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Tipps vom Papst

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Mit höchstem Lob vom Heiligen Vater für die deutsche Flüchtlingspolitik verlassen die baden-württembergischen Gäste den Vatikan. Aber der Papst muss sich auch keiner weiteren Wahl stellen.

Winfried Kretschmann trifft den Pontifex. Und der findet lauter warme Worte für Aufnahmebereitschaft und Engagement in Bevölkerung und Politik. Unter diesem Papst zählt es, standfest, mitmenschlich und barmherzig zu sein. Die absonderlichste Vorstellung bieten in den Augen von maßgeblichen Leuten im Vatikan seit Merkels "Wir schaffen das" hingegen die Christen von der Christlich-Sozialen Union Deutschlands. Seehofer, Scheuer und viele seiner Bayern wollen zwar in den Himmel kommen, haben dafür aber nicht mal die Bahnsteigkarte, die deutsche Revolutionäre nach Lenin kaufen, ehe sie einen Bahnhof besetzen. Sie haben gar nichts, außer einem Abo für den Beichtstuhl. Denn nähmen sie ihren Papst ernst, müsste nicht Merkel ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik korrigieren, sondern weit eher die CSU; und die zaudernden Hasenfüße in der CDU gleich mit.

Kein Politiker kann sagen – erst recht nicht im Beichtstuhl –, er habe von nichts gewusst oder leider viel zu spät erfahren, wie Franziskus tickt. Zum Jahreswechsel 2016 formulierte der im Kampf gegen die "Globalisierung der Gleichgültigkeit" seine sehr konkrete Botschaft an alle Staatenlenker, "die Gesetzgebungen über die Migration zu überdenken, damit sie – in der Achtung der wechselseitigen Pflichten und Verantwortungen – von Aufnahmebereitschaft geprägt sind". Da war ein Brief von 45 Ordensoberen an die CSU-Spitze schon einige Wochen alt, in dem sie so dringend wie weitgehend vergeblich baten, "einen Maßstab von Menschlichkeit aufzurichten in unserer Gesellschaft, der fußt auf Solidarität und dem Einsatz für Benachteiligte".

Nach dem Wahlergebnis aus dem abgelegenen Nordosten steht Deutschland am Scheideweg. "Change in design oder change in desaster", zeigt einer von Kretschmanns römischen Gesprächspartnern mit viel Erfahrung in der Flüchtlingshilfe die Alternativen auf. Soll heißen: In sehr großer Zahl werden demnächst Verzweifelte den Weg nach Europa suchen. Dann wird der Kontinent entweder "mit Kreativität und Risikobereitschaft an kreativen Lösungen" arbeiten, oder er wird überrannt. Weil Schlepper längst auf dem längeren Ast sitzen und Schlepperei heute mindestens so lukrativ ist wie Sklavenhandel im 17. oder 18. Jahrhundert.

Oder weil, so die im Vatikan für ihre Flüchtlingspolitik geradezu verehrte Kanzlerin nach dem G-20-Gipfel, Direktinvestitionen in Europa weiterhin zehn Mal so hoch sind wie auf dem afrikanischen Kontinent, obwohl dort zehn Mal so viele Menschen leben. "Wir müssen die traditionelle Entwicklungshilfe erhöhen, es müssen aber vor allem wirtschaftliche Perspektiven geschaffen werden", verlangt Albrecht von Boeselager, der Großkanzler des Malteserordens. "Wie soll ich baden-württembergische Mittelständler davon überzeugen, in Eritrea zu investieren?", fragt wiederum der CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl voller Skepsis. Die Antwort, sagen Helfer des Ordens, der in 120 Ländern der Erde aktiv ist, muss die Politik geben.

Kretschmann vom Papst links überholt

Dieser Papst aber hat sie längst formuliert. "Wir dürfen nicht mehr auf die blinden Kräfte und die unsichtbare Hand des Marktes vertrauen", urteilt er unmissverständlich 2013 im Apostolischen Schreiben "Evangelii Gaudium". Dann fallen drei Worte, die Millionen Unternehmern und Politikern, die sich im christlichen Glauben verankert meinen, durch Mark und Bein gehen müssten: "Diese Wirtschaft tötet." Größte Verdrängungsleistung ist auch gefragt angesichts der Botschaft, die er im Herbst 2014 ins Europäische Parlament mitgebracht hatte: "Man kann nicht hinnehmen, dass das Mittelmeer zu einem großen Friedhof wird!" Oder wenn der gelernte Chemietechniker den Bogen zur Zerstörung der Lebensgrundlagen schlägt: "Achtung vor der Umwelt bedeutet mehr, als bloß reinere Produkte zu gebrauchen oder von uns gebrauchtes Material der Wiederaufbereitung zuzuführen. [...] Wenn wir unsere Wälder zerstören, unseren Erdboden verwüsten und unsere Meere verseuchen, verraten wir unsere edle Berufung."

Natürlich sprach Kretschmann mit Franziskus über die Bewahrung der Schöpfung, über Ökonomie, Ökologie und Nachhaltigkeit. Und auch der grüne Kanzlerinnen-Unterstützer muss sich vom Papst gewissermaßen von links anmachen lassen. Denn der stellt Rücksichtlosigkeit gegenüber der Natur ohne Zögern in eine Reihe mit jener gegenüber dem Nächsten. "Die katholische Kirche kann sich glücklich schätzen, so einen wachen und aufmerksamen Papst zu haben, der alles verfolgt, was in der Welt passiert", wird der Ministerpräsident nach dem gut halbstündigen Gespräch unter vier Augen loben. Und könnte gleich damit beginnen, seine Position zu gravierenden sozialen Missständen auch in Deutschland zu überdenken und seine Position zur Erbschafts- und zur Vermögenssteuer.

