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Rauchzeichen aus dem Dschungelcamp

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Die Aufregung ist groß beim SWR. Der alte Intendant geht und die Nachfolge wird erstmals ohne Parteibuch geregelt. Das verstört die CDU, die den Sender bisher als ihren Erbhof betrachtet hat. Zu allem Elend geht ihr jetzt auch noch der letzte Kandidat von der Fahne.

Ach, was waren das noch für Zeiten. Dezember 2006. Peter Voß war abgetreten und nervte seine Parteifreunde nicht mehr mit seiner großen Klappe. In den Startlöchern standen: Peter Boudgoust, ein Abteilungsleiter aus dem Staatsministerium, der scheinheilige Kathole Bernhard Nellessen und der afghanische Stammesbruder Willi "Wusel" Steul. Sie alle wollten Intendant werden, alle waren Männer und alle waren schwarz. Wie das immer war, beim Südwestfunk und Süddeutschen Rundfunk, und später beim Südwestrundfunk – seit 1946.

Nun scheint alles anders. Der damalige Gewinner Boudgoust tritt (vorzeitig) ab, und plötzlich tauchen Personen mit Aussicht auf der Bühne auf, die nicht auf dem CDU-Ticket reisen. Das wäre früher nicht passiert, das musste schon sauber ausgekungelt sein, abgesegnet von der Regierung beziehungsweise den Rundfunkräten, die sich ihrerseits wieder an der Regierung orientierten.

Kretschmann hält sich raus, er geht lieber zu Lanz

Heute ist das schwieriger. In Stuttgart haben sich die Grünen breit gemacht, ihr Übervater Winfried Kretschmann hat schon bekundet, dass er nix gegen eine Frau hätte. Mehr aber auch nicht. Er geht ohnehin lieber zu Markus Lanz. In Mainz sind Sozis, Grüne und die FDP an der Macht, Ministerpräsidentin Malu Dreyer wünscht sich eine SPD-Intendanz, und so fand sich eine zwölfköpfige Kommission zusammen, die jetzt einen voll ausbalancierten Wahlvorschlag präsentiert. Abgestimmt von links bis rechts, von Mann bis Frau, von pfälzisch bis schwäbisch, von katholisch bis evangelisch, wie der SWR-Verwaltungsratschef Hans Albert Stechl versichert. Und so sieht der Plan aus:

Update: Aus fünf mach zwei

Jetzt sind’s nur noch zwei: Stefanie Schneider (57) und Kai Gniffke (58). Auf ihrer gemeinsamen Sitzung am Freitag, 22. März, haben Rundfunk- und Verwaltungsrat des SWR diese Zweier-Lösung in überraschender Einmütigkeit beschlossen. Damit werden die Stuttgarter Landessenderdirektorin und der Chefredakteur von ARD-aktuell in die Wahl des Intendanten am 23. Mai ziehen. Beide Kandidaten sind mit großer Mehrheit (70 Ja, ein Nein, vier Enthaltungen) gekürt worden. Aus dem Rennen sind damit SWR-Hauptabteilungsleiter Clemens Bratzler (46) und NDR-Chefredakteur Andreas Cichowicz (57). Gerade noch rechtzeitig die Reißleine gezogen hat SWR-Verwaltungsdirektor Jan Büttner (57), der am vergangenen Montag seine Kandidatur zurückgezogen hat. (jof)

Ins Rennen gehen Stefanie Schneider, 57, Landessenderdirektorin in Stuttgart, und Kai Gniffke, 58, Chefredakteur ARD-aktuell in Hamburg. Erstere war die einzige Frau in der 15-köpfigen Bewerberschaft und damit zum Hundertjährigen des Frauenwahlrechts gesetzt. Zudem gilt sie als Grün-nah, was sich in ihrer bisherigen, solide abgeleisteten Amtszeit, nicht bemerkbar gemacht hat, weshalb gerne auf Vergangenes verwiesen wird. Etwa auf die Leitung der französischen Filmtage in Tübingen oder ihren Ziehvater Martin Born, der einst an Lothar Späths Abgang mitgestrickt und später den Gärtner "Gießbert" im Fernsehen gegeben hat.

Der zweite Kandidat wird als Aushängeschild des "Ersten" gepriesen, hat in Mainz studiert und als SWR-Reporter gearbeitet, über die deutsche Arbeiterbewegung bei Iring Fetscher promoviert ("Genosse Dr. Quarck"), unterstützt von der Ebert-Stiftung. Seitdem hat er den SPD-Stempel an der Backe. Von den Gremienmännern wird Gniffke in den höchsten Tönen gelobt, er sei formidabel, Bundesliga und absoluter ARD-Insider, wie gemalt für den SWR, der unter den Anstalten, obwohl die zweitgrößte, keinen Glanz verstrahlt. Im gleichen Atemzug wird der regional verankerten Schneider der "Glamour-Faktor" abgesprochen.

