KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Landtag Baden-Württemberg

Hakenkreuz an passender Stelle

Landtag Baden-Württemberg: Hakenkreuz an passender Stelle
|

Datum:

Bei einer geheimen Wahl im baden-württembergischen Landtag hat der SPD-Abgeordnete Daniel Born hinter den Namen eines AfDlers ein Hakenkreuz gemalt. Die Empörungswelle überschlägt sich, Borns politische Karriere scheint beendet. Ein Gespräch über einen Aussetzer und über Hysterie.

Herr Born, Sie waren am 24. Juli im Landtag kurz out of order, haben hinter den Namen eines AfD-Abgeordneten ein Hakenkreuz gemalt, sich am nächsten Tag dazu bekannt und ihr Amt als Landtagsvizepräsident abgegeben. Ein Jens Spahn von der CDU, ein Andreas Scheuer von der CSU, ein Olaf Scholz von der SPD treten nie zurück, obwohl ihnen eine Menge Verfehlungen nachgewiesen werden konnten. Wie oft haben Sie sich seitdem überlegt: Hätte ich doch den Mund gehalten, dann ginge meine politische Karriere weiter?

Das habe ich mir kein einziges Mal überlegt. Worin bestand mein Fehler? Ich habe als Antifaschist in einer geheimen Abstimmung hinter einer Partei voller Nazi-Strategien, Nazi-Positionen und mit Nazi-Freunden ein Nazi-Zeichen gekritzelt. Also das Symbol des Terrors und der Menschenverachtung. Hätte ich eine Sekunde klar denken können, hätte ich ein Herz malen müssen. Wir müssen mit Solidarität, Hoffnung und Zuversicht auf den ganzen rechtsextremen Hass antworten. Ich habe den Fehler gemacht, ihn eingestanden und Konsequenzen gezogen. Zum Rücktritt als Landtagsvizepräsident hat mich niemand aufgefordert.

Dieser Rücktritt hat Ihrer Partei nicht gereicht. Ihr eigener Kreisverband Rhein-Neckar fordert, Sie sollten auch das Mandat zurückgeben. Ebenso das SPD-Präsidium. Wie steht es um die Solidarität in der SPD?

Ich erlebe auch aus der Partei sehr viel Solidarität, auch viel aufmunternde Post, und ich erlebe aus der SPD keine einzige Rückmeldung, die mir nicht sagt, ja, da hast du Scheiße gebaut, aber du hast auch viel Gutes gemacht in den zehn Jahren im Land oder in den neun Jahren im Landtag. Du bringst Gutes für uns ein und bleibst weiter Abgeordneter. Die Führungsgremien in Land und Kreis haben mir ihre Antwort gegeben. Ich hatte mir andere erhofft. Aber von Relevanz sind deren Entscheidungen.

Was haben Sie denn als Vizepräsident an sprachlichen Hakenkreuzen in den Parlamentsdebatten erlebt? Ist Ihnen etwas besonders in Erinnerung geblieben?

Daniel Born, 49, Jurist, ist für die SPD seit 2016 Abgeordneter im Landtag Baden-Württemberg. Im Mai 2021 wurde er Vize-Landtagspräsident. Eingetreten in die Partei ist er 1991, er war Gemeinderat in Oberhausen-Rheinhausen, Kreisrat in Karlsruhe, im Landesvorstand und im Präsidium seiner Partei. Born wird dem linken Flügel der SPD zugerechnet, setzt sich für die Rechte von Minderheiten ein, für gebührenfreie Kitas und eine staatlich gelenkte Wohnungs- und Mietenpolitik.

Durch seinen Rückzug von der SPD-Landesliste für die Landtagswahl am 8. März 2026, wo er den sicheren Platz fünf hatte, rücken die männlichen Kandidaten nach Born um zwei Plätze nach vorne. Bei der Landtagswahl 2021 kam die SPD auf elf Prozent und 18 Abgeordnete.  (lee)

Ich möchte mit dem Symbol Hakenkreuz wirklich nicht mehr arbeiten. Es sind die parlamentarischen Mittel, die genutzt werden. Zum Beispiel wenn im Landtag Reden gehalten werden, die immer wieder Minderheiten die Schuld an allem geben, was nicht funktioniert. Und was mich zunehmend beschäftigt ist, dass wir so eine Konzentration haben auf die marktschreierischen Auftritte der AfD. Ich finde, das ist gar nicht das Gefährliche.

