Was für ein Bild. Kretschmann und Herrenknecht mit Helm vor der weltweit größten Tunnelbohrmaschine. Sehr symbolisch. Klar hat die Werbeabteilung der Firma Herrenknecht auf dieses Foto gedrängt, aber der Ministerpräsident hat immer Berater dabei, die auf solche Optik achten. Und die hatten offensichtlich nichts dagegen, oder anders gesagt: alle waren einverstanden. Mit der Aussage, dass sich zwei Männer einig sind, Vertrauen in die deutsche Ingenieurskunst und den Willen haben, loszulegen.
Das ist insoweit bemerkenswert, als das lange Zeit anders war. Kretschmann wollte nicht bohren, und Herrenknecht muss es, weil er nicht anders kann. Nun ist anzumerken, dass das Nichtbohrenwollen in die Oppositionszeit des grünen Laizers fiel und in die Vorzeit der Volksabstimmung, die ihm das Bohren zur Pflicht gemacht habe, wie er sagt. Der andere, also Herrenknecht, hat das nie verstanden. Bohren ist für ihn keine Frage des Volkes, sondern des Geldes, das es zu mehren gilt, welche Kollateralschäden es auch immer haben mag. Dafür bedient er sich der Politik, mit Vorliebe der schwarzen und roten und jetzt eben der grünen. So sind sie zusammengekommen, der einstige S-21-Kritiker und der -Profiteur. In "sehr herzlicher und unkomplizierter" Atmosphäre.
Der Helm von Herrenknecht drückt schwer
Wie ausgiebig berichtet, war das für Winfried Kretschmann ein schmerzhafter Prozess. Der Hannah-Arendt-Verehrer muss den Helm des Hemdsärmels Herrenknecht aufsetzen. Wenn die Wahrheit gebogen wird, dann tut das dem Katholiken weh, dann quält er sich in der "paradoxen Situation", etwas tun zu müssen, was er eigentlich nicht will, dann knetet er die Hände, bis die Knöchel weiß werden. Aber das Volk, zumindest die Mehrheit, hat doch gesprochen, sagt er. Ob er schon im Beichtstuhl war, sagt er nicht.
Aber wenn wir schon bei der Wahrheitsfindung sind: Kretschmann war nie ein eingefleischter S-21-Gegner wie etwa sein Namensvetter Hermann. Das Projekt war nie eine Herzensangelegenheit, die ihn wirklich berührt hätte. Wäre es so, hätte er sich von seinen Ratgebern nicht zum Aussitzen drängen lassen, sondern gekämpft. Für Bürger, die gehört werden wollten und gegen Schmiedel, Grube & Co., die er erhört hat bis zur Selbstverleugnung. Stuttgart 21, dieses als Bahnhofsneubau getarnte Politikum, war nie sein Ding. Zuletzt nur Grund, genervt und gereizt zu sein. Die Hoffnung, dass es sich, wie auch immer, von selbst erledigen würde, die Gegner zu Hause blieben, das war seine Strategie. Und deshalb sagt er jetzt, S 21 sei für ihn kein Wahlkampfthema, und deshalb sagt er im neuen "Spiegel", er werde alles dafür tun, das Projekt gut und schnell auf die Beine zu stellen. Er hätte auch sagen können, er opfere alles, was noch an Kritik übrig geblieben ist, der Koalition mit den Sozis, die bis heute auf seine Demut, Gottes Segen und Schmiedels Beton bauen.
Für die Oben-bleiben-Grünen, die es wirklich gibt, ist diese Festlegung ein Graus. Sie wissen, dass sie jetzt wieder als "Verräter" beschimpft werden, als Steigbügelhalter des schwarzen Kartells, das den Bürgern zeigt, wo die Banane hängt beziehungsweise der Bohrer steht. Das seien schädliche Bilder, klagt Brigitte Lösch, die Landtagsvizepräsidentin, und meint das Tête-à-Tête von Kretschmann und Herrenknecht vor dem Buddelmonster. Und sie fragt, wo das Gespür für die eigene Klientel bleibt? Lösch gehört zu den wenigen prominenten Grünen im Land, die sich als Rednerin auf die Montagsdemonstrationen trauen, und so, im Gegensatz zur Villa Reitzenstein, noch wahrnimmt, was auf der Straße los ist. Für sie ist und bleibt S 21 ein Wahlkampfthema – "und zwar aktiv". Dasselbe gilt, nimmt man sie beim Wort, für die Landesvorsitzenden Thekla Walker und Chris Kühn, die Fraktionschefin Edith Sitzmann, den Schwäbisch Haller Bundestagsabgeordneten Harald Ebner (siehe auch <link http: www.parkschuetzer.de assets statements original _blank external-link-new-window>seine Rede auf der Montagsdemonstration am 18. 3.) sowie für die Stuttgarter Ratstruppe, deren Vorsitzender Peter Pätzold "Flagge zeigen" will. Kretschmann wird also aufpassen müssen, wenn er sich weiter treiben lässt. Etwa bei der Finanzierung des Filderbahnhofs. Sollte er dort zu Zugeständnissen bereit sein, warnt Lösch, "fliegt ihm die Partei um die Ohren".
Die Berliner Grünen wollen nicht umarmen, sie wollen angreifen
So weit wird es, in Treue fest zum eigenen MP, nicht kommen. Auch wenn die Berliner Parteifreunde einen anderen Kurs als Kretschmann fahren. Sie wollen nicht umarmen, sie wollen angreifen, weil sie eine passende Zielperson entdeckt haben: die Kanzlerin. "Merkels Bahnhof" – mit diesem Begriff ist Stuttgart 21 personifiziert und fügt sich wunderbar ins Bild der explodierenden Großprojekte wie des Berliner Flughafens und der Hamburger Elbphilharmonie.
