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Medienplattform "Unser Heidelberg"

Wessen Heidelberg?

Medienplattform "Unser Heidelberg": Wessen Heidelberg?
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Eine neue Medienplattform will in Heidelberg die Demokratie beleben, doch die Nähe zu Parteimitgliedern des bürgerlichen Lagers sorgt für Kritik: Soll verdeckt Einfluss genommen werden? Die Beteiligten zeigen bislang wenig Interesse, für Transparenz zu sorgen.

"Was ist dein Lieblings-Viertel?" "Was ist dein Lieblings-Restaurant?" Mit einem Straßeninterview zu Fragen wie diesen wagt sich am 28. März 2024 der Kanal "Unser Heidelberg", kurz @unser.hd, auf Instagram erstmals in die Schlacht um die Aufmerksamkeit der scrollenden Heidelberger:innen. Der Interviewer im Video, dunkelblond und sneakertragend, verrät seinen Namen nicht – wir nennen ihn einfach mal Tom. Er stellt weder sich noch den Kanal vor. Schnell folgen weitere Straßenumfragen.

Die Interview-Videos kommen gut an und erreichen zehn-, teilweise hunderttausende Views. Inzwischen folgen dem Account auf Instagram rund 35.000 Menschen (Stand: 9. Juli), fast so viele wie der lokal dominierenden "Rhein-Neckar-Zeitung", über 10.000 mehr als dem "Mannheimer Morgen". Falls es in diesem Tempo weitergeht, könnte "Unser Heidelberg" bald alle regionalen Medien überholen.

Für die steigenden Abozahlen sind auch Gewinnspiele verantwortlich. Tom verlost regelmäßig Smartphones und teure Kopfhörer. Die Plattform betreibt zudem einen Whatsapp-Kanal, auf dem sich Neuigkeiten und Veranstaltungstipps mit weiteren Verlosungen abwechseln. Die Gewinne werden von Firmen gesponsert, die in diesem Zusammenhang auch namentlich erwähnt werden.

Irgendwann scheint "Unser Heidelberg" sogar Geld zu verschenken. In Videos klebt eine Person Sticker mit dem Logo der Plattform an Orte in der Innenstadt. Unter den Stickern: 50-Euro-Scheine. Wer dem Account folgt, erfährt, wo das Geld versteckt ist. Woher diese Scheine stammen, wird nicht erklärt.

Wie das alles finanziert wird, die Filmcrew, das Equipment, die Postproduktion, das bleibt unklar, bis irgendwann ein Impressum erscheint. Der Zeitstempel der angepinnten Story weist darauf hin, dass spätestens seit dem 1. Mai öffentlich bekannt ist, wer "Unser Heidelberg" betreibt: Der Verein "Bürgerforum Heidelberg", zu dem Zeitpunkt noch in Eintragung, gegründet am 21. März 2024. Außer den Namen der beiden Vorsitzenden sind zu diesem Zeitpunkt nur wenige Informationen über den Verein bekannt.

Mit einem Video zur Kommunalwahl beginnt der Ärger

Am 5. Mai kündigt Tom in einem Video an, künftig auch über die anstehende Kommunalwahl zu berichten. "Unser Heidelberg" wolle seinen Zuschauer:innen dabei helfen, "die wichtigsten Neuigkeiten der Stadt zu verstehen". Er fordert auf, Vorschläge für Fragen einzureichen.

Bereits einen Tag später, am 6. Mai, folgt das erste politische Video. Tom behauptet, dass Heidelberg durch Abwanderung von großen Unternehmen bereits über 32 Millionen Euro an Gewerbesteuereinnahmen verloren habe. Zudem habe eine Mehrheit des Gemeinderats die Ansiedlung von Unternehmen, wie dem Pharmakonzern Eli Lilly, verhindert. Als Belege werden im Video Screenshots eingeblendet, die Überschriften von Medienberichten und die damalige Zusammensetzung des Gemeinderats zeigen.

