Es ist ungewöhnlich, dass Journalisten auf die Straße gehen. Lieber schreiben sie über die, die sich dort befinden. Also muss etwas passiert sein in den Pressehäusern, was die Beschäftigten zu ihrem Protest treibt. Der Druck der Verleger, der schamlose Griff in den Geldbeutel, ist das eine. 25 Prozent weniger für Neueinsteiger, fünf Prozent weniger für die anderen – das macht ihnen keine andere Branche vor. Die immer dünner werdende Luft zum Atmen, die Angst in den Redaktionen, ist das andere. Guter Journalismus verträgt beides nicht. Beides ist aber auch nicht neu, nur dreister vorgetragen.
Insofern ist der Streik so überfällig wie schwierig. Zum einen wissen die Verleger schon lange und sehr genau, wie wenig ihre Angestellten zum Widerstand neigen. Sie sollen einfach (noch) mehr arbeiten, die Klappe halten und ihrem Credo folgen, das da heißt: Qualitätssteigerung durch Kosteneinsparung. Zum anderen weiß das Publikum sehr wenig darüber, wogegen sich der Widerstand richtet. Etwas Verschwiegeneres als Medienhäuser gibt es kaum, ihre Gewinne behandeln sie wie Staatsgeheimnisse. Das fertige Produkt ist in der Regel alles, was der Kunde sieht, und er übersieht dessen Mängel nicht.
Darauf verweisen die Journalisten, die aus dem Land angereist sind. Sie berichten von Stimmungslagen in ihren Redaktionen, die mit gedrückt noch vornehm umschrieben sind. Es ist oft der pure Frust, die Ohnmacht, mitansehen zu müssen, wie ihr Berufsstand radikal abgewertet wird. Contentlieferanten sollen sie sein, die alles abfüllen, was ihnen die Geschäftsleitungen hinstellen: Zeitung, Online-Auftritt, Twitter, Facebook. Sie fürchten um die restliche Qualität ihrer Blätter und beklagen die hohe Arbeitsverdichtung, die es ihnen unmöglich macht, ihre Kontrollfunktion auszuüben. Sie wehren sich dagegen, zu Billiglöhnern degradiert, zur Verfügungsmasse zusammengelegter Zeitungstitel, ausgelagerter Redaktionen und Internet-Träumereien zu werden. Und sie bitten ihre Leser um Hilfe. Das wird schwer. Schwer auch deshalb, weil es eine Hilfe sein müsste, die dem Kunden die Gewissheit gibt, dass seine Ansprüche der Maßstab sind. Das ist mehr als ungewiss.
Ohne Unabhängigkeit keine Pressefreiheit
Nun ist es Zufall, dass der Streikauftakt auf den 3. Mai, den Internationalen Tag der Pressefreiheit, gefallen ist. Aber es passt. Schnell ist man bei der Hand, Pressefreiheit in totalitären Staaten einzufordern und zu sagen, in demokratischen Gesellschaften sei alles in Ordnung. Doch dem ist nicht so. Oder gibt es hierzulande keinen wirtschaftlichen, politischen oder verlegerischen Druck? Gibt es den unabhängigen, kritischen Journalismus in ausreichendem Maße, der als "vierte Gewalt" fungieren soll? Pressefreiheit ist ohne Unabhängigkeit nicht zu haben.
Auch das wird ein Thema sein, wenn sich die Kontext:Wochenzeitungs-Redaktion am Freitag, 6. Mai, um 19 Uhr wieder in der Stuttgarter Stiftung Geißstraße einfindet. Zum dritten Mal steht das Thema "Wie Medien ticken" auf dem Programm, das Stiftungsvorstand Michael Kienzle so formuliert: "Jenseits jeder pauschaler Medienschelte sollen die ethischen Anforderungen und die ökonomischen Rahmenbedingungen der 'vierten Gewalt' im Staat benannt werden." Zusammen mit Kienzle sieht Kontext darin einen fortlaufenden Bürgerdialog, der sich bisher ungewohnt intensiver Nachfragen und Debatten erfreut hat. Der aktuelle Hintergrund und die Absicht des SWR, die Debatte aufzuzeichnen, könnten die Bitte der Stiftung, pünktlich zu erscheinen, nachvollziehbar machen. Die streikenden Journalisten sind dazu auch herzlich eingeladen.
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