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Polizei BW

Strobls Biberach

Polizei BW: Strobls Biberach
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Wie wird sie nicht gepriesen, die neue Werte- und Führungskultur bei Baden-Württembergs Polizei. Im Praxistest, der ersten Aufarbeitung der Bauern-Randale am Aschermittwoch in Biberach, ist die hochgelegte Latte allerdings gerissen. Die Sitzung im Innenausschuss des Landtags verkommt zur Farce.

Verschleierungen, Falschdarstellungen, Korpsgeist wie eh und je: in Erinnerung an die 1980er-Jahre, als die Räumung besetzter Häuser in Stuttgart aus dem Ruder lief oder Demonstrant:innen bei öffentlichen Soldatengelöbnissen von Motorradstaffeln bedrängt wurden. Oder an den 1. Oktober 2010, als nach dem Prügel- und Wasserwerfereinsatz im Stuttgarter Schlossgarten die Verantwortlichen vor der Presse allen Ernstes versuchten, mit einseitig zusammengeschnittenen Videoaufnahmen die eigene Unschuld an der Eskalation zu beweisen.

Diesmal haben Innenminister Thomas Strobl, Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz (beide CDU) und der Ulmer Polizeipräsident Bernhard Weber fast drei Stunden Zeit, um den angeblichen Sinnes- und Kulturwandel zu demonstrieren und die im Leitbild der baden-württembergischen Polizei versprochene "Kritikfähigkeit und Zivilcourage". Die gehören nämlich untrennbar dazu, um "Offenheit und Kreativität gedeihen zu lassen", heißt es in der Theorie. In der Praxis besteht genau daran ein sehr überschaubares Interesse. Strobl, Hinz und Weber zeichnen, sekundiert von den CDU-Landtagsabgeordneten Christian Gehring und Isabell Huber, ein Bild der Ereignisse, das der Biberacher Realität bestenfalls in Ansätzen entspricht.

Es geht um zwei angemeldete und eine unangemeldete Demo, die zur Blockade der Stadthalle wird, in der eigentlich der Aschermittwoch der Grünen begangen werden sollte, sowie um viele wichtige Einzelheiten. Zum Beispiel waren keine Sperrgitter vor Ort und auch später dazukommende Einsatzkräfte nicht mit Schutzkleidung ausgerüstet. Es geht vor allem aber um eine leicht fassliche zentrale Frage: Was ist passiert zwischen 2.45 Uhr nachts und 8 Uhr morgens? Den ersten Zeitpunkt nennt das Ulmer Polizeipräsidium in der eigenen Pressemitteilung, weil ab da Traktoren "festgestellt wurden, die trotz Straßensperrungen versuchten, die Zufahrten zum Veranstaltungsort zu behindern und zu blockieren". Der zweite Zeitpunkt steht für die Ankunft der ersten zusätzlich angeforderten Beamt:innen, nach Webers Angaben zunächst ganze acht, etwas später zweimal je 28 Polizist:innen.

Polizeichef lief bei Querdenkern mit

Bei seiner Ernennung 2019 war Weber als einer der "erfahrensten Polizeiführer des Landes" gerühmt worden. Für Schlagzeilen sorgte der Präsident im Juni 2022, als er in einer Querdenker-Demo mitlief, "mit Jeans, dunkelblauem Poloshirt und Sonnenbrille", schrieb damals die "Augsburger Allgemeine". Aus dienstlichem Interesse und um sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen, erläutert er später selbst.

Über den Aschermittwoch kann Weber hingegen nur vom Hörensagen berichten. Zur Erhellung will er kaum beitragen, gerade während der fraglichen gut fünf Stunden, in der Hunderte Riesentraktoren die drei Zufahrten zur Halle völlig zustellen konnten.

