KONTEXT:Wochenzeitung
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In Kooperation mit Theater Stuttgart

Das oberste Prozent

In Kooperation mit Theater Stuttgart: Das oberste Prozent
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Woher kommt die öffentliche Sehnsucht nach Palast, Prunk und Privilegien? Und nach einer Parallelwelt jenseits der Demokratie? Am Stuttgarter Theater der Altstadt ist jetzt "Royals" von Felix Krakau zu sehen – ein Abend, der auf vergnügliche Weise nach beängstigenden Antworten sucht.

Neue Partnerschaft

Theater lebt vom Diskurs – auf der Bühne, im Publikum und in der Öffentlichkeit. Mit der neuen Kooperation zwischen Theater Stuttgart und Kontext:Wochenzeitung wird dieser Dialog künftig um eine spannende Facette erweitert. Theaterkritiker:innen von Kontext besuchen künftig Premieren an den Stuttgarter Bühnen, veröffentlicht werden die Kritiken in Kontext und auf der Plattform Theater Stuttgart. Die Entscheidung, welche Premieren besucht und rezensiert werden, trifft Kontext als unabhängige Zeitung autonom.

Damit reagieren beide Partner auf eine seit Jahren laufende Entwicklung: In vielen großen Tageszeitungen wird der Platz für Theaterkritik immer kleiner, Premierenberichte verschwinden aus den Feuilletons und die Vielfalt des Stuttgarter Theaterlebens findet dort kaum noch Resonanz. Es ist eine Lücke entstanden – in der öffentlichen Wahrnehmung wie im kulturpolitischen Diskurs. Theater Stuttgart und Kontext möchten die künstlerische Arbeit der Stuttgarter Bühnen sichtbarer machen und sie mit journalistischer Qualität begleiten. So entsteht ein neuer Resonanzraum, in dem Theater nicht nur gespielt, sondern auch reflektiert, eingeordnet und diskutiert wird. Denn Theater ist niemals Selbstzweck, sondern immer auch gesellschaftliches Ereignis.  (lee)

Da hocken die Fünf in ihren königsblau schimmernden Morgenröcken vor dem (nicht sichtbaren) Fernseher, gelangweilt-herablassend an Bierflaschen nuckelnd – kein Fußballspiel anschauend, sondern irgendeinen Live-Bericht über ein royales Ereignis im Buckingham Palace. Die Fünf vor dem TV sind eine fiktive königliche Familie, bestehend aus Mutter, Tochter, Sohn und den jeweiligen Angetrauten. Der König ist tot, als Erstgeborene wird die Tochter bald zum neuen Staatsoberhaupt gekrönt. Als die Königswitwe ihren Platz rechts verlässt um sich einen Tee zu holen, kippt die Spielfläche plötzlich nach links – denn auf der Bühne steht ein länglicher, mit Wippfunktion ausgestatteter Podest (Bühne und Kostüme: Marion Eisele). Daraus entwickeln sich lustige Slapsticks, in denen schon das Aufsetzen einer barocken Perücke schwer wiegt. Die Waagefunktion dient dem spielerischen Ausloten der Kräfteverhältnisse innerhalb der Familie und überhaupt.

Ein exzellent inszenierter Einstieg in "Royals", das jetzt im Stuttgarter Theater der Altstadt in der Regie seines Intendanten Christof Küster Premiere hatte. Ein noch recht frisches Stück des deutschen Theaterautors Felix Krakau, das 2023 am Bremer Theater uraufgeführt wurde. Es verspricht im Titel nicht mehr, als es ist: eine Satire über ein absurdes Phänomen, nämlich die Omnipräsenz vor allem des britischen Königshauses in den Medien und die öffentliche Faszination an dessen Familienleben. Da wird protzender Prunk bestaunt, da stürzt man sich auf vermeintliche Skandale, da wird mitgefiebert in all den Liebes-und-Leid-Geschichten, da giert man auf die öffentlichen Inszenierungen royaler Heiraten und Begräbnisse. Die Königsfamilie als sinnentleertes Relikt aus alten Zeiten, ohne gesellschaftspolitischen Einfluss, als Museumsstück, das der Unterhaltung dient. Aber: Garantin für Beständigkeit innerhalb einer rasant sich verändernden Welt. Realmärchen halt – Hauptsache, die Fallhöhe stimmt. Der königliche Adel lässt sich ja auch gerne durchs Schlüsselloch gucken. Wie in "Royals" demonstriert wird.

Falsche Anreden führen zum Trauma

Die fünf sich zur Schau stellenden Blaublütigen sind typenhaft gezeichnet: Die zukünftige junge Königin (Mailin Klinger) hat eigentlich anderes im Kopf, will das Amt gar nicht übernehmen. Sie wolle die Krone vergraben, und der Mensch, der sie finde, solle König:in werden.

Ihr Gatte (Ambrogio Vinella) leidet dagegen unter seiner Belang- und Funktionslosigkeit, klagt: Er sei nur da, damit ihm das Volk "beim Existieren" zuschaue. Derweil träumt sich der (zweitgeborene) Bruderprinz (Thomas Georgi) in alte Zeiten zurück, als die Thronfolge noch männlich zu sein hatte, und schlägt der Mutter vor, mit der Schwester als Doppelspitze anzutreten, im Team zu arbeiten sei doch modern.

