Der freie Sender "Radio Dreyeckland" (RDL) kann seit der Gründung 1977 auf ein paar seltsame Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht zurückblicken, auch in der jungen Vergangenheit. Als ein freier Mitarbeiter, der zu diesem Zeitpunkt in der Nähe der französischen Stadt Dijon lebte, 2019 über den G7-Gipfel in Biarritz berichten wollte, hat ihn die Polizei eingesperrt und nach Kehl abgeschoben – weil sie ihn auf Basis eines falschen Hinweises der deutschen Kolleg:innen für einen "Gefährder" hielten (später bekam der Betroffene wegen dieser rechtswidrigen Behandlung eine Entschädigung zugesprochen). Nur wenige Monate später, im September 2020, war der RDL-Redakteur und Fotojournalist Julian Rzepa auf einer "Querdenken"-Kundgebung, um Bilder zu machen. Dabei schlug eine Demonstrantin gegen seine Kamera und beschädigte das Objektiv. Rzepa zeigte das an, doch das Freiburger Amtsgericht stellte das Verfahren aus "Mangel an öffentlichem Interesse" ein und der Journalist blieb auf den Anwaltskosten und einem kaputten Objektiv sitzen.
Der neuste Fall in dieser unrühmlichen Serie ist allerdings noch einmal eine ganz andere Hausnummer. So ließ die Staatsanwaltschaft Karlsruhe am 17. Januar dieses Jahres mehrere Razzien im Umfeld des Radios durchführen. Betroffen waren die privaten Wohnungen des Geschäftsführers und des Redakteurs Fabian Kienert. "Zuerst habe ich gedacht, das sind Einbrecher", beschreibt Kienert die Situation. Er wurde um 6:45 Uhr von dem Lärm geweckt, als sich die Beamten gewaltsam Zutritt verschafften und diverse Datenträger beschlagnahmten. Kienert hatte in einem seiner Artikel einen Link auf die Archivseite von "linksunten.indymedia" gesetzt – und die Staatsanwaltschaft Karlsruhe wollte darin die Unterstützung einer verbotenen Vereinigung erkennen.
Auf "linksunten.indymedia" konnten alle Menschen mit Internetzugang anonym Beiträge verfassen, dabei wurde nur selten moderiert. Zu finden waren dort auch Bastelanleitungen für Brandsätze, Aufrufe zur Gewalt und andere strafrechtlich relevante Inhalte. Laut Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) handelte es sich um die "wichtigste Plattform des gewalttätigen Linksextremismus" in Deutschland, 2017 wurde "linksunten.indymedia" verboten. Allerdings nicht als Medium, sondern als Verein, von dem zuvor niemand wusste, dass er existiert.
Eine eingetragene Organisation namens linksunten gab es nicht. Also konstruierte das Bundesinnenministerium einen Verein, um den informellen Zusammenschluss verbieten zu können.
Seit dem Verbot liegen keine Hinweise auf weitere Aktivitäten des Personenzusammenhangs vor und das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen die mutmaßlichen Betreiber:innen wegen "Bildung einer kriminellen Vereinigung" wurde am 12. Juli 2022 aus Mangel an Beweisen eingestellt. Darüber berichtete Kienert in seinem Artikel, der ein juristisches Nachspiel haben sollte. Und dass hierbei eine Unterstützung des Vereins vorgelegen haben soll, macht die Staatsanwaltschaft an der "Gesamtschau" fest, wie ein Sprecher gegenüber Kontext erläutert. Im inkriminierten Artikel gebe es drei Indizien, deren Zusammenwirken einen Verdacht rechtfertige.
Um einen Verein zu unterstützen, muss es ihn geben
Einmal sei da die Verlinkung im (inhaltlich zutreffenden) Satz: "Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite." Zudem moniert die Behörde die Bildauswahl: Über dem Text ist eine Hausfassade zu sehen, auf die jemand den Schriftzug "Wir sind alle linksunten.indymedia" gesprayt hat. (Wobei sich die Bildunterschrift die Aussage explizit nicht aneignet: "'Wir sind alle linksunten' – ob dem so ist, war auch ein Streitpunkt auf der Podiumsdiskussion über das Verbot der Internetplattform.") Und schließlich komme noch hinzu, dass Kienert den linksunten-Verein in seinem Bericht mit dem Attribut "konstruiert" und nicht mit "verboten" einführt. (Wobei der erste Satz im Artikel dadurch etwas redundant geworden wäre. Er lautet: "Bald fünf Jahre ist der konstruierte Verein Indymedia Linksunten nun verboten.")
Für die Staatsanwaltschaft stand nach der Gesamtschau fest: Der Angeschuldigte habe sich "als Sprachrohr in den Dienst" der verbotenen Vereinigung gestellt und die Berichterstattung sei "nur vorgeschoben" zur "Verdeckung der Absicht, zugunsten der mit dem Verbot belegten Vereinigung Propaganda zu treiben". Auf dieser Grundlage hat sie gegen Kienert tatsächlich Anklage erhoben.
Das aber war dem Landgericht Karlsruhe etwas zu blöd und auf 40 Seiten belehrt es die Staatsanwaltschaft, warum kein Verfahren eröffnet wird. Das ist das übliche Prozedere, "wenn der Sachverhalt keinen Straftatbestand erfüllt oder aufgrund rechtlicher Erwägungen (...) eine Verurteilung des Angeschuldigten ausscheidet. Dies ist hier der Fall". Die Kammer setzte sich mit der spannenden Frage auseinander, ob man eine Vereinigung, die es nicht mehr gibt, überhaupt unterstützen kann und kam zum Resultat: Die Betätigung als Mitglied in einer Vereinigung "setzt denklogisch eine bestehende Vereinigung voraus", ohne deren "objektive Existenz" keine Unterstützungshandlung denkbar sei.
