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Stuttgart 21

Ein Bahnhof namens Godot

Stuttgart 21: Ein Bahnhof namens Godot
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Auch 2025 war kein gutes Jahr für Stuttgart 21: Der angepeilte Termin für die Inbetriebnahme musste wieder verschoben werden, diesmal ohne Ersatztermin. 2026 wird vermutlich nicht besser, denn die nächste Kostensteigerung zeichnet sich ab.

Freude und Frust können nahe beieinander liegen: Am 18. Juli 2025 noch präsentierten sich nach einer Sitzung des S-21-Lenkungskreises die Vertreter der Projektpartner voller Optimismus. Es gab damals ein Handout für die Presse, betitelt mit "Noch 513 Tage bis zur Inbetriebnahme". 513 Tage ab dem 18. Juli, das wäre der 13. Dezember 2026 gewesen. Mittlerweile ist das Handout ein historisches Dokument und, wenn man so will, auch ein Dokument der fortlaufenden Hybris und der krachend gebrochenen Versprechungen, die dieses Projekt begleiten.

Wenige Monate später, am 19. November, teilte die neue Bahnchefin Evelyn Palla mit, dass Stuttgart 21 nicht Ende 2026 in Betrieb gehen werde. Als ein zentraler Faktor wurden Probleme bei der Digitalisierung und dem dafür zuständigen Dienstleister Hitachi genannt. Allerdings darf bezweifelt werden, dass dies der einzige Grund ist.

Erstaunlich war weniger, dass mal wieder eine Verschiebung verkündet wurde. Sondern zum einen, wie schnell die Verschiebungen zuletzt aufeinanderfolgten. Schon der Lenkungskreis im Juli war eine Sondersitzung gewesen, die den bisherigen Zeitplan korrigierte: Für Ende 2026 war nun nur noch eine Teilinbetriebnahme geplant. Zum anderen ist neu, dass nicht gleich ein neuer Termin genannt wurde. Palla stellte dies erst nach Abschluss einer gründlichen Prüfung des Projekts in Aussicht. Das wurde dann beim zweiten Sonderlenkungskreis des Jahres, am 15. Dezember, präzisiert: Ein 15-köpfiges Team der Konzernrevision soll erst einmal jeden Stein umdrehen, ehe Anfang Juli 2026 ein neuer Zeitplan verkündet werden soll.

Ausgabe 768 vom 17.12.2025

Anfang Juli sehen wir weiter

Von Oliver Stenzel

Knapp einen Monat, nachdem die für Ende 2026 geplante Teilinbetriebnahme für Stuttgart 21 abgesagt wurde, kam die neue Bahnchefin Evelyn Palla zu einem Sonderlenkungskreis nach Stuttgart. Neue Zeitpläne will sie erst Mitte nächsten Jahres vorlegen, jetzt werde erstmal geprüft. Einige Hoffnungen enttäuschte sie bereits.

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Eine konkrete zeitliche Ankündigung machte Palla am 15. Dezember dann doch: Der Finanzierungsvertrag für den Pfaffensteigtunnel, über den die Züge der aus Richtung Zürich kommenden Gäubahn in den Tiefbahnhof geführt werden sollen, solle "noch in diesem Jahr unterzeichnet werden". Das scheint schon mal nicht geklappt zu haben, falls es nicht unter Ausschuss der Öffentlichkeit erfolgt ist. Eine Kontext-Anfrage nach dem avisierten Termin der Unterzeichnung beantwortete ein Bahnsprecher etwas ausweichend: "Wir gehen davon aus, dass alle Voraussetzungen für den Baubeginn so rechtzeitig vorliegen werden, dass wir wie geplant Anfang 2026 mit dem Bau des Pfaffensteigtunnels beginnen können." Lassen wir uns überraschen.

Wie viele Überraschungen in Bezug auf S 21 der neuen Landesregierung bevorstehen, die sich nach der Landtagswahl am 8. März bilden wird, wird sich noch zeigen: Deren neuer Verkehrsminister darf sich im Juli nicht nur auf den neuen Eröffnungstermin freuen, sondern womöglich auch darauf, dass die nächste Kostensteigerung verkündet wird. Zuletzt hatte der DB-Aufsichtsrat im Dezember 2023 eine Erhöhung des "Gesamtfinanzierungsrahmens" von S 21 auf 11,453 Milliarden Euro bekannt gegeben, inklusive Risikopuffer. Mittlerweile soll auch der Puffer fast völlig aufgezehrt sein, und bereits im Juni 2024 hatte der "Spiegel" mit Verweis auf Bahn-Insider von Schätzungen von "mindestens 12 Milliarden Euro oder mehr" geschrieben. Bleibt es im Rahmen der letzten Steigerungsschritte, so könnte Mitte des Jahres bei der Anzahl der Euro-Milliarden eine 13 vor dem Komma stehen.

Derweil weisen die beiden Stuttgarter Regionalverbände von Pro Bahn und BUND in einem Dossier zum Jahresende darauf hin, dass bei Stuttgart 21 nicht nur die immensen Kosten und die unklaren Zeitpläne zu kritisieren sind, sondern auch die baulichen und betrieblichen Defizite des Projekts, von denen viele kaum bekannt seien – etwa die Engpässe für Reisende, wegfallende Direktverbindungen oder Fahrzeitverlängerungen durch einen neuen Zwangshalt. BUND-Regionalgeschäftsführer Gerhard Pfeifer fordert daher: "Nicht nur die Leistungsfähigkeit des am Projekt beteiligten Dienstleisters Hitachi sollte überprüft werden, sondern der neue Tiefbahnhof selbst muss sich kritischen Fragen stellen." Man wird ja wohl noch träumen dürfen.

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