An immer neuen Horrorszenarien ist kein Mangel. Der Anbau von Spargel wird aus Südbaden verschwinden, jener der Salatgurke aus dem Unterland. Im Schwarzwald bieten Gasthäuser kein Mittagsmahl mehr an, die für Kontrollen zuständigen Zollbeamten poltern bewaffnet durch Hotels, bei Volksfesten wollen Schausteller nicht mehr schaustellern. Vereine landauf landab schränken ihre Übungszeiten ein und Unternehmen die Zahl der Praktikumsplätze. Die Zeitung zum Frühstück ist sowieso bald Geschichte, das Ehrenamt steht auf der Kippe und zehntausende Arbeitsplätze vor dem Aus. Minijobs fallen weg.
Ohnehin wird alles teurer: Blumen, Obst und wahrscheinlich auch Edelkarossen. Frust allerorten, und vor allem diese Papierberge mit den Listen zur Zeiterfassung. So schaut's aus in der Republik, 100 Tage nach Einführung des Mindestlohns. Oder doch nicht?
Der zuständigen Bundesministerin Andrea Nahles (SPD) und ihren Experten ist es gelungen, ein Gesetz vorzulegen, das jede Menge Schlupflöcher verstopft: Ehepartner dürfen nicht für weniger als 8,50 beschäftigt, Trinkgelder (!) nicht angerechnet werden, Arbeitszeitkonten logischerweise nicht dazu führen, dass der Stundenlohn unter die gesetzliche Schwelle sinkt. Die Bereitstellung der inzwischen schon berühmt gewordenen Fleischer- oder Küchenmesser oder von Einheitskleidung bleibt Arbeitgeber-Pflicht, ein Taxifahrer, der am Stand stehend auf Kundschaft wartet, befindet sich nicht in der Freizeit, Scheinselbständigkeit ist - was Wunder - verboten. Und vor allem sind diese einfachen Listen, in denen für alle Beschäftigten Name, Arbeitsanfang, -zeit und -ende erfasst werden, bis auf weiteres lückenlos zu führen, und zwar - das zum Thema Papierberge - auch als Excel-Tabelle.
Wer Mäßigung anmahnt, dringt kaum durch
Peter Bofinger, linker Flügelmann unter den fünf Wirtschaftsweisen, weiß warum. Und er kritisiert das "Geschrei über die hohen bürokratischen Hürden" nicht nur, er entlarvt es: Weil sich daran ablesen lässt, wie viele unbezahlte Überstunden bisher tatsächlich geleistet würden. An der Stundenschraube zu drehen, sagt der gebürtige Pforzheimer, sei "der einfachste Weg, den Mindestlohn zu umgehen". Die Aufregung hält er ohnehin für vorgeschoben: Wer die Arbeitszeit vernünftig eintragen wolle, brauche in Wahrheit nur einen Stift und eine Kladde.
Erfasst werden muss in jenen Branchen, die schon mit dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz definiert wurden. Es geht ums Baugewerbe, um Gaststätten und Hotels, Busunternehmen, das Speditions-, Transport- und das damit verbundene Logistikgewerbe, um die Schausteller, die Unternehmen der Forstwirtschaft, um Gebäudereiniger, Messeaufbauer und um die Fleischwirtschaft. Sie alle jammern gewaltig - wer ausschert und Mäßigung anmahnt, dringt kaum durch -, und andere jammern gleich mit ob der angeblich erdrückenden Neuerungen.
Verbände stellen sich mit ihrem Lamento selber bloß
Aber wenn die derart existentiell sind, welche Vorschriften sind dann alle missachtet worden in den vergangenen Jahren, als es zwar viele tariflich vereinbarte Untergrenzen, Zuschläge, Überstundenordnungen gab samt Erfassungspflicht, aber weniger unangekündigte Kontrollen und keine Strafen in sechsstelliger Höhe?
Auch große ehrenwerte Verbände stellen sich selber bloß. Jener der Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) war Ende März, anders als der DGB übrigens, zu einer Anhörung der CDU-Fraktion in den Landtag geladen. Unter seinen Mitgliedern sind viele aus dem Who is Who der heimischen Wirtschaft, ABB in Mannheim und Mahle in Stuttgart, Trumpf in Ditzingen oder Voith in Heidenheim, ZF in Friedrichshafen, Daimler, Bosch und Porsche, viele große und kleine Global Player mit Riesenumsätzen, -gewinnen oder Rekorddividenden. Und für sie soll es eng werden, wenn sie Praktikanten, die sie zum zweiten Mal im Unternehmen beschäftigen, achtfufzig pro Stunde zahlen?
Die Verbandsvertreter verlangen von der Bundesregierung jedenfalls Änderungen. Und der Hotel und Gaststättenverband (DEHOGA) warnt seine Mitglieder: Ein "echtes Praktikum" liege nur vor, wenn der Erwerb praktischer Kenntnisse und Erfahrungen zur Vorbereitung auf eine berufliche Tätigkeit im Vordergrund steht; stehe dagegen die Arbeitsleistung im Vordergrund, handelt es sich um ein Arbeitsverhältnis. Seit wie vielen Jahren wird die "Generation Praktikum" beschrieben und Abhilfe verlangt von den Sozial- und den Bildungspolitikern aller Parteien?
3 Kommentare verfügbar
Bernd
am 12.04.2015Mir ist leider nicht ganz klar geworden, ist ihr Beitrag Satire oder Realsatire?