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Kampfansage an den Lobbyismus

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Keine Spenden aus der Wirtschaft und Mitgestaltung für alle, sogar für Nicht-Mitglieder. Das verspricht "Demokratie in Bewegung". Bislang hat die neue Partei kein Programm, nur Grundsätze und riesige Ambitionen. Schon im Herbst will sie in den Bundestag einziehen.

Sie reden wie normale Menschen. Sie wirken wenig distanziert, sogar regelrecht authentisch. Und – das schlägt dem Fass glatt den Boden aus – anstatt mit Worthülsen über Unwissen hinwegzutäuschen, bekennen sie sich freimütig zu ihrer Ahnungslosigkeit, sofern das der Fall ist. Mit den gängigen Zugpferden des Polit-Establishments haben Sigrid Ott aus Leinfelden-Echterdingen und Mohammed Sharityar aus Tübingen wenig gemein.

Die beiden bilden das baden-württembergische Spitzenduo der Demokratie in Bewegung (DiB). Die Partei, die sich vor gut zwei Wochen in Berlin gegründet hat, will dem Lobbyismus den Kampf ansagen, sämtliche Nebeneinkünfte ihrer künftigen Abgeordneten offenlegen und ihre Entscheidungsprozesse für jedermann nachvollziehbar gestalten.

Die Türen der neuen Transparenz-Partei bleiben allerdings vorerst verschlossen: Die Presse muss draußen bleiben, während das Dutzend Mitglieder im Südwesten zehn Stunden lang den Landesverband Baden-Württemberg ins Leben ruft und dessen Landesliste aufstellt. Die Partei sei eben noch in der Findungsphase, entschuldigt das der politerfahrene Jörg Rupp. Der Ex-Grüne hat seine alte Partei Ende 2016 <link http: joergrupp.de gruener-rueckblick-und-austritt external-link-new-window>nach fast drei Jahrzehnten Mitgliedschaft enttäuscht verlassen. Jetzt ist er einer von zwei gerade gewählten Landesvorsitzenden und auf Listenplatz Nummer vier. Bei jungen Parteien könne es immer mal wieder zu Schwierigkeiten kommen, erklärt er, und "es wäre halt unschön, wenn sich direkt die Medien drauf stürzen" und die DiB gleich in der Entstehungsphase zerrupfen.

"Mensch, das ist genau das Richtige"

Immerhin ist zwischendurch ein bisschen Zeit für einen Plausch mit den frisch gekürten SpitzenkandidatInnen. Sigrid Ott betont, ihr sei es wichtig, "keine Ansagen von oben zu machen und dann gibt's daran nichts mehr zu rütteln." Für die 55-Jährige auf Listenplatz eins sei der Hauptgrund, für DiB aktiv zu werden, "dieses furchtbare Ohnmachtsgefühl, wenn man Nachrichten schaut und sich denkt, nichts verändern zu können". Über den Verteiler der Petitionsplattform change.org ist sie auf das geplante Konzept der Partei aufmerksam geworden, und dachte sich: "Mensch, das ist genau das Richtige."

Das Prinzip erinnert an die Piratenpartei und an Bepe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung in Italien: Über ein online-Portal können mindestens drei Personen, Parteimitglieder müssen sie nicht sein, eine Initiative einreichen. Anschließend wird gemeinsam über diese debattieren und Mitglieder können abstimmen. Wenn dabei bestimmte Quoren erreicht werden, kommt der Beschluss ins Programm und soll von den Mandatsträgern bindend umgesetzt werden. Bevor aber ein Vorschlag zur Debatte steht, wird er von einem Moderatoren-Team überprüft und muss einem Wertekatalog entsprechen, der sich am Grundgesetz orientiert: Transparente Teilhabe, Gerechtigkeit, Weltoffenheit und Nachhaltigkeit werden hier als zentrale Säulen genannt.

Das sind freilich Begriffe, die zum Standardrepertoire der parteilichen Wahlkampfwerbung gehören, und politisch so oft mit Füßen getreten wurden, dass ihre Verwendung bei kritischen Geistern mehr Argwohn denn Wohlwollen hervorruft. Und dennoch konnte das Konzept der DiB auf change.org in nur vier Monaten 100 000 UnterstützerInnen finden. Die Partei kündigte an, sich nur dann zu gründen, wenn diese Anzahl von Unterschriften erreicht wird. Kaum eine Petition in Deutschland war in der jungen Vergangenheit vergleichbar erfolgreich.

Beflügelt von diesem Triumph erreichen die Ambitionen der Partei in den Kinderschuhen schwindelerregende Höhen: "Das Ziel für die Bundestagswahl sind zehn Prozent", sagt Jörg Rupp, meint das ernst und behauptet sogar, das sei realistisch: "Zur Zeit liegt ein riesiges Stimmenpotenzial rum". Da gebe es nicht nur enttäuschte Ex-Grüne (zu denen Rupp bekanntermaßen selbst gehört) oder SPD-Linke. Sondern auch die Stimmen früherer Piraten-Wähler, nachdem die Partei komplett in der parlamentarischen Bedeutungslosigkeit versunken sei. Vor allem aber "diejenigen, die widerwillig die kleineren Übel wählen, um die noch größeren zu verhindern". Und sogar bei der AfD will die DiB Stimmen fischen: "Mindestens die Hälfte ihrer Stimmen bekommen die von Leuten, die nur aus Protest gegen die konventionellen Parteien rechts wählen", meint Rupp.