Überhaupt hätte die Umsetzung päpstlicher Mahnungen in praktisches Handeln weitreichende Folgen. Kretschmann und Strobl könnten umgehend nach Oberndorf fahren und der dort ansässigen Rüstungsindustrie auf die Zehen treten. Nach Schätzungen von "Ohne Rüstung Leben" stirbt alle 14 Minuten irgendwo auf der Welt ein Mensch durch eine Kugel aus dem Lauf eines in der Kleinstadt am Neckar gefertigten Präzisionsgeräts. Ändern oder ergänzen könnte der Grüne auch seine Reiseplanungen. Ende Januar geht es nach Indien mit einer großen Unternehmerdelegation, natürlich weil die Exportweltmeister Exportweltmeister bleiben wollen und weil nach allgemeiner Ansicht in diesem System der eigene Vorteil immer zuerst kommen muss. Die Markterschließer von "Baden-Württemberg International", die seit mehr als 30 Jahren im Auftrag des Landes unterwegs sind, bieten auf ihrer Homepage Informationen zu rund 60 Regionen. Darunter sind mit Ägypten und Südafrika ganze zwei von unserem Nachbarkontinent im Süden. Wer sie anklickt, endet im Nirwana des Netzes.

Nachhilfe in Sachen Entwicklungshilfe

Einer der Gastgeber in Rom kam auf Nigeria zu sprechen. Das westafrikanische Land müsste reich sein, angesichts der Erdöl- und Erdgasvorkommnisse. Es ist aber eines der ärmsten der Welt. Seine Märkte werden überschwemmt mit Billigwaren, die die EU subventioniert – von Widerstand aus Deutschland oder speziell dem deutschen Südwesten ist bisher nichts bekannt. Wenn es um effektive Entwicklungshilfe geht, heißt es in der Ersten Welt gern, mit den korrupten Systemen in der Dritten Welt sei leider kein Staat zu machen. Für die Sicherung von Fischereirechten zum Schaden der ortsansässigen Fischer sind die korrupten Systeme aber gut genug.

Oder: Strobl könnte mit seiner Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut, ebenfalls von der Christlich-Demokratischen Union, über andere Handelsbeziehungen zu den Golfstaaten sprechen. Saudi-Arabien zählt wie Bayern und die Bundesrepublik insgesamt zu Baden-Württembergs bevorzugten Partnern. Der heimische Verkaufsschlager hat vier Räder und einen Stern. Kurienkardinal Peter Turkson aus Ghana, der als junger Kaplan in Stuttgart-Feuerbach gearbeitet hatte, warnt in bestem Deutsch davor, das Königshaus zu unterstützen. Das hat sich dem Wahhabismus verschrieben, einer besonders radikalen Auslegung des Koran, und unterstützt den IS zumindest hilft durch Gewährenlassen.

Dass Zähigkeit Erfolge zeitigen kann, erleben die Gäste bei einem Mittagessen in Trastevere, in einem Raum, in dem 1991 in zweijährigen Verhandlungen ein Frieden für Mozambique besiegelt wurde – nach 16(!) Jahren Bürgerkrieg, der Millionen Tote kostete. Noch heute leben in diesem Land 500 000 Aids-Waisen auf der Straße, und weniger als zehn Prozent der Sechsjährigen besitzen eine Geburtsurkunde. Wie von einem anderen Stern hört sich es an, wenn Kretschmann auf das Engagement des Landes in Burundi zu sprechen kommt. Ein förmliches Partnerschaftsabkommen hat er vor gut zwei Jahren unterschrieben, nicht weniger als neun Bundesländer teilen sich die etwa zwei Millionen Euro, die seither dorthin fließen. Dennoch hätte der Papst noch Grund genug, dem Grünen ins Gewissen zu reden. Oder ihm stumm alle seine zentralen Botschaften in schriftlicher Form in die Hand drücken und ans Herz legen. Zum Beispiel: "Wir sind alle aufgerufen, mit den Menschen zu teilen, denen das Nötigste fehlt." Oder seinem Motto der "frommen Provokation" ("Die Zeit") folgend: "Es stimmt, die Globalisierung hat viele Menschen aus der Armut gerettet, aber auch viele andere zum Hungertod verurteilt."

Kretschmann und Strobl stehen am Anfang einer Legislaturperiode. Also vor der längsten Phase, die deutsche Politiker, ohne sich einer Wiederwahl stellen zu müssen, zur Verfügung haben, um Worten Taten folgen zu lassen, in Wirtschaftspolitik und Entwicklungszusammenarbeit umzusteuern und Effekte oberhalb der Nachweisgrenze auszulösen. Denn, so Franziskus, "wir können nicht Teilzeit-Christen sein".


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2 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 22.02.2019
    Antworten
    Danke Johanna Henkel-Waidhofer für diesen Artikel |:-)

    Jetzt ist dieser Artikel so Umfangreich und vielfältig (ohne einfältig zu sein), dass sich derart viele Ansatzpunkte für Rückbetrachtungen, wie auch Zukunftsbetrachtungen, aufdrängen!

    Also ein erster Ansatz der Kommentierung - Christen,…
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