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Verbrenner-Aus

Gefährliche Versprechen

Verbrenner-Aus: Gefährliche Versprechen
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Die Realitätsverweiger:innen von der Union haben ihr Ziel noch nicht erreicht. Das EU-weite Aus für neue Verbrenner ab 2035 ist zwar durchlöchert, bisher aber keineswegs abgeschafft. Deshalb droht neuer Ärger.

Vorerst haben sich führende Köpfe in der Europäischen Volkspartei und in der Union verzockt – von Manfred Weber (CSU) bis Manuel Hagel (CDU): Sie wollten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Parteifreundin hin oder her, vorführen, ihren Green Deal endgültig demolieren und billige Punkte zulasten der Grünen machen. Tatsächlich könnte das Verbrenner-Aus-Aus demnächst das Unwort des Jahres sein. Geweckt wurden und werden schließlich unerfüllbare Erwartungen, deren Scheitern obendrein Wasser auf die Mühlen der Rechtsnationalist:innen lenken würde.

Wiederholt und eindeutig hatte Weber eine Aufhebung jenes Beschlusses von 2022 angekündigt, wonach ab 2035 alle neuen Autos emissionsfrei unterwegs sein müssen. Hagel, CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl im März, verlangte eine Abschaffung sogar brieflich bei von der Leyen. Das faktische Verbot von Verbrennungsmotoren "muss beseitigt werden", hieß es auch in einer Kabinettsvorlage, die das CDU-geführte Wirtschaftsministerium auf Hagels Wunsch ("Vorfahrt statt Verbotspolitik") anfertigte. Die sollte ursprünglich vor allem die Grünen ärgern, allen voran Winfried Kretschmann.

Allerdings ließ der Ministerpräsident den Koalitionspartner kühl ablaufen, mit dem Hinweis auf den E-Mobilitäts- und Verbrenner-Kompromiss mit Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Inzwischen illustrieren die Kabinettsvorlage und die vielen anderen einschlägigen Bekundungen, wie weit die neuen EU-Beschlüsse an den Verheißungen und Forderungen der Union vorbeigehen. Da kann Weber, EVP-Fraktionschef im Europäischen Parlament, noch so viele Nebelkerzen werfen zur angeblichen Überwindung der "industriepolitischen Fehlentscheidung einer linken Mehrheit" aus der vergangenen Legislaturperiode. Denn die neuen Vorgaben beinhalten erstens den absoluten Vorrang für die Elektromobilität. Und zweitens eine komplizierte Konstruktion jener Ausnahmen, die nach 2035 noch für die neuen fossil bewegten Fahrzeuge gelten sollen – darunter die Verpflichtung, für deren Bau den äußerst knappen und teuer zu produzierenden grünen Stahl zu verwenden.

Entsprechend schmallippig fällt das Lob der Unionspolitiker für die kurz vor Weihnachten vorgelegten und deutlich modifizierten Pläne der Kommission aus. Im Netz versuchen Weber und Hagel gemeinsam festzuklopfen, dass "das Verbrenner-Aus Geschichte" sei. Jedoch sprechen sogar die Reaktionen aus Industrie und Handwerk eine ganz andere Sprache. Selbst Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Deutschen Automobilindustrie (VDA), spricht von einem "wirkungslosen Lippenbekenntnis". Und der Präsident des baden-württembergischen KfZ-Gewerbes Michael Ziegler erlaubt sich eine Prognose: "Die Debatte ist nicht zu Ende." Vielmehr setze er auf Nachbesserungen durch die Mitgliedsstaaten und das Europaparlament.

Ausgabe 753 vom 03.09.2025

Mit beträchtlicher Dreistigkeit

Von Johanna Henkel-Waidhofer

Mit einem Brandbrief versuchen Europas Autohersteller, von eigenen Versäumnissen, gebrochenen Versprechen und organisiertem Betrug abzulenken. Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) sekundiert.

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Dann allerdings wird es richtig gefährlich. Mehrfach hat die EVP frühere Beschlüsse – vom Lieferkettengesetz bis zur Asylpolitik – mit Hilfe der Stimmen von ganz rechts außen gekippt. Würden sie genutzt, ab 2035 mehr Verbrenner als bisher von der Kommission vorgesehen zuzulassen, wäre das Brandmauer-Aus besiegelt. Auch wenn sich der Fraktionschef aus Niederbayern zynisch als Umdeuter versucht. Nach Weihnachten kündigte Weber allen Ernstes Abstimmungen gegebenenfalls auch mit den Rechtsnationalist:innen an, sollten sich Sozialdemokraten, Linke und Grüne den Erpressungsversuchen der EVP entziehen und verlangten Nachbesserungen nicht zustimmen. Und zugleich behauptet der 53-Jährige, die Brandmauer stehe. "Wir wissen, wer unsere Feinde sind", sagte er in einem Interview, ohne jedoch darauf einzugehen, warum diese Feinde als Mehrheitsbeschaffer herhalten dürfen oder geradezu gesucht werden. 

Kein Wunder, dass Grünen-Europaabgeordnete ein "Machtwort" vom CDU-Bundesvorsitzeden verlangen. Der Stuttgarter Michael Bloss warnte schon mehrfach vor einem "Dammbruch". Zumal der Schwenk auch inhaltlich falsch sei, denn "ein Festhalten am Verbrenner ist klimapolitisch falsch und wird Jobs kosten, statt Jobs in der Automobilindustrie zu erhalten". Viele Entscheidungen weltweit und längst nicht nur im E-Mobility-Vorreiterland China sprechen dafür, dass der Grünen-Klimaexperte am Ende recht behalten wird: In Äthiopien gilt schon seit fast zwei Jahren ein weltweit einmaliger Importstopp für neue Verbrenner. Andere Länder prüfen ähnliche Wege, um eigene Handelsbilanzen zu verbessern, die Abhängigkeit von Einfuhren zu verringern und die Energiewende voranzutreiben. 

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