Stattdessen verirrt er sich vor Medienvertreter:innen in einer Vielzahl von Behauptungen. Etwa der, dass die Einsatzkonzeption "absolut richtig" und es "sicherlich zu keinen bewussten und gewollten Blockadeaktionen" gekommen war. Vielmehr seien alle Traktoren im ihnen zugewiesenen Parkraum abgestellt worden. Von der Polizei aus habe die Veranstaltung durchaus stattfinden können. Drei Stunden zuvor, bei einer spontanen Pressekonferenz am Vormittag, hatte allerdings kein Polizeibeamter die Verantwortung für die Veranstaltung mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Grünen-Parteichefin Ricarda Lang übernehmen wollen.

Gegen vier Uhr morgens mussten Polizisten die ersten Treckerfahrer in unmittelbarer Nähe des Veranstaltungsorts überreden, zu dieser nachtschlafenden Zeit doch ihre Tröten auszumachen, um die Einheimischen in den anliegenden Wohnstraßen nicht weiter zu belästigen. Gut zwei Stunden später waren die Straßen bereits mit den Riesenfahrzeugen vollgelaufen. Sogar die Wiese eines anliegenden Hotels bleibt nicht verschont – von wegen zugewiesener Parkraum. Die kurze Fritz-Lieb-Straße zur Biberacher Stadthalle ist da ebenfalls schon zugestellt, auch mit Lieferwagen – übrigens verziert mit AfD-Aufklebern. Selbst den etwa 50 Meter langen Weg zum Seiteneingang können Demonstrierende fluten, ohne dass Beamt:innen das verhindern wollen.

Nach Webers Zeitangaben im Innenausschuss waren ursprünglich 90 Beamte für Biberach eingeplant, um fünf Uhr morgens aber weitere Kräfte angefordert worden. Vorwürfe, ihr Eintreffen habe einfach zu lange gedauert, lässt der Spitzenbeamte nicht gelten: "Die Leute müssen erst einmal aufrüsten, das heißt sie müssen informiert werden. Und sie müssen anfahren, vom Präsidium Einsatz in Göppingen nach Biberach, das ist nun mal eine gewisse Strecke." Laut Routenplaner sind es exakt 65 Minuten.

Eine besonders skurrile Wendung nimmt die Ausschusssitzung, als Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl Kritiker:innen der Polizeiarbeit vorwirft, "aus dem bequemen Sessel ex post zu sagen, was man hätte besser machen können". Anders als der Innenminister waren der Grünen-Abgeordnete Oliver Hildenbrand, etliche Parteifreunde sowie zahlreiche Journalist:innen vor Ort und konnten sich in actu ein Bild machen. Zum Beispiel davon, dass entgegen Webers Aussage keineswegs ein Zugang zur Halle hätte freigeräumt werden können, zum Beispiel für den Ministerpräsidenten. Nie und nimmer wären die zu diesem Zeitpunkt etwa 200 Beamt:innen ohne Schutzausrüstung, die sich schlussendlich rund um die Halle aufhielten, dazu in der Lage gewesen – angesichts der laut Polizeipressemitteilung rund tausend Menschen vor der Halle, viele davon mit schwerem Gerät.

Kritik perlt am Innenminister ab

Strobls Einschätzung basiert auf "unzähligen Telefonaten", wie er erzählt. Und die könne er so zusammenfassen: Die einen Gesprächspartner meinten, die Polizei habe zu wenig unternommen, passiv herumgestanden und "die Störer einfach stören lassen". Die anderen wiederum beklagten robustes, geradezu martialisches Vorgehen und dass unschuldigen Bürgern Pfeffer in die Augen gesprüht worden sei – "bis hin zu der kruden These", es sei ein Polizist gewesen, der mit einem Schlagstock die Scheibe am Begleitfahrzeug von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir eingeschlagen habe. Letzteres ist sogar per Video widerlegt. Und die beteiligten Beamten nehmen für sich in Anspruch, keine unschuldigen Bürger besprüht zu haben.

Beides bringt den Innenminister aber nicht dazu, die an ihn herangetragene Kritik zu sortieren und selbst zu bewerten. Lieber versucht er ein äußerst seltsames Gleichgewicht zu konstruieren: Er ziehe "aus einer gewissen Erfahrung heraus und weil ich so was ja nicht zum ersten Mal erlebe" den Schluss, dass "eine derartige Bandbreite der Vorwürfe dafür spricht, dass die Polizei nicht alles verkehrt gemacht hat, sondern ihre Einschätzung unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vielleicht sogar richtig gewesen sein könnte".