Und zack — war der SWR ein Mauschelklub

Das wär's also gewesen an Zumutbarem für die Rundfunkräte, die sich eine(n) von den beiden aussuchen sollten. Wenn da nicht Volker Stich, der frühere Herr vom Beamtenbund, gewesen wäre. Der gelernte Lehrer aus Heidelberg ist Vorsitzender des Landesrundfunkrats und hat bis 2017, als er noch Ober-Beamter mit CDU-Parteibuch war, die Pensionen seiner Klientel bockelhart verteidigt. Seitdem ist es still geworden um ihn, bis er auf die Idee gekommen ist, den Zweier-Vorschlag an die "Süddeutsche Zeitung" durchzustecken, bevor seine Gremienmitglieder informiert waren. "Wir sollten das nicht akzeptieren", hat er gesagt, er wolle fünf Bewerber hören. Für eine Schlagzeile, sagen sie im Rundfunkrat, würde Stich auch seine Großmutter verkaufen. Und zack war der SWR ein Mauschelklub, der sich sogar von der "Stuttgarter Zeitung", die ihn sonst so gern mag, der "Intransparenz" zeihen lassen musste. Im Namen der Demokratie, versteht sich.

Die Wahrheit dürfte schlichter sein. Wie erläutert, gehen Schneider und Gniffke nicht als Schwarze durch, was Leute wie CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart wohl als historischen Affront begreifen. Wo ist der Teppich geblieben, der die Potentaten von Teufel bis Mappus direkt von der Staatskanzlei ins TV-Studio geführt hat? Bei der Suche nach dem letzten konservativen Offizier auf Brücke - was natürlich Quatsch ist, weil die anderen die Klappe halten - sind sie auf Verwaltungsdirektor Jan Büttner (57) gestoßen. Als Volontär und Redakteur beim SDR, langjähriger Büroleiter von Peter Voß und Peter Boudgoust (2001-2012), scheint er ihnen ausreichend sozialisiert, um linkem Gedankengut abhold zu sein. Einschränkend muss allerdings auch gesagt werden, dass sein Charisma jenem entspricht, das bei einem Verwaltungsdirektor vermutet wird. Sie wollten keinen "Boudgoust reloaded" haben, warnen die Sozis im Funk. Seit Montag ist die Gefahr gebannt. In einem Brief an die Gremien teilt Büttner mit, er ziehe seine Bewerbung zurück, um "weiteren Schaden von unserem Sender abzuwenden". Was er damit meint, bleibt offen. Dem Schreiben ist nur zu entnehmen, dass ihm das Konglomerat aus drei Standorten (Stuttgart, Mainz, Baden-Baden) missglückt erscheint. Das Gegeneinander habe in den letzten Jahren "stark zugenommen". Da ist ihm schwer zu widersprechen.

Der Favorit soll weder Tod noch Teufel fürchten

Weiter im Rennen ist noch Andreas Cichowicz, 57, SPD-verdächtig, NDR-Chefredakteur in Hamburg, gebürtiger Plochinger und Berufsanfänger am Neckar ("Vaihinger Kreiszeitung" und SDR), Studioleiter in Johannesburg und Kairo, "Weltspiegel"-Moderator und verantwortlich für den Rechercheverbund NDR, WDR und "Süddeutsche Zeitung". Ein ausgewiesener Journalist also, aber klar hinter Gniffke eingruppiert, dem das Findungspersonal bescheinigt, weder Tod noch Teufel zu fürchten. Das sei auch so eine Art Grundvoraussetzung für den nervigen Job bei ARD-aktuell, sagen Gniffkes Kollegen, irgendeiner fände die "Tagesschau" oder die "Tagesthemen" immer scheiße. Also: ein letzter Karrieresprung für beide, warum nicht? Das Büro an der Neckarstraße bietet einen Blick wie kaum ein anderes, ist großzügig geschnitten (circa 80 Quadratmeter) und das Gehalt mit rund 330 000 Euro jährlich auskömmlich bemessen.