Wenn sie pöbelt?

Ja, wenn sie pöbelt. Aber dieser scheinbar vornehme Ton, der so einfließt, hat meiner Meinung nach eine ganz andere Anschlussfähigkeit.

Haben Sie da ein Beispiel?

An diesem Tag gab es eine Rede der AfD-Abgeordneten Carola Wolle. Es ging um den Gesetzentwurf für die Kinder- und Jugendhilfe, und darin geht es auch darum, dass es Kinder und Jugendliche gibt, die sich anderen Geschlechtern zugehörig fühlen können. Diese Rede kommt dann so daher, als würden wir woken, ideologischen Quatsch über die Familien auskippen. Dabei sorgen wir dafür, dass alle Familien mehr Wertschätzung und mehr Sichtbarkeit haben. Und dann wird mal eben als Rezept genannt, dass man möglichst diese Gruppen für unsichtbar erklärt und sie möglichst nicht erwähnt. Das ist dann genau dieser vornehme Ton, mit dem das, was unsere Vielfalt ausmacht, zerstört werden soll.

Was würden Sie denn sagen, wie man die AfD am besten bekämpfen kann oder zumindest zurückdrängen?

Wir müssen endlich begreifen, dass die AfD nicht Teil eines demokratischen Diskurses ist und sein kann. Die AfD ist als gesichert rechtsextreme Kraft das Ende des demokratischen Diskurses.

Das heißt in der praktischen Arbeit was?

Das heißt ganz konkret, wir sollten ihr keine Sendezeiten im Radio oder in Sommerinterviews zugestehen, wie anderen. Und wenn so etwas trotzdem gemacht wird vom ersten Programm, finde ich es übrigens richtig, dass eine megasupertolle Störaktion stattfindet. Denn man muss stören, wenn rechtsextremen Positionen so ein Senderaum gegeben wird. Ich finde, man muss Kommunen unterstützen, die alles dafür tun, dass die AfD nicht in ihren Hallen auftritt und nicht auf ihre Plätze kommt. Diese Ideologie darf keinen Platz auf Podiumsdiskussionen haben, keine Zugänge zu Schulen und so weiter. Und wir müssen endlich ein AfD-Verbotsverfahren anstrengen.

Wo oder wann meinen Sie, Sie hätten etwas Gutes geschafft gegen die AfD?

Ich glaube, ich habe manchmal bei Reden ganz gut aufgezeigt, warum wir unsere Demokratie stark machen müssen. Aber was mich oft mehr berührt hat ist, wenn ich die Schulbesuche vom Landtag gemacht habe. Da habe ich immer auch eingebaut, wie das für mich selbst als Teenager war, Angehöriger einer Minderheit zu sein. Als ich in den frühen 1990ern merkte, dass ich schwul bin, galt formal immer noch der Paragraf 175.

Der seit dem Kaiserreich Homosexualität unter Strafe stellte und erst im Juni 1994 abgeschafft wurde.

Und ich habe den Schülern gesagt, dass ich damals nicht wusste: Bleiben meine Freunde bei mir? Finde ich mal jemanden, der mit mir sein Leben verbringt? Kann ich beruflich was werden? Und später, als ich dann als Landtagsvizepräsident im Einsatz war, habe ich gedacht: Wir haben es euch gezeigt. Das habe ich den Schülern erzählt und wenn mir später dann jemand von ihnen geschrieben hat, dass das ein Moment war, von dem sie sich empowered gefühlt haben, oder Lehrer und Lehrerinnen hätten in dem Moment gemerkt, hier sind vier, fünf in der Klasse, für die ist das jetzt ein ganz wichtiger Satz – das, finde ich, waren Momente, wo ich gedacht habe: Ja, da habe ich es auch den Rechtsextremisten gezeigt. Denn die wollen, dass wir unsichtbar sind und uns verstecken müssen. Aber wir werden nie mehr unsichtbar sein und uns verstecken.

