frau aus Degerloch trommelt für Stuttgart. Frauenrechte sind der 36-Jährigen, die heute als Bestatterin arbeitet, immer wichtig gewesen. Doch nun engagiert sie sich zum ersten Mal. Man müsse sich eben entscheiden im Leben, wofür man seine Energie einsetzt, die ebenso begrenzt sei wie die Lebenszeit. Sie engagierte sich in ihrem Beruf und den menschlichen Umgang mit den Toten. "Der Feminismus", sagt sie in ihrem Bestatterbüro zwischen Särgen und tanzenden Götterfiguren, "lief ohne mich wunderbar." Vor einigen Wochen hat Barbara Rolf ihre Meinung geändert.
Da stieß sie über Facebook auf die globale Bewegung <link http: www.onebillionrising.de _blank external-link-new-window>One Billion Rising, war begeistert und musste feststellen, dass das weltweite Aufbegehren in der Schwabenmetropole Stuttgart noch nicht angekommen war. "Das hat mich empört", sagt sie. Das wollte sie nicht hinnehmen.
Also hat Barbara Rolf die Sache selbst in die Hand genommen. Eine "gut vernetzte" Freundin kontaktiert, ob man wohl den Marienplatz für den Stuttgarter Protest bekommen könne. Die Freundin war mit dabei, gemeinsam gewannen sie weitere Mitstreiterinnnen, stellten die Facebook-Seite des Stuttgarter One-Billion-Rising-Ablegers online. Mittlerweile kümmern sich sieben Frauen darum, dass der bunte Protest in Stuttgarts Öffentlichkeit ankommt.
Was da alles auf sie zukommen würde, hat sie nicht gewusst. "Ich werde total überrannt", sagt Barbara Rolf, lacht und zählt auf: eine Bühne organisieren, klären, ob man wegen der bunten Luftballons die Flugsicherung informieren muss, Rednerinnen gewinnen und nicht zuletzt die Frage: Was passiert mit dem Müll? Das alles war Neuland für die Bestatterin, die in ihrem ganzen Leben nur einmal auf die Straße gegangen ist: beim Christopher Street Day.
Immerhin, die Rednerliste kann sich sehen lassen. OB Fritz Kuhn ist verhindert, schickt aber seine Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer. Die grüne Landtagsabgeordnete Muhterem Aras wird sprechen und auch Landtags-Vizepräsidentin Brigitte Lösch hat sofort zugesagt. "Die hat One Billion Rising schon lange im Blick gehabt und wollte sofort mitmachen", lacht Barbara Rolf.
Weltweit sollen Menschen am 14. Februar tanzend gegen Gewalt an Frauen und Mädchen protestieren. Eine Milliarde Menschen wollen sie auf die Straße bringen. Warum? Weil jede dritte Frau weltweit im Lauf ihres Lebens mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt wird. Rechnet man diese Zahl hoch, kommt man auf ebenjene Milliarde Menschen, die nun am Valentinstag ein sichtbares Zeichen setzen sollen. Tanzen statt Blumen.
Die US-amerikanische Künstlerin, Autorin der "Vagina-Monologe" und Frauenrechtsaktivistin <link http: www.eveensler.org _blank external-link-new-window>Eve Ensler hat den Valentinstag vor 15 Jahren zum <link http: www.vday.org home _blank external-link-new-window>V-Day erklärt. V wie Vagina und V wie "Victory over violence". Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist ein weltweites Phänomen. Die meisten Übergriffe finden im privaten Raum statt: Es sind die Freunde, Brüder, Väter, die Gewalt an Frauen zulassen, tolerieren, ausüben. Zum 15. Jahrestag des V-Days hat Eve Ensler sich mit <link http: onebillionrising.org _blank external-link-new-window>One Billion Rising ein weltumspannendes Protestnetz einfallen lassen, damit das Thema den öffentlichen Raum erobert und nicht ins Private gedrängt wird. In 193 Ländern haben sich Frauen zusammengetan. Und dank Barbara Wolf ist der globale Protest auch in der schwäbischen Provinz angekommen.
Den alltäglichen Sexismus hat die Degerlocher Theologin selbst erlebt. Sie hat ihn nie ernst genommen. Nicht die dummen Sprüche von männlichen Kollegen, die befanden, dass Weiber im Bestatterjob nichts verloren hätten. Nicht die Missachtung von Frauen in der katholischen Kirche, in der sie lange Jahre engagiert war. "Man kann mich beschimpfen, anpöbeln, mir Steine in den Weg legen – ich lasse mich nicht einschüchtern", sagt sie. Auch nicht durch die Erinnerung an jenen Mesner, der ihr, als sie 15 war, "die Zunge in den Hals gesteckt hat, ekelhaft", sagt sie.
"Wir tun so, als wäre das normal", assistiert Julia Döbele. Als Sängerin und Stimmpädagogin ist es ihr Job, jenen eine Stimme zu geben, die sonst nicht gehört werden. Es war ihre Idee, der Kundgebung eine Demonstration folgen zu lassen, um noch mehr Öffentlichkeit zu erreichen. Auch für sie ist das feministische Engagement Neuland. Feministin würde sie sich, wie so viele junge Frauen, nicht nennen wollen. "Frauenrechtlerin", das sei ihr lieber, aber eigentlich hat sie wenig Lust, sich in eine Schublade stecken zu lassen. Das Aufbegehren der Frauen in Indien, nachdem die 23-jährige Jyoti Singh Pandey von sechs Männern vergewaltigt und gefoltert wurde und an den Folgen der Tat starb, hat bei Döbele tiefere Spuren hinterlassen als die Brüderle-Debatte. "Ich habe eine unglaubliche Wut im Bauch gehabt und wollte mit dieser Wut etwas Produktives machen." Also vernetzte sie sich über Facebook mit der Stuttgarter One Billion Rising-Gruppe und koordiniert nun alles rund um die Demonstration.
Los geht es am morgigen Valentinstag um 16 Uhr auf dem Stuttgarter Marienplatz. Zuerst kommen die (Gruß-)Worte, dann die Bewegung: Verschiedene Tanzgruppen wollen die Frauen auf Temperatur bringen für <link http: www.youtube.com _blank external-link-new-window>"Break the chain", den Song zum bewegten Aufbegehren. Die Choreografie dazu ist weltweit dieselbe, in Stuttgart lehrt sie die Sindelfinger Tänzerin Sarah Hammerschmidt. Als Teilnehmerin des "You can dance"-Tanzwettbewerbs im Fernsehen ist sie für junge Frauen keine Unbekannte. Und wenn der Widerstand sich erst einmal in Bewegung gesetzt hat, dann soll es kein Halten mehr geben. "Wir wünschen uns, dass die Leute die ganze Zeit tanzen", sagt Barbara Rolf.
1 Kommentar verfügbar
Kornelia
am 15.02.2013Und ER bewegt sich doch.... es war toll, dass so langsam auch der männliche Teil der Gesellschaft merkt wie wichtig es ist den weibl. Teil zu unterstützen... hinter jedem Mann…