KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Strompreis-Blödsinn 2.0

Strompreis-Blödsinn 2.0
|

Datum:

SPD-Energiesuperminister Sigmar Gabriel hat ein 12-seitiges Papier vorgestellt, mit dem er die Förderung der erneuerbaren Energien reformieren will. Kontext-Redakteur Jürgen Lessat lässt kein gutes Haar am "EEG 2.0", wie Gabriels Vorschlag medienwirksam heißt. Der Bürger wird weiter betrogen und belogen, kommentiert der Energieexperte unserer Redaktion.

Chapeau! Die Christdemokratische Partei Deutschlands, kurz CDU, leistet sich in ihrer Bundestagsfraktion einen "Koordinator für Energiepolitik", der ziemlichen Unsinn redet. "Zukünftig muss sich der Wind-Zubau auf gute Standorte konzentrieren. Wo es keinen Wind gibt, macht auch kein Windrad Sinn", kommentierte der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß aus dem schwäbischen Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen die jüngsten EEG-Reformpläne von SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel. Für wie blöd hält der christdemokratische "Energieexperte" von der rauen Alb eigentlich Investoren, die ihr Geld in die deutsche Energiewende stecken? Glaubt er wirklich, dass diese Millionen in Windräder investieren, die an windstillen Orten stehen und sich nie drehen?

Bareiß' Aussage ist symptomatisch für das Niveau, auf dem die deutsche Energiewende in Politik, Medien und Gesellschaft derzeit abgehandelt wird. Viel Halbwissen und bei Bedarf ordentlich Provokation und Populismus machen jeden Hinterbänkler noch zum Energieexperten. Doch vielleicht ist Bareiß tatsächlich schlauer, als es auf den ersten Blick ausschaut. Vielleicht sagt dieser Experte eben solchen Blödsinn, um Stimmung zu machen? Gegen erneuerbare Energien. Denn wie in kaum einem anderen Bereich wird derart getäuscht, getrickst, und auch unverhohlen gelogen wie in der hiesigen Energiepolitik! Schließlich geht es um Geld, viel Geld. Rund 200 Milliarden Euro, die Deutschland jährlich für seine Energieversorgung ausgibt. "Im Land gehen die Lichter aus, wenn Wyhl nicht gebaut wird", log in den Siebzigerjahren die CDU-geführte Landesregierung unter dem ehemaligen Marinerichter Hans-Karl Filbinger. Das Atomkraftwerk am südbadischen Kaiserstuhl wurde nach heftigem Widerstand der Bürger nie gebaut, und alle Lichter brannten weiter.

Souveräne Politik: Wenn die Kanzlerin zweimal wendet

Die Mär vom stromlosen Leben bei Kerzenschein wurde wiederbelebt, als CDU-Kanzlerin Angela Merkel im Jahr 2010 zunächst die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke verlängerte. Und auch die Strombosse warnten vor dem Blackout, als dieselbe Kanzlerin nach Fukushima im Frühjahr 2011 die eben erteilte Laufzeitverlängerung wieder kassierte und die Energiewende ausrief. Seither wird gekämpft, mit allen Mitteln und harten Bandagen, eben gegen den energiepolitischen Aus- und Umstieg. Denn die Wende ist tatsächlich ein Systemwechsel: weg von schmutzigen Kohle- und strahlenden Atomriesenkraftwerken in Besitz der vier großen Konzerne (EON, RWE, Vattenfall, EnBW), hin zu sauberer dezentraler Energie aus Solar-, Wind-, Wasser- und Biomasseanlagen, die sich zudem oft in Bürgerhand befinden.

Um den Systemwechsel möglichst lange hinauszuzögern oder gar doch noch zu verhindern, ist fast jedes Mittel und Opfer recht. Seien es Desinformationskampagnen à la Bareiß, oder Zehntausende Arbeitsplätze, die in den vergangenen zwei Jahren bei mittelständischen Handwerkern und Solarmodulherstellern verloren gingen, weil CDU und FDP die Einspeisevergütung für Solarstrom zuletzt zu radikal zusammenkürzten.

Sparen mit teurer Offshore-Windkraft – wie geht das denn?

Und jetzt Energieerzengel Gabriel! Mit seinen Vorschlägen, unter anderem den garantierten Preis für erneuerbaren Strom innerhalb von zwei Jahren von derzeit durchschnittlich 17 Cent auf 12 Cent zu drücken, macht der SPD-Vorsitzende den besseren FDP-Rössler (das ist derjenige, den die "freien Kräfte des Marktes" aus dem Bundestag gespült haben). Denn gekürzt und begrenzt wird vor allem bei "billigen" Erneuerbaren, bei Windkraft an Land und bei Photovoltaik. Ausgerechnet die teuerste saubere Energiequelle kommt bei Super-Gabriel nahezu ungeschoren weg: Windparks auf hoher See. Doch die gehören auch den großen Energiekonzernen. Die Pläne für einen gedrosselten Ausbau der Windkraft an Land seien "volkswirtschaftlich unsinnig", sagt Torsten Albig. Das Schlimme ist: Der glatzköpfige SPD-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein hat recht.