Aber die AfD findet ihre Wähler und Wählerinnen. Warum?

Da kommt dann immer so reflexartig, ja, wir müssen nur die Probleme lösen und dann wird die AfD schon weniger gewählt. Aber die AfD generiert ja immer Antworten, die nicht Teil des demokratischen Konsens' sind. Ich habe jahrelang im Bereich Wohnen gearbeitet: Die Mieten wachsen den Leuten über den Kopf. Die Menschen können sich Wohnen nicht mehr leisten. Das ist eine existenzielle Bedrohung, wenn wir teilweise Mietbelastungen haben von 48 bis 49 Prozent bei Alleinerziehenden, älteren Leuten, Azubis und Student:innen. Dann kann ich in der Politik sagen, ich mache eine Mietpreisbremse, ich sorge für Mietendeckel, ich versuche mehr Wohnungen zu bauen, ich versuche Kommunen dazu zu bringen, dass sie keine Einfamilienhausgebiete, sondern Geschosswohnungsbau ausweisen. Das kann ich alles machen. Aber das dauert. Und es steht immer eine AfD daneben, die sagt, es müssen nur einfach weniger Leute ins Land kommen, dann sind genügend Wohnungen frei.

Apropos Wohnen: Können Sie mir erklären, warum keine Landesregierung es bislang geschafft hat, für bezahlbare Mieten zu sorgen?

Wenn man in dem Riesenbereich was erreichen will, darf man sich nicht nur nebendran stellen und sagen, macht mal, sondern man muss selbst ins Ruderboot einsteigen. Ich bin echt dafür, dass es eigene Landeswohnungen gibt. Das wäre für mich das A und O. Eine Landeswohnungsbaugesellschaft. Dafür muss man erkennen, dass es der Markt grundsätzlich nie richten kann, der Markt ist nicht die Lösung. Beim Wohnen ist der Markt ein großes Problem. Deshalb muss man ihn wortwörtlich zivilisieren. Wenn privates Geld ins Wohnen investiert wird, kann das immer nur eine Säule sein in einer ganz starken, genossenschaftlichen und öffentlich dominierten Branche, die insgesamt die Kosten dämpft. Anders geht es nicht.

Es fehlt also die politische Bereitschaft, sich mit voller Kraft dem Thema zu widmen?

Ja. Dadurch, dass wir nur ganz wenige staatliche Gesellschaften und Genossenschaften haben, haben wir einen umgekehrten Effekt. Der Privatmarkt treibt die Mieten nach oben und die anderen hinken hinterher. Es muss gerade umgekehrt sein. Man kann sagen, es ist lächerlich, wenn man permanent Wien erwähnt, aber Wien macht es halt anders. Die haben auch privates Kapital in der Wohnungswirtschaft, aber die sagen, bei uns ist die Hälfte öffentlich. Und damit dämpfen wir insgesamt die Preise. Das Grundproblem bei uns ist diese Marktgläubigkeit, die hat sich so tief reingefressen in viele Bereiche der Politik.

Auch in die SPD?

Naja, wir haben das jahrelang mitvertreten. Aber wir haben als SPD im Land einen klaren Beschluss, dass wir eine Landeswohnungsbaugesellschaft wollen. Am Konzept Landeswohnungsbaugesellschaft habe ich sehr intensiv mitgearbeitet. Auch wenn ich jetzt nicht mit am Wahlprogramm arbeite, weil die Gremien mir mitgeteilt haben, ich sei eine Belastung für den Wahlkampf. Deswegen bin ich auch nicht mehr auf der Liste. Jeder, der nach meiner vermaledeiten Aktion Daniel Born furchtbar findet, kann jetzt trotzdem die SPD wählen.

Was werden Sie denn am 8. März wählen?

Natürlich die SPD! Ich habe mein Leben lang die SPD gewählt. Ich habe meinen ersten Wahlkampfauftritt im Alter von einem Jahr gehabt. Ich kann Ihnen das Foto zeigen. Meine Eltern haben den Babywagen mit mir komplett beklebt mit Helmut Schmidt-Bildern. Und so bin ich in 1976 in diesen Wahlkampf geschoben worden.