Daraus lässt sich Honig saugen, weshalb die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Renate Künast, auch sagt, "natürlich" werde der Bahnhof ein Wahlkampfthema. Zumal Frau Merkel, so Künast gegenüber der "Bild"-Zeitung, schon einmal eine Wahl zur Abstimmung über S 21 erklärt und verloren habe. Dass daraus die Falschmeldung wurde, sie wolle die Bundestagswahl zum erneuten Votum über das Jahrhundertprojekt machen, verdrießt sie nur mäßig. Manchen Journalisten falle es "offenbar schwer", so Künast zur Kontext:Wochenzeitung, zwischen einem Wahlkampfthema und einer Abstimmung zu unterscheiden. So viel Keil zwischen ihr und Kretschmann möchte dann doch nicht sein. An ihrer Seite weiß sie auch noch Fraktionschef Jürgen Trittin, dem die Nöte der Bürger in den anderen Bundesländern aufgefallen sind, die wegen des schwäbischen Milliardengrabs um ihre Eisenbahn fürchten. Das kommt gut, und deshalb warnt er ganz energisch vor dem Weiterbau in Stuttgart.
Was für die Grünen ein Gewinnspiel werden kann, ist für die SPD, im Bund wie im Land, wohl schon verloren. In Berlin hat sie die Brisanz von S 21 nie erkannt, in Stuttgart die große Koalition mit den Betreibern geschmiedelt, was die Frage erlaubt, warum man SPD wählen soll? Das unterirdische Original ist die CDU, die im O-Ton sowieso unschlagbar ist. Für die Christdemokraten war immer Tunnel angesagt und der Grüne der Feind im Dunkel, den man möglichst meidet. Der Kretschmann, lästert Fraktionschef Peter Hauk gegenüber der Kontext:Wochenzeitung, werfe doch nur "Nebelkerzen", verteile "Beruhigungspillen" und arbeite ansonsten am "gepflegten Eindruck des präsidialen Landesvaters". In seiner Partei habe er eh nichts zu melden. Zack, hat der gelernte Förster wieder einen Baum umgehauen.
Die Spitzengenossen im Land wollen "auf Teufel komm raus" bauen
Die Genossen in der Hauptstadt sind etwas vorsichtiger. Ihr bahnpolitischer Sprecher Martin Burkert würde es zwar "sehr begrüßen", wenn das Kretschmann'sche Unterfangen gelänge. Aber selbst ihm fehlt der Glaube, weil Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) demnächst verkünden werde, dass das Verkehrsministerium eine Milliarde Euro weniger bekomme. Und dann, so der SPD-Experte, "geht's richtig los". Zum Beispiel gegen die Sozialdemokraten, die an der Schraube mit gedreht haben und von der Kostenexplosion wussten, auch im Zuge der Volksabstimmung, bei der "die Bevölkerung getäuscht worden ist". Hätten sie mal die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis gefragt, aber die Ulmerin zählt zu jenen Restlinken in der Partei, die den Fortschritt nicht haben wachsen sehen und deshalb kaum Einfluss haben. Im Land dreimal nicht, weil sie dort Nils Schmid (Finanzminister), Claus Schmiedel (Fraktionschef) und Wolfgang Drexler (Ex-Mister S 21) gegenüberstand, die S 21 unbedingt wollten und wollen. "Für sie darf jetzt nichts anderes passieren", weiß Mattheis, " sie wollen auf Teufel komm raus bauen". Insoweit sei das Thema für die SPD "total erledigt".
Cem Özdemir wird's freuen. Mit Ute Vogt (SPD) und Stefan Kaufmann (CDU) muss er so nicht um ein Alleinstellungsmerkmal streiten, allenfalls noch die respektable Gewerkschafterin Christina Frank (Linke) im Auge behalten, die auch kein Fan der vermeintlich schnellen Schiene ist. Er wird die Hand schützend über den Bahnhof halten, nicht, weil er der heilige Christophorus wäre, der die Reisenden vor Unbill schützt, sondern weil das von ihm erwartet wird. Er könne nicht über die Straße laufen oder U-Bahn fahren, berichtet er, ohne auf Stuttgart 21 angesprochen zu werden. Ergo wäre es "ebenso unhöflich wie unprofessionell", wenn er darauf nicht antworten würde.
Und da hat der 47-jährige Uracher, der in Stuttgart ein Direktmandat erobern will, viel zu erzählen. Klar geht's gegen Merkel, die Altenpfleger preise und des Steuerzahlers Geld im ehemaligen Stuttgarter Schlossgarten, im Berliner Flughafen und an der Hamburger Elbe versenke. Die ständige Frage laute: Wem glaubt ihr mehr? Denen, die sich um Milliarden verrechnet haben, oder denen, die von Anfang an richtig gerechnet haben? Das waren natürlich die Grünen. Danach wäre ein "mea culpa" der Befürworter fällig, bevor sie "sich in die Pension" verabschieden und die Stuttgarter den Lärm und Dreck der Tunnelbohrungen um die Ohren haben. Für einen Rentner hätte Özdemir sogar Arbeit. Er empfiehlt Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) eine Spitzenkraft zum Vorsitzenden der Reformkommission für Großprojekte zu machen, die es jetzt richten soll: Stefan Mappus.
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peterstellwag
am 25.03.2013cem özdemir will zurecht in seinem wahlkreis ein mandat für den bund…