"Positiv ist, dass wir jetzt eine Diskussionsgrundlage haben, auf der man aufbauen kann. So ist es zwar richtig, Überrenditen bei Windenergieanlagen an Land an sehr guten Standorten abzubauen. Ausbaukorridore für diese günstigste Form der erneuerbaren Energien sind jedoch unnötig und kontraproduktiv. Sie würden die bisherige Planung und öffentliche Konsultationen zum Netzausbau konterkarieren, zu einem Wettlauf der Investoren gegen die Zeit führen, die Qualität der oft langwierigen Planungen nachteilig beeinträchtigen und alle Beteiligten erheblich verunsichern. Unklar bleiben auch die Auswirkungen auf den Ausbau der Windkraft in Süddeutschland", sagt auch Baden-Württembergs grüner Umweltminister Franz Untersteller, den Kontext um eine Stellungnahme zum Gabriel-Papier gebeten hat.

Wir erinnern uns: Das Einspeisegesetz EEG wurde erfunden, damit Solar- und Windanlagen konkurrenzfähig gegen abgeschriebene Kohle- und Atommeiler sind. Inzwischen haben die Erneuerbaren den Strom so massiv verbilligt, was die EEG-Umlage zwangsläufig verteuert. Absurderweise wird gerade auch dies den Erneuerbaren zum Vorwurf gemacht. Verschwiegen wird der eigentliche Skandal, nämlich, dass die Stromkonzerne den gesunkenen Börsenpreis nicht an die Verbraucher weitergeben.  Im Herbst 2013 stellte das renommierte Öko-Institut sogar fest, dass die EEG-Umlage in den nächsten Jahren kaum weiter steigen wird. Doch das kümmert weder SPD-Gabriel noch CDU-Bareiß. (Die Studie gibt es <link http: www.oeko.de oekodoc _blank>hier zum Download.)

Wurscht ist es diesen Energieexperten auch, dass sich Kohle konkurrenzlos billig zu Strom verfeuern lässt, obwohl gerade dies den Klimawandel weiter anheizt. Grund ist der Preisverfall der CO2-Emissionszertifikate, gegen den die letzte schwarz-gelbe Bundesregierung nichts unternommen hat. In Gabriels Ökostrom-Reformpapier steht dazu nichts. "Aussagen zum größten Treiber der EEG-Umlage, dem CO2-Emissionshandel, fehlen leider völlig", kritisiert der baden-württembergische Umweltminister Untersteller. Andere Punkte des Papiers zeigten zwar in die richtige Richtung, entscheidend werde aber die konkrete Ausgestaltung am Schluss sein, so Untersteller. Hierzu zähle etwa die angekündigte Überprüfung der in den letzten Jahren ausgeuferten Anzahl von Unternehmen, die von der EEG-Umlage befreit wurden. "Bis aus den Eckpunkten ein sinnvolles Gesetz wird, steht uns also noch viel Arbeit bevor", lautet Unterstellers Fazit. Dem kann, nein muss, man nur zustimmen.

Schaffen und eben nicht Blödsinn 2.0 schwätzen. Die deutsche Energiewende als Motor in ein neues nachhaltiges Energiezeitalter ist es wert. Energieträger wie Sonne und Wind, um die keine Kriege geführt werden, die keine Klimaerwärmung verursachen und die auf Dauer kostengünstiger und innovationstreibender als fossile Brennstoffe sind, was kann es Besseres für eine fortschrittliche Industriegesellschaft geben? Das sollte der Energiesuperminister Gabriel mal in sein EEG-Papier schreiben!


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


7 Kommentare verfügbar

  • Ulrich Frank
    am 28.01.2014
    Antworten
    @Johannes Igel, 24.01, 17.44h. Im telepolis-Artikel von Wolfgang Pomrehn vom 24.12.2013 mit dem Titel: : Gänsebraten-Blackout: Windige Weihnachten; Windstrom brät die deutsche Weihnachtsgans und die hiesigen AKW versorgen Österreich und die Niederlande (http://www.heise.de/tp/blogs/2/155574) steht…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:





Ausgabe 709 / Bedeckt von braunem Laub / bedellus / vor 2 Tagen 8 Stunden
Schön! Danke!

Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!