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OLG-Urteil gegen Kontext

Jetzt erst recht

OLG-Urteil gegen Kontext: Jetzt erst recht
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In all der Aufregung um das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt gibt es eine Sache, die uns freut wie Schnitzel: die Solidarität, die uns erreicht! Von unseren Leser:innen und von Kolleg:innen. Danke! Das bestärkt uns, weiterzumachen. Denn wir haben einen Plan.

Zuletzt gab es nicht allzu viel, worüber wir uns freuen konnten. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main untersagte uns die identifizierende Berichterstattung über einen Rechtsextremen und dessen menschenverachtende Facebook-Chats. Nach sieben Jahren Auseinandersetzung vor Gericht. Begründung: Der Senat habe sich kein Bild machen können über "die Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit" unserer Informations-Quelle und damit über die Authentizität der Chats. Dem Kläger, damals Mitarbeiter von AfD-Landtagsabgeordneten, sollen wir als gemeinnütziges und spendenfinanziertes Medium nun 25.000 Euro Schadenersatz plus Zinsen zahlen und die Gerichtskosten tragen. Insgesamt wären das mehr als 100.000 Euro.

Noch wichtiger aber ist etwas anderes: Das ist ein Urteil, das am Fundament der journalistischen Arbeit rüttelt – dem Quellenschutz. Dem Prinzip, die Identität von Informant:innen nicht offenzulegen. Denn "kritischer Journalismus ist nur möglich, wenn sich Personen vertrauenswürdig an Medien wenden können, um Missstände aufzudecken", wie die Organisation Reporter ohne Grenzen treffend schreibt. Deswegen können und wollen wir dieses Urteil so nicht stehen lassen und möchten vor den Bundesgerichtshof ziehen. Was uns zusätzlich 40.000 Euro kosten würde, wenn wir verlieren.

Mehr Recherchen über rechtsextreme Umtriebe

Seitdem wir vor anderthalb Wochen den ersten Text zu der Entscheidung des Gerichts veröffentlicht haben, sind schon rund 15.000 Euro Spenden bei uns eingegangen, damit wir unsere eigentliche journalistische Arbeit trotz der immensen finanziellen Belastung weiter machen können wie gewohnt. Dafür bedanken wir uns von ganzem Herzen bei unseren Unterstützerinnen und Unterstützern.

In dieser Woche starten wir zusätzlich eine Spendenkampagne. Zwar haben wir zum Glück die Einnahmen unserer – vorausschauenden – Spendenkampagne vor sechs Jahren in dieser Sache selbstverständlich beiseite gelegt. Aber – siehe oben – das reicht nicht ganz. Außerdem haben wir Pläne: Wir wollen ein Rechercheteam finanzieren, das sich – jetzt erst recht! – verschärft rechtsextremen Umtrieben in Baden-Württemberg widmen soll. In der Kontext-Redaktion haben wir für mehr Hintergrund-Recherchen keine Kapazität und uns deshalb der Unterstützung von freien, auf Rechtsextremismus spezialisierten Autor:innen versichert, die zu diesem Thema arbeiten.

Warm ums Herz

Balsam für die Kontext-Seele waren in den vergangenen Tagen auch Artikel und Social-Media-Beiträge, die wir über uns lesen konnten. René Martens schrieb in der MDR-Medienkolumne "Das Altpapier" am 2. April zunächst über die US-amerikanische Medienkritikerin Margaret Sullivan und über die Aufgabe der Presse in Zeiten von Trump. Er zitierte sie mit den Worten: "Ich habe keine Ahnung, ob uns die Wahrheit, wenn sie klar und mutig ausgesprochen wird, retten wird (…). Aber ich weiß, dass wir wirklich verloren sein werden, wenn alle einfach aus Angst nachgeben." Um danach zum Kontext-Fall überzuleiten: "Wenn es eine Journalistin verdient hat, für 'Mut und Direktheit' (Sullivan) gewürdigt zu werden, ist es die heutige 'Kontext'-Chefredakteurin Anna Hunger. Pressekammern hiesiger Gerichte halten manchmal aber nicht allzu viel von Mut und Direktheit, und diese Erfahrung musste 'Kontext' in der vergangenen Woche beim Oberlandesgericht Frankfurt/Main machen." Da wird es einem ganz warm ums Herz.

Über die OLG-Entscheidung berichtete auch Peter Nowak im "Neuen Deutschland" und für das Verdi-Magazin "Menschen machen Medien". Katharina Thoms hat uns für den "Deutschlandfunk" interviewt. Und während dieser Text entsteht, sitzt Kontext-Redakteur Minh Schredle, der wie Anna Hunger ebenfalls Beklagter ist, für ein Interview im Studio des Freien Radios Stuttgart.

Klar und deutlich war auch ein Kommentar auf Social Media von Daniel Drepper, mehrfach preisgekrönter Investigativjournalist und Leiter des Rechercheverbunds NDR, WDR und "Süddeutsche Zeitung". Auf "Bluesky" schrieb er: "Dieses Urteil ist beunruhigend für den investigativen Journalismus!" Hunger habe "ihre Quellen geschützt – und ist offenbar deshalb nun vor Gericht abgestraft worden. (…) Dieses Urteil, sollte es so Bestand haben, ist ein ganz schlechtes Zeichen für alle, die gut recherchieren und ihre Quellen schützen wollen."


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4 Kommentare verfügbar

  • Wolfgang Weiss
    vor 3 Wochen
    Antworten
    Ich schließe mich solidarisch an und bin schon sehr gespannt auf die Rede von Susanne Stiefel
    auf der 753. Montagsdemo zum "Informationsfreiheitsgesetz (IFG)". Siehe https://www.parkschuetzer.de/statements/217052
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