Das Video sorgt für Ärger, hunderte Kommentare werden darunter gepostet. Manche unterstellen der Plattform Populismus und fragen nach Quellen, andere meinen, in den Inhalten des Videos ein Versagen rot-grüner Politik zu erkennen. Die Stadträte Matthias Kutsch (CDU) und Felix Grädler (Grüne) diskutieren darüber, ob die Grünen die Ansiedlung von Unternehmen in Heidelberg verhindert hätten. Einige Wochen später wird Grädler als Reaktion auf das Video eine Gegendarstellung mit Faktencheck auf seiner Website veröffentlichen.

"Unser Heidelberg" fehlt bei der ganzen Diskussion. Vonseiten der Plattform gibt es keine Moderation in den Kommentaren, es wird weder auf Kritik eingegangen, noch werden Quellen nachgereicht.

Aber bald nach dem ersten Video zur Kommunalwahl, am 9. Mai, wird das erste von vielen Straßeninterviews mit Politiker:innen veröffentlicht. Den Anfang macht der SPD-Politiker Sören Michelsburg, der zu fehlendem bezahlbarem Wohnraum und bundesweiter Kritik an der SPD befragt wird. Am nächsten Tag folgt ein Interview mit Nicole Marmé, CDU. Sie darf die Wirtschaftspolitik ihrer Partei erklären und Parallelen aus dem Wahlprogramm zur Bundespolitik herstellen. Das zentrale Thema: Sicherheit. Es folgen Interviews mit Kandidierenden der FDP, der Wählerinitiative "Die Heidelberger", der Linken und der Grünen, wobei die Fragen sehr unterschiedlich und teils stark suggestiv sind. Auch Heidelberger Bürger:innen werden in Straßenumfragen nach kommunalpolitischen Themen oder Wahltendenzen befragt.

Ein trojanisches Pferd?

Schnell kommt in den Kommentaren zu "Unser Heidelberg" der Vorwurf auf, der Account würde verdeckte Wahlwerbung für bürgerliche Parteien betreiben. Kritisiert wird die Auswahl an vermeintlich kritischen Fragen für progressive Parteien, während liberal-konservative Politiker:innen meist ihre eigenen Positionen ausführen dürften. Tatsächlich bleibt zunächst unklar, wie die Fragen an die Politiker:innen ausgewählt werden.

Plötzliche und große Aufmerksamkeit erhält "Unser Heidelberg" dann am 27. Mai. Der von Studierenden betriebene Meme-Account "Uni Heidelberg Quotes" (UHQ) veröffentlicht eine umfangreiche Recherche, die der Plattform verdeckte Wahlwerbung für die Gemeinderatsfraktionen von Die Heidelberger, CDU und FDP vorwirft. Dafür wählt der Account das Meme eines trojanischen Pferds. Als Belege werden Screenshots und öffentliche Quellen verlinkt.

Unter anderem macht UHQ darauf aufmerksam, dass viele der Gewinnspiele auf dem Whatsapp-Kanal von "Unser Heidelberg" von Firmen gesponsert werden, deren Inhaber:innen auf Listen von CDU, FDP und Die Heidelberger für den Gemeinderat kandidieren. Auf Nachfrage an die jeweiligen Parteien, wie die Kooperationen zustande gekommen sind, antwortet die FDP, dass Unterstützung im kulturellen und sportlichen Bereich für Unternehmen nicht unüblich sei und damit versucht werde, dem Fachkräftemangel durch Recruitment entgegenzuwirken. Auch Die Heidelberger erklären, die ihnen nahestehenden Unternehmen hätten den Instagram-Kanal lediglich als Werbeplattform nutzen wollen. Die CDU antwortet nicht.

Weiterhin kritisiert UHQ, dass "Unser Heidelberg" über seinen Whatsapp-Kanal auf Wahlkampfveranstaltungen hinweist, etwa die "Start-up Talkrunde" der Wählerinitiative Die Heidelberger. Auf Anfrage erklären Die Heidelberger, dass weder sie das Bürgerforum beauftragt haben, dafür zu werben, noch das Bürgerforum von sich aus angezeigt habe, Wahlwerbung zu schalten. Außerdem sei zwischen der Wählerinitiative und dem Bürgerforum kein Geld geflossen.