Ein Schlaglicht auf die insgesamt defizitäre Vorbereitung wirft zudem, dass nicht einmal der Rückblick der Faktenlage entspricht. Anders als Strobl meint, hatte es im Laufe der Jahre immer wieder Proteste rund um den Grünen-Aschermittwoch gegeben. Zuletzt erst 2020, als ebenfalls Traktoren aufgefahren waren und Kretschmann dazu aufrief, Lebensmitteln und damit auch ihren Produzenten "endlich eine andere Wertschätzung entgegenzubringen". Dazu hat der Stellvertreter beim versuchten Rundumreinwaschen im Innenausschuss offenkundig verdrängt, dass der Ministerpräsident nur fünf Tage vor dem Aschermittwoch im Alb-Donau-Kreis von Bäuer:innen schon einmal an der Weiterfahrt gehindert worden war und einen Termin absagen musste. Angepasst wurden die Vorkehrungen in Biberach aber ganz offensichtlich nicht. Und selbst auf mehrfache Nachfragen kann oder will Strobl nicht mitteilen, wann, aufgefordert durch wen und auf Basis welchen Kenntnisstands entschieden wurde, dass der Regierungschef die Stadthalle gar nicht mehr anfährt, sondern vier Kilometer davor umdrehen lässt.

Nicht mal zum Telefon gegriffen

Ohnehin ist spannend und sicher Teil weiterer Aufarbeitung, was der Innenminister alles nicht berichten kann, auch weil er erst im Nachhinein aktiv geworden war. Zum Beispiel hätte er noch am Aschermittwoch Kontakt mit Grünen, konkret Oliver Hildenbrand aufnehmen können, den er seit Langem kennt als früheren Landesvorsitzenden und Fachpolitiker; so hätte er sich aus erster Hand berichten lassen können. Oder er hätte die Gelegenheit der nächsten Kabinettsitzung nutzen können für Gespräche mit vor Ort gewesenen Minister:innen. Oder er hätte den Biberacher CDU-Landtagsabgeordneten Thomas Dörflinger um eine Beschreibung der örtlichen Gegebenheiten bitten können, gleich nachdem ihn aus dem Lagezentrum des Innenministeriums die ersten Meldungen über die Biberacher Randale erreicht hatten. Dörflingers Wahlkreisbüro lag direkt im blockierten Areal.

Tatsächlich agieren Strobl, aber auch CDU-Landes- und Fraktionschef Manuel Hagel bis heute ganz anders. Nach wie vor fällt es ihnen schwer, sich ernsthaft an die Seite der Grünen, des Koalitionspartners in Baden-Württemberg, zu stellen und die Trecker-Fahrer:innen in die Schranken zu weisen. Diese fehlende Solidarität wird ebenfalls Gegenstand der weiteren Aufarbeitung sein. Selbst Kretschmann, sonst immer sehr bedacht auf Koalitionsfrieden, reagierte ungewöhnlich unwirsch auf die ersten Versuche der Aufarbeitung durch seinen Innenminister. Oliver Hildenbrand, der studierte Psychologe, wählte in seinem Eingangsstatement zur Ausschusssitzung die feine Klinge, als er daran appellierte, "gegen Hass, Hetze und Gewalt und für Anstand einzustehen". Dann bedankte er sich bei jenen, "die sofort nach Bekanntwerden der Ereignisse diese Haltung gezeigt haben". Jeder im Saal wusste, dass die hiesige CDU damit nicht gemeint war.

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6 Kommentare verfügbar

  • a dabei
    am 01.03.2024
    Antworten
    Wieso eigentlich werden die Auffahrten dieser panzergleichen Traktoren nicht schon im Vorfeld verboten und dann von der Polizei vereitelt? Schließlich handelt es sich bei der Randale dieser wild gewordenen Bauernschaft um eine „zweckfremde Benutzung“ ihres Ackergeräts. Und dann sollen wir…
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