Das Vorbild ist Emmanuel Macron

Auch seine Kollegin in der Doppelspitze des Landesvorsitz, Sabine Onayli, bezeichnet den blitzschnellen Einzug in den Bundestag als möglich. Dafür wäre es aber wichtig, erklärt sie, dass die DiB schnell mehr Bekanntheit erlangt. Angesichts der astronomischen Ambitionen ist das mediale Echo bisher allerdings – freundlich formuliert – verhalten: Zur Gründung des Landesverbands kam, obwohl dutzende Einladungen verschickt worden sind, nur Kontext. Und auch bundesweit ist die Anzahl der bisherigen Berichte überschaubar. Immerhin: Über einen Artikel auf "bento.de", dem boulevardesk anmutenden Jugendportal von "Spiegel Online", ist Spitzenkandidat Mohammed Sharityar, Listenplatz zwei, auf die DiB aufmerksam geworden.

Die Grundidee habe ihn von Anfang an begeistert, erzählt der junge Mediziner mit afghanischen Wurzeln. "Nicht nur alle vier Jahre ein Kreuzchen machen zu können, sondern jeden Tag die Möglichkeit zur Mitbestimmung", meint er, "das ist doch eigentlich etwas, für das sich jeder begeistern können müsste." Für ihn persönlich sei das zentrale Thema, sich besser um die sozial schlechter Gestellten zu kümmern, insbesondere Geflüchtete.

Sharityar selbst ist im Alter von neun Jahren mit seinen Eltern dem Bürgerkrieg in seiner Heimat entkommen, und weiß über betroffene Bekannte und Verwandte, dass Afghanistan noch heute alles andere ist als ein sicheres Herkunftsland. Sein Vorbild für die Bundestagswahl, lässt er wissen, sei Emmanuel Macron. Schließlich habe es der mit einer neugegründeten Partei innerhalb von nur einem Jahr zur Präsidentschaft gebracht. 

Bei dem Prinzip der Mitmachpartei, betont das DiB'sche Spitzenduo unisono, sei es "gar nicht so wichtig", wer die Partei im Parlament vertritt. Denn es gehe nicht um Einzelpersonen, sondern darum, den Willen der Basis umzusetzen. Die eigens auferlegten moralischen Standards sind hoch. Laut dem Ethik-Kodex, den alle Mitglieder beim Parteieintritt unterzeichnen müssen, verpflichten sich Abgeordnete "keinerlei entgeltliche Nebentätigkeiten" auszuüben oder Geldspenden anzunehmen, alle Kontakte mit Lobbyisten offenzulegen und "drei Jahre nach Beendigung der Aufgabe als VertreterIn keinerlei entgeltliche Tätigkeit in Unternehmen, Verbänden oder anderen Organisationsformen der Interessenvertretung zu übernehmen". Außerdem ist nach spätestens zwei Legislaturperioden Schluss mit Ämtern, so dass insgesamt "Politik nicht mehr im Dienst privater Interessen" stehe.

Unternehmensspenden sind verboten

Zudem werden potenzielle Mitglieder einer akribischen Auslese unterworfen. Zuerst wird ein Motivationsschreiben von ihnen verlangt, und wenn das den Anforderungen gerecht wird, folgt ein 25-minütiges Interview. In Baden-Württemberg sind derzeit fast doppelt so viele Menschen in der Warteschleife wie in der Partei, nämlich rund 20. In den weniger mitgliederstarken Bundesländern, kündigt Onayli an, sollen diese Regelungen allerdings schnell ein wenig aufgelockert werden, damit das auch zügig klappt mit der Gründung weiterer Landesverbände.

Bislang gibt es die außer im Südwesten nur in Berlin, Nordrhein-Westfalen, Hessen und "vermutlich auch in Hamburg", teilt ein Pressesprecher der Bundespartei auf Anfrage mit. Ebenfalls bemerkenswert: Die Demokratie in Bewegung nimmt keine Geld- und Sachspenden von Unternehmen an, egal in welcher Höhe. "In der Praxis führt das zu Problemen", räumt die Landesvorsitzende Onayli ein. Die Satzung der Partei erlaube beispielsweise nicht einmal, dass sich die DiB Veranstaltungsräume sponsern lässt: "Aber der Lobbyismus, besser gesagt der Einfluss der Wirtschaft, hat inzwischen Ausmaße angenommen, die solche Schritte nötig machen." Nur so sei echte Unabhängigkeit möglich.

Diese strikten Auflagen dürften grundsätzlich viele SympathisantInnen finden. Die inhaltliche Ausrichtung der DiB hingegen ist derzeit noch maximal unklar. Ein Programm gibt es nicht, eine Einordnung in das Parteienspektrum ist damit unmöglich. Das betont auch Jörg Rupp, fügt allerdings hinzu: "Wer das Grundgesetz ernst nimmt, gilt heutzutage als links." Ob das immer noch zutrifft, wenn die Forderungen der Partei konkreter sind, wird sich im Sommer zeigen. Da, teilt Onayli mit, soll das Wahlprogramm, selbstverständlich basisdemokratisch, auf einem Bundesparteitag erarbeitet werden. Noch ein sportlicher Zeitplan. Eines hat die Partei in jedem Fall zu bieten: eine Menge Optimismus. 


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