Der UHQ-Beitrag geht viral und wird oft geteilt. Allerdings fehlen darin Stellungnahmen von "Unser Heidelberg" und den beschuldigten Listen, wobei unklar bleibt, ob diese vorab um eine Stellungnahme gebeten wurden. Und manche Anschuldigungen lassen sich nicht aus den vorgelegten Belegen ableiten, vieles ist spekulativ.

Der Post von UHQ sorgt auch hinter den Kulissen für Bewegung. Seitdem kommen bei "Unser Heidelberg" nur noch Politiker:innen von CDU, FDP und Die Heidelberger zu Wort. Die Grünen und Die Linke bestätigen auf Anfrage, dass beide Parteien sich gemeinsam mit der SPD dazu entschlossen hätten, die Plattform zu boykottieren.

Demokratie fördern – aber ohne Transparenz

Weder die betroffenen Listen noch "Unser Heidelberg" reagieren offiziell auf den UHQ-Post. Stattdessen teilt "Unser Heidelberg" in der eigenen Instagram-Story am 28. Mai einen Link zu den FAQ auf ihrer Website. Die Plattform gibt an, dass der dahinterstehende Verein, das Bürgerforum Heidelberg, "lebendige Demokratie, soziale Marktwirtschaft und Weltoffenheit" fördern wolle. Mit "Unser Heidelberg" sollen junge Menschen nach relevanten Themen befragt werden, um diese an Heidelberger Politiker:innen weiterzugeben. Zur Kritik, dass manche die Straßeninterviews mit Politiker:innen als tendenziös empfinden, erklärt "Unser Heidelberg", die Fragen würden auf Grundlage von Bürger:innenfragen in der Redaktion gemeinsam ausgewählt. Die Redaktion bestehe dabei aus zwei Vorstandsmitgliedern des Bürgerforums sowie zwei externen Experten – Namen werden nicht genannt.

Mit dem Beitrag von UHQ wird eine breitere Öffentlichkeit erstmals auf den neuen Verein Bürgerforum Heidelberg aufmerksam. Im Impressum werden Heino Freudenberg und Marina von Achten als Vorsitzende genannt. Beide stammen aus bekannten Unternehmerfamilien, sind unternehmerisch tätig und waren zeitweise in verschiedenen Ehrenämtern aktiv, doch als Akteur:innen in der Heidelberger Kommunalpolitik waren sie bisher nicht bekannt.

Verborgene Mitgliedschaften

Um einen Verein zu gründen, benötigt es sieben Personen, Ende Mai waren nur zwei Mitglieder des Bürgerforums namentlich bekannt. Am 31. Mai dann aktualisiert "Unser Heidelberg" die FAQ seiner Website und gibt darin bekannt, dass die Fraktionsvorsitzenden von CDU, FDP und Die Heidelberger zu den Mitgründer:innen des Vereins gehören, ihre Mitgliedschaften während des Wahlkampfs jedoch ruhen lassen würden, um Interessenkonflikte zu vermeiden.

Wenige Wochen zuvor wurden zwei der Fraktionsvorsitzenden, Nicole Marmé (CDU) und Larissa Winter-Horn (Die Heidelberger), noch von "Unser Heidelberg" interviewt – ihre Verbindung zum dahinterstehenden Verein machten sie dabei nicht öffentlich. Warum erfolgte diese Bekanntgabe nicht früher? Auf Anfrage reagiert der Verein zwar, beantwortet diese spezielle Frage aber nicht, sondern betont in einer allgemeinen Stellungnahme seine Unabhängigkeit: "Das Bürgerforum und seine Aktivitäten sind spendenfinanziert. Absprachen oder eine Finanzierung durch Parteien gibt es nicht. Umgekehrt finanziert das Bürgerforum auch keine Parteien. Kein Mitglied profitiert persönlich von den Aktivitäten des Bürgerforums."

Als Reaktion auf die bekannt  gewordene Verbindung führender Köpfe aus CDU, FDP und Die Heidelberger mit dem Bürgerforum fordern daraufhin neun Parteien und Listen aus dem Gemeinderat in einer gemeinsamen Erklärung transparentere Kommunikation. Sie kritisieren das Bürgerforum und fordern die Einstellung seiner Projekte. CDU, FDP und Die Heidelberger reagieren darauf mit eigenen Statements, in denen sie jegliche organisatorische oder finanzielle Verbindungen zum Bürgerforum verneinen.