Was werden Sie nach dem 8. März machen?

Das weiß ich noch nicht. Jetzt muss ich mir erst mal überlegen, wie mach ich das als fraktionsloser Abgeordneter, das ist für mich eine echt schräge Situation. Ich habe jetzt zwei parlamentarische Initiativen auf den Weg gebracht, weil ich meine Abgeordnetenarbeit ja weiter machen will. Da geht es um die Finanzierung von frühkindlicher Bildung und bei der anderen sind Jugendgemeinderäte auf mich zugekommen, ob im Staatswald Mountainbike-Trails oder Ähnliches möglich sind. Das ist die Vielfalt der Abgeordnetentätigkeit.

Ansonsten haben Sie noch keine Pläne?

Nein. Gestern habe ich zwei Wahlkreisbesuche gemacht. Das mache ich echt gerne und da habe ich dann schon gemerkt, dass es hart für mich wird, wenn ich das nicht mehr machen kann. Ich glaube auch, dass ich ein guter Abgeordneter bin. Und dann zu denken, jetzt endet das, ist schon hart und bitter. Klar, das gehört zur Demokratie dazu, aber es war ja anders geplant. Ich stand auf Platz fünf der Landesliste. Auf jeden Fall bleibe ich der Demokratie erhalten, ich bleibe mein Leben lang Sozialdemokrat und ich bleib dem Kampf gegen rechts erhalten. Ich will und ich weiß, wir werden als inklusive weltoffene Gesellschaft gewinnen und ich werde weiter alles dafür tun.

Die "Welt" berichtet, dass Ihr Partei- und Fraktionsvorsitzender Andreas Stoch von einem "Weg zurück" spricht, aber darauf beharrt, dass Sie Ihr Mandat abgeben. Und er sagt, er sei mit Ihnen in Kontakt. Glauben Sie nun, wieder in die Politik zurückkehren zu können?

Ich schätze und mag Andreas sehr und genieße jedes Gespräch mit ihm. Auch jetzt in dieser schwierigen Zeit. Aber Rückkehr in die Berufspolitik? Mal ehrlich: Im nächsten Jahr sind die Landtagswahlen und da haben mir die Führungsgremien eindeutig gesagt: nicht mit dir! Damit bin ich nächstes Jahr raus. Und wer soll denn dann in ein paar Jahren laut nach mir rufen? Die SPD hat sehr viele talentierte Menschen. Der Blick auf die Realität sagt mir, dass mein Weg nächstes Jahr zu Ende ist.

In der FAZ stellte sich an diesem Wochenende Ihr Genosse Peter Friedrich – Ex-Generalsekretär der hiesigen SPD – auf Ihre Seite und rechnet mit Muhterem Aras, der SPD und – verständnisvoll – auch mit Ihnen ab: Aras hätte den Stimmzettel nicht öffentlich zeigen dürfen, erst das sei eine Straftat. Die SPD hätte ihre Abgeordneten nicht drängen dürfen, sich zu erklären, Stichwort Wahlgeheimnis. Ihr Rückzug aus der Fraktion und von der Landesliste sei eine Überreaktion; und seitens der SPD den Mandatsverzicht zu fordern, sei angesichts all dessen unangemessen. Wie bewerten Sie die Ausführungen?

Wir haben eine gute Landtagspräsidentin und ich war vier Jahre stolz darauf, ihr Stellvertreter sein zu dürfen. Das tickt noch in mir und darum gilt für mich weiter: Ich äußere mich nicht öffentlich zu Fragen nach Muhterem. Zur SPD: Die Parteigremien haben nach meinem Rücktritt weitergehende Schritte verlangt. Wenn ich das genauso gesehen hätte, hätte ich es gleich selbst gemacht.

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


13 Kommentare verfügbar

  • Werner
    vor 6 Stunden
    Antworten
    Ja, das mit dem Hakenkreuz finde ich geschmacklos.
    Dennoch, wenn ich so lese was der Herr Born für Vorstellungen mit der Landeswohnungsbaugesellschaft und dem sozialen Wohnungsbau hat, da muss ich sagen dass dies schon sehr klar, durchdacht und machbar erscheint. Er kommt mit ziemlich konkreten…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!