Doch nichts zu machen: Die "Grande Dame de la Famille" (Dorothea Baltzer) steht für die Tradition, hält auf Teufel komm raus an Protokollen, Regelwerken, Etiketten fest, die der Prinzengattin (Hannah Jasna Hess), einer "Bürgerlichen" und Anwältin, wiederum völlig schnurz sind. Sie soll den verstorbenen König einmal mit "Herr Dr. König" angesprochen haben – was seine Mutter "traumatisiert" habe, so der Sohn. Jedenfalls krönt sich die Tochter am Ende im kleinsten Kreis flugs selbst.

Die knappe Handlung wird postdramatisch durch gut getaktete, durch Körperkomik befeuerte Sprechquintette verbunden. Vom Podest lässt sich prima von oben aufs Publikum herab propagieren. In kurzen, rhythmischen Wir-Gefühl-Sätzen wird durch hunderte Jahre Geschichte des europäischen Adels galoppiert, wird adeliger Alltag beschrieben: von "Der Adel jagt …" über "Skandal! Wer hat uns verraten?" bis hin zu "Der Adel schläft unruhig …". Da wälzen sich die Fünf wie die Ölsardinen auf der Bühnenwippe hin und her, albträumend von der eigenen Bedeutungslosigkeit, wehleidig ob des Schuldballastes ihrer Abstammung: Gewalt, Herrschaft, Feudalismus, Kolonialisierung, Ausbeutung, Unterdrückung.

Dass sie selbst aus der Zeit gefallen sind, ist ihnen durchaus bewusst – auch wenn sie sich weiterhin als "oberstes Prozent" fühlen und snobistisch herabschauen auf die "normalen Reichen" – dabei naiv übersehend, dass die ja längst zu Welt-Macht gekommen sind.

Existenz des Adels bleibt Drohung

Küster hat den Text flott und sehr vergnüglich in Szene gesetzt. Das Ensemble spielt und spricht gut getimt, Komik auf den Punkt gebracht. Trefflich die Rollenbesetzung der designierten Queen mit Mailin Klinger: mit üppiger Lockenmähne, in ausladendem, güldenem Faltenreifrock, mit glamourös-opulenter Bühnenpräsenz. Toll! Sie kann auch formidabel singen, kommentiert ein Pferderennen, mit dem royal gesetzten Ross "Gloria" am Start, mit dem gleichnamigen Italo-Schlager. Veredelt Diskussionen über ihre bevorstehenden Krönung mit dem Lorde-Hit "Royals".

Wohl weil der Adel in Deutschland seit der Weimarer Republik keine Standesvorrechte mehr und im Vergleich zu den verbliebenen (parlamentarischen) Monarchien keine besondere Öffentlichkeit hat – sieht man einmal ab von der rechten Alten von Thurn und Taxis und rechtsterroristisch verwirrten Prinzen –, lässt Küster in zwei Videos das deutsche Baron:innenpaar Iris und Gerrick von Hyningen-Heune zu Wort kommen (Ausschnitte aus dem preisgekrönten Dokufilm "Standesgemäß" von 2008 von Julia von Heinz). Die reden sich um Kopf und Kragen in ihrer völligen Gesellschaftsferne und Weltentfremdung. Adel sei exklusiv, man könne ihn nicht erwerben, weswegen der Kreis Adeliger begrenzt sei und sich letztlich nicht erweitern ließe. Weswegen Frau Baronin regelmäßig "Adel auf dem Radel"-Touren veranstalte für adelige Kinder zwischen 10 und 15 Jahren – eine Art mobiler Heiratsmarkt. Auch parlieren sie über das adelige "Mannesrecht". Eine adelige Frau, die einen bürgerlichen Mann heirate, werde adelsrechtlich nicht mehr anerkannt, nicht mehr zu adeligen Veranstaltungen eingeladen, ja aus der Familie ausgeschlossen. Umgekehrt natürlich nicht. An diesem "Mannesstammprinzip" komme man mit keinem menschlichen Argument vorbei, so die Gattin.

Warum unter sich bleiben, wenn der Untergang eigentlich programmiert ist? Denkt der Adel, er käme irgendwann mal wieder an die Macht? "Die Menschen brauchen etwas Großes", heißt es einmal im Stück. Aber bloß auf die einst so bedeutungsvolle Vergangenheit zu verweisen, reicht auf Dauer wohl nicht aus, um das Erb- statt Leistungsprinzip zu rechtfertigen. (Die Weimarer Verfassung hat den Adel ja schließlich nicht enteignet.) Steckt in dem öffentlichen Interesse fürs Royale der heimliche Wunsch nach Rückkehr "echter" Monarch:innen? Der Chorsprech mündet am Ende pointiert in den Satz "Der Adel ist noch da." Eine Drohung? Ja, schon, irgendwie. In diesem Sinne ist "Royals" nicht bloß eine Adeligen-Schenkelklopfer-Komödie, sondern durchaus politisch.


"Royals" im Theater der Altstadt, Rotebühlstraße 89, Stuttgart-West, direkt am S-Bahn-Halt Feuersee. Termine und Karten: bitte hier entlang.

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