Der Schatzmeister des Vereins kandidiert für die FDP

Am 3. Juni veröffentlicht das Amtsgericht Mannheim schließlich den Vereinsregistereintrag des Bürgerforums. Darin wird Tilman Segler als Schatzmeister aufgeführt. Segler ist Bezirksbeirat für die FDP, er kandidiert auf deren Liste für den Gemeinderat. Auf seinem Kandidierendenprofil gibt er verschiedene Ehrenämter an – seine Position im Vorstand des Bürgerforums Heidelberg fehlt. Wir fragen bei ihm nach, warum er diese Position nicht bekannt gegeben hat und ob er seine Mitgliedschaft während des Wahlkampfs ebenfalls ruhen lässt. Statt zu antworten, lässt er den Eintrag auf seinem Profil ergänzen. Auch in einer Stellungnahme der Heidelberger FDP auf eine Anfrage von uns wird seine Rolle im Bürgerforum nicht erwähnt. Auf Rückfrage, warum nicht, teilt FDP-Schatzmeister Sebastian Heimbuch mit, dass er davon keine Kenntnis hatte.

Ebenfalls am 3. Juni lädt "Unser Heidelberg" ein Interview mit Bürgermeister Jürgen Odszuck (CDU) hoch. Erstmals wird ein Mitglied der Stadtverwaltung interviewt, die sich traditionsgemäß vor Wahlen neutral verhält. Tom fragt Odszuck im Interview nach seiner "skurrilsten Erfahrung" im Amt, als Antwort erwähnt er die andauernden Artenschutzmaßnahmen für die Mauereidechse.

Auch Odszuck fragen wir nach dem Zustandekommen des Interviews, ob es Absprachen zwischen ihm und dem Bürgerforum gab und ob ihm die Kritik an der Plattform zuvor bekannt war. Odszuck antwortet, er sei in seiner Funktion als Bürgermeister angefragt worden, das Gespräch habe bereits Mitte Mai stattgefunden. Und ergänzt: "Der Kanal war für mich nicht als parteipolitische Plattform erkennbar und dem Neutralitätsgebot vor Wahlen bin ich im Gespräch voll und ganz nachgekommen."

Eine Parabel publizistischer Unvernunft

Gleichzeitig wird auf der Homepage von "Unser Heidelberg" ein Artikel zur Problematik der Mauereidechsen veröffentlicht, der eine Gemeinderatsinitiative der CDU ankündigt und mit der Frage schließt, ob sich im "mehrheitlich grün-rot-roten Gemeinderat die notwendige Mehrheit" dafür finde. Verfasst wurde der Text von der Contentagentur HAAS Publishing, die zur selben Mediengruppe wie die Tageszeitung "Mannheimer Morgen" gehört. In der Tatsache, dass beide Unternehmen den Wahlkampf redaktionell behandelt haben, sieht die HAAS Mediengruppe auf Anfrage jedoch keinen Interessenkonflikt. Es handele sich um eigenständige Unternehmen mit unterschiedlichen Redaktionen, und der "Mannheimer Morgen" unterhalte keine Beziehungen zum Bürgerforum.

Mit dem Vorhaben, junge Menschen für Demokratie zu begeistern, hat sich das Bürgerforum Heidelberg ein ehrbares Ziel gesetzt, doch die schnell erlangte Reichweite geht auch mit Verantwortung einher. Versuche, diese einzufordern, enden an einer Mauer des Schweigens. Inzwischen ist "Unser Heidelberg" ein Symbol der Spaltung im politischen Heidelberg geworden. Wir hätten gerne Tom gefragt, wie er sich damit fühlt, weil er als Moderator das Gesicht der Plattform ist. Erst zeigt er sich offen für eine Stellungnahme, doch dann erhalten wir eine neue Nachricht: Er wolle sich nicht mehr dazu äußern.


Der vorliegende Text ist die gekürzte und leicht aktualisierte Fassung eines Artikels, der am 7. Juni 2024, kurz vor den Kommunalwahlen, in der Heidelberger Studierendenzeitschrift "ruprecht" erschien.

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