Aber halt, da ist noch einer. Clemens Bratzler, Grün-verdächtig, ein Jungspund in der Runde mit seinen 46 Jahren, einer, der zum ersten Mal erfährt, dass Jugend kein Vorteil sein muss. Egal, wen man fragt, die Antwort ist immer dieselbe: guter Mann, aber zu jung, soll sich frühestens in fünf Jahren nochmals bewerben. Nur einer in der Findungskommission hat für ihn gestimmt. Angesichts des Wunsches von Boudgoust nach einem Generationenwechsel, angesichts der Tatsache, dass Hans Bausch 37 Jahre alt war, als er SDR-Intendant wurde, darf man sich zumindest wundern. Zumal Bratzler als Hauptabteilungsleiter "Multimediale Aktualität" genau das in seinem Beritt hat, was der Sender als seine Zukunft wähnt: den Tanz auf allen Hochzeiten. Im Fernsehen, im Radio, im Internet. Wenn Bratzler bisweilen von der "Kunst des Weglassens" spricht, darf man annehmen, dass er registriert, wie der Laden ächzt und stöhnt, wie viele MitarbeiterInnen die Rente herbei sehnen.

Wie wär's denn mit der Frage, was noch öffentlich-rechtlich ist?

Das ist schade, weil der SWR viele gute hat. Viele, die sich fragen, wohin die Reise geht, was am Programm noch öffentlich-rechtlich sein wird, was Journalismus ist? Von Boudgoust, dem heute 64-Jährigen, haben sie, je länger er amtierte, um so weniger Antworten erhalten. Die Bodenseeschriftstellerin Gaby Hauptmann, 61, als frische Moderatorin einer Talkshow, ein zwangsfusioniertes Sinfonieorchester, journalistischer Nachwuchs, der via Facebook fragt, ob er vor der Kamera eine rote oder grüne Mütze aufsetzen soll - ist es das? Eine Debatte darüber findet nicht statt.

Der Abgang eines Intendanten, der drei Jahre vor Ablauf seiner Amtszeit in Rente geht, wäre eine gute Gelegenheit, seine Motivlage auszuleuchten. Solch ein Akt ergebe womöglich einen Hinweis darauf, wo das Scheitern eingebaut ist oder das Gelingen nicht riskiert wird. Aber das wird nicht passieren, nicht in diesen Gremien, die den neuen Intendanten am 23. Mai wählen sollen.

Da lohnt es sich, mit einem Mann zu reden, der einen richtig dicken Hals hat. Mit Günther-Martin Pauli, dem Mitglied im SWR-Verwaltungsrat und Sprecher des schwarzen Freundeskreis. Der Landrat von Balingen hat einen eigenen Kopf, nicht den von Parteifreund Reinhart, und fürchtet jetzt vor allem eines: die Stich-Krankheit. "Es geht nicht ums Dschungelcamp und nicht um die Bachelor-Wahl", schimpft er ins Telefon, "es geht um die Wahl eines Intendanten". Will sagen: der Rundfunkrat soll nicht herum gockeln, sondern denken.

Der Landrat hätte eine wunderbare Lösung gehabt

Das wird schwer und um so schwerer, je länger es dauert. Genau das könnte drohen, wenn sie es nicht schaffen, die Prozedur an einem Tag in zwei Wahlgängen durchzuziehen. Mehr lässt der Staatsvertrag nicht zu, danach verlangt er sechs Wochen Pause, dann sind Sommerferien in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg – sprich viel Zeit für Dschungelcamp.

Und dabei hätte Pauli eine wunderbare Lösung gehabt: Christine Strobl, 47, die Tochter von Wolfgang Schäuble, die Beste von allen. Sie hätte für ihn und viele andere alles mitgebracht. Das richtige Geschlecht (weiblich), die richtige Partei (CDU), den Stallgeruch (Spielfilmchefin SWR), die nationale Karriere (Degeto-Chefin) – nur nicht den richtigen Mann. Das ist Thomas Strobl, der stellvertretende Ministerpräsident. Sie hat da wohl eine gewisse Unverträglichkeit gespürt, zwischen den beiden Jobs, und abgesagt, was sie ehrt. Auf die Frage, ob das Problem nicht mit einem Rücktritt des Mannes zu lösen gewesen wäre, lacht Pauli und vermutet, dass sich viele CDU-Mitglieder darüber gefreut hätten.


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20 Kommentare verfügbar

  • era eraasch
    am 24.03.2019
    Antworten
    Und jetzt denken wir alle nochmal nach, ob die SWR-Medien staatsnah oder staatsfern sind. Und ob sie es bei dieser Gemengelage überhaupt jemals sein können.
    Haha.
    Parteienstreit gehört ins Parlament. (selbst da sagt das GG nur, das Parteienbei der politischen Meinungsbildung "mitwirken", aber das…
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