Der erste Lapsus der ermittelnden Behörden war es, sich damit nicht auseinanderzusetzen: "Weder in den Durchsuchungsbeschlüssen noch in staatsanwaltschaftlichen Stellungnahmen, noch im polizeilichen Schlussvermerk und auch nicht in der Anklageschrift werde die (Fort-)Existenz der verbotenen Vereinigung aufgeworfen oder durch konkrete Anhaltspunkte belegt." Das deckt sich mit einer Aussage des baden-württembergischen Innenministeriums, das auf Anfrage des FDP-Abgeordneten Nico Weinmann keine Aktivitäten des verbotenen Vereins seit 2017 benennen konnte.
Kritik an staatlichem Handeln ist kein Verbrechen
Eine Verurteilung von Kienert schied also schon deswegen aus, weil das Gericht die "Tatbestandsvoraussetzung der Existenz der unterstützten Vereinigung" nicht als hinreichend erwiesen ansah. "Darüber hinaus ist die angeklagte Tathandlung auch nicht von ausreichender strafrechtlicher Relevanz, um den Tatbestand einer Unterstützung des organisatorischen Zusammenhalts und/oder der weiteren Betätigung einer etwaigen dahingehenden Vereinigung zu erfüllen." Als Referenz für die Interpretation von Kienerts Text führt das Gericht keine paranoiden Linkenfresser an, sondern "unbefangene Betrachter" oder "verständige Durchschnittsleser". Vor diesem Hintergrund könnten die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft "in Anbetracht der Gesamtanalyse des Artikels" nicht nachvollzogen werden.
Ohne es explizit zu formulieren, problematisiert das Gericht zudem das staatsanwaltschaftliche Verständnis von Meinungs- und Pressefreiheit. Denn ausführlich legt es dar, dass es legitim sei, "durch Meinungsäußerungen auf die Aufhebung eines Verbots" hinzuwirken. "Dies ist im Interesse der Offenheit des demokratischen Prozesses verfassungsrechtlich geschützt." Insofern müsse es "möglich und zulässig sein, Kritik an einem Vereinsverbot zu üben, ohne sich gleichzeitig wegen Unterstützung der verbotenen Vereinigung strafbar zu machen".
Das hat auch historische Gründe, denn Artikel 5 des Grundgesetzes, der die Meinungsfreiheit garantiert, sei "gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen". In der Konsequenz bedeutet das: "Eine Auslegung der die Meinungsfreiheit beschränkenden allgemeinen Gesetze, die solche Kritik an staatlichem Handeln per se unter Strafe stellen würde und von der ein abschreckender Effekt auf den Gebrauch dieses Grundrechts ausginge, wäre mit Art. 5 GG unvereinbar." Das Fazit der Richter:innen: "Der angeklagte Lebenssachverhalt ist damit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt strafbar."
Für die Staatsanwaltschaft ist der Beschluss des Landgerichts eine weitere Blamage in einer Serie von Pleiten. Nicht nur konnten die ermittelnden Behörden die "linksunten.indymedia"-Betreiber:innen nie identifizieren. Nachdem bereits eine Razzia im linken Freiburger Kulturzentrum von Gerichten als rechtswidrig bewertet wurde, führen nun bereits zum zweiten Mal übergriffige Ermittlungsmethoden zu einer Belastung für die Staatskasse: Kienert steht laut Gerichtsbeschluss eine Entschädigung zu, zudem müssen alle Informationen, die dank beschlagnahmter Datenträger gewonnen wurden, wieder gelöscht werden.
"Radio Dreyeckland" zeigt sich vor dem Hintergrund der Erfahrungen erleichtert – aber zugleich unversöhnlich. "Der Staatsanwaltschaft und dem Freiburger Staatsschutz muss klar gewesen sein, dass sie sich juristisch auf äußerst dünnem Eis bewegen", kommentiert Andreas Reimann, einer der Geschäftsführer. "Es ging ihnen offensichtlich von Anfang an um Einschüchterung und Ausforschung eines kritischen linken Mediums." Sein Kollege Kurt-Michael Menzel nennt den ganzen Vorgang einen politischen Skandal und fordert: "Die Staatsschutzabteilung der Karlsruher Staatsanwaltschaft mit ihrer anti-linken Agenda ist eine Gefahr für die Grundrechte und muss aufgelöst werden."
Abgeschlossen ist der Fall indessen noch nicht. Von den eindeutigen Ausführungen des Landgerichts Karlsruhe unbeeindruckt hat die Staatsanwaltschaft eine Beschwerde gegen den Nichteröffnungsbeschluss beim Oberlandesgericht Stuttgart eingelegt. Sollte dieses der Beschwerde statt geben, muss es doch noch eine Hauptverhandlung geben – allerdings vor dem Landgericht Karlsruhe, dessen rechtlicher Standpunkt sich in dieser Angelegenheit bereits recht deutlich abgezeichnet hat. Die Staatsanwaltschaft wolle "offenbar um jeden Preis die Presse- und Rundfunkfreiheit einschränken", kommentiert Menzel von RDL, der das weitere Prozessieren angesichts überschaubarer Erfolgsaussichten für die Exekutive als Verschwendung von Steuergeldern anprangert.
Transparenz-Hinweis: RDL-Redakteur Fabian Kienert verfasst als freier Autor Texte für Kontext.
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Ruby Tuesday
am 29.05.2023