KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

40 Jahre Theaterhaus Stuttgart

"Feiern, als ob's ein Morgen gäbe"

40 Jahre Theaterhaus Stuttgart: "Feiern, als ob's ein Morgen gäbe"
|

Datum:

Selbstverständlich ist die Party ausverkauft: Am kommenden Samstagabend feiert das Stuttgarter Theaterhaus seinen 40sten. Kontext hat Kulturmenschen um ihre Glückwünsche gebeten, und die haben freudig zurückgeblickt.

Am 29. März 1985 öffnete das Theaterhaus Stuttgart im Stadtteil Wangen erstmals seine Tür beziehungsweise seine Bühne. Heute hat es vier Bühnen in einem Haus im Stuttgarter Norden. Gegründet haben es Werner und Gudrun Schretzmeier und Peter Grohmann 1984. Sie wollten unabhängige Kunst und Kultur ermöglichen, fanden in Wangen Räume in einer leerstehenden Glasfabrik und konnten am 29. März 1985 mit der ersten Vorstellung locken. Eine Million D-Mark betrug der Jahresetat damals, im ersten Jahr gab es 400 Veranstaltungen mit 90.000 Besucher:innen.

Getragen wird das Haus vom gleichnamigen Verein, bis heute managt Werner Schretzmeier (81) den Betrieb unter dem Motto: "Kultur für alle". Und das erfolgreich. 2003 stemmte der Verein den Umzug in das heutige Haus, die ehemaligen Rheinstahlhallen beim Pragsattel, das auf vier Bühnen Programm ermöglicht. Bespielt werden die Bühnen vom hauseigenen Schauspiel- und dem hauseigenen Tanzensemble von Eric Gauthier. Dazu kommen Gastspiele aus den Genres Comedy, Kabarett, Literatur, Pop- und Rockmusik, Jazz, Klassik und Neue Musik. Pro Jahr besuchen mittlerweile mehr als 250.000 Menschen die etwa 800 Veranstaltungen, der Jahresetat beläuft sich auf 14 Millionen Euro. Zusammen kommen die zu etwa zwei Dritteln aus eigenen Einnahmen inklusive Sponsorengeldern, den Rest teilen sich Land und Stadt im Verhältnis 1:2.

Kontext wurde von Anfang an von den Theaterhaus-Macher:innen unterstützt – freie Kunst und unabhängiger Journalismus entstammen dem selben Denken, der Überzeugung, dass es Räume braucht, um Hirn und Herz entfalten zu können. "Herzlichen Glückwunsch zum Vierzigsten!", rufen also die Kontextler:innen laut hinauf zum Pragsattel – und mit ihnen noch so einige andere.

Theaterhaus: bombensicher!

Theaterhaus – da sag' ich nur: Bombenstimmung, was man aber heute nicht mehr sagen sollte. Ich blättere in Erinnerungen und finde Radio Dreyeckland, das aus dem Theaterhaus in Wangen sendete, als Senden verboten war. Oder Rostock-Lichtenhagen: die Hetzjagden auf Flüchtlinge 1992 vor einem johlenden Publikum aus 3.000 Ureinwohnern – echtes Theater, nur auswärts. Heute, 33 Jahre später, hat sich die Lage an der Ostfront weitgehend beruhigt: Bei der Bundestagswahl 2025 erhielten die fremdenfeindlichen Parteien (ohne SPD) gerade mal 67 Prozent der abgegebenen Stimmen. Solche Nachrichten gehen ohne Theaterhäuser schnell unter. Auf dem Pragsattel werden sie gut gewogen und gewertet. Noch aber räkelt sich die demokratische Mitte bequem in den neuen Sesseln. Doch aufgemerkt: Rostock ist nicht weit genug weg.

Das Theaterhaus als Sensor, als politisch verantwortliche Institution, kann schneller reagieren als Polizei und Feuerwehr, wenn's mal brennt: Wir sind eine der wenigen Institutionen, die über Nacht Mehrheiten für die Republik organisieren können. Wir haben's im Blut, aber der Zug hat Verspätung.

Übrigens – ich konnt' ja damals schon gut rechnen, vor 40 Jahren! – 15.000 D-Mark Miete für die Hallen in Stuttgart-Wangen. Na wenn schon, hab' ich zum Schretze gesagt, das sind bissel mehr als 1.200 im Monat, dafür bürgen wir! Wir sind ja viele, du, Gudrun, ich, Elisabeth, wir haben die GLS-Bank im Boot, dann den Niedlich ..." – "Niedlich? Im Ernst? Und übrigens, Peter, kleiner Irrtum, was die Miete angeht. 15.000 im Monat." – "Kalt?" – "Kalt", lacht Gudrun. Wir haben nie gehungert, aber viel gelacht.

Nun kommen Kriegszeiten. Da steht die Kultur auf der Abschussliste der Trumputine. Doch auch der geborene Pazifist braucht im Angriffsfall einen Bunker und fragt sich auf dem Weg zum Theaterhaus: Ist das bombensicher?

Peter Grohmann, Mitgründer des Theaterhauses, Kabarettist, Koordinator beim Bürgerprojekt Die AnStifter und Kontext-Kolumnist

Eine unverzichtbare Lebensweise

Die Frage, warum das Theaterhaus für Stuttgart wichtig ist, klingt sehr ernstgemeint und deshalb lustig. Genauso könnte man fragen, warum eine Bäckerei und ein Friedhof wichtig sind für eine Stadt. Braucht man womöglich zum Leben. In den frühen Achtzigern waren die Aussichten im Kessel so schwarz wie auf einem Geheimtreffen der CDU. Damals redeten wir in Kneipen, die von Amts wegen um Mitternacht schließen mussten, immer noch über "alternative Kultur" – irgendwas mit Kunst jenseits der sogenannten Hochkultur. (Wirkliche Subkultur war in der Stadt eigentlich nur im Rotlichtmilieu zu finden.) Es dauerte sage und schreibe bis 1985, ehe Freiräume für eine halbwegs städtische Kultur geschaffen wurden: irgendwo da draußen in Wangen, Schretzmeiers Wink mit dem Zaunpfahl, dass eine Stadt nicht nur aus ihrem "Zentrum" besteht. Vielleicht hat sich 55 Jahre nach dem Tod von Jimi Hendrix und 40 Jahre nach der Gründung des Theaterhauses in Stuttgart herumgesprochen, dass der Begriff "Kultur" für eine Lebensweise steht. In unserem Fall für eine demokratische, die von den Disziplinen internationaler Kunst mitgeprägt wird. So gesehen ist das Theaterhaus so unverzichtbar wie eine Bäckerei und ein Friedhof. Es lebe hoch! Und lang und gut.

Joe Bauer, Autor, Stadtflaneur, Initiator des Stuttgarter "Bündnis gegen rechts", Kontext-Kolumnist

Das Theaterhaus ist Heimat

Unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht. Ich hatte das große Glück, von Anfang an dieses Haus auf seiner unglaublichen Reise zu begleiten. Beim Richtfest durfte ich mit einem Walzer den Rohbau eröffnen und wurde Zeuge, wie die Träume von Gudrun und Werner Schretzmeier und Peter Grohmann sich materialisierten. Ein halbes Jahr später stand ich mit der "Kleinen Tierschau", unserem "Scherbentheater", dem "Trio Blamage" und vielen anderen Künstler:innen auf der Bühne und die Freundschaft mit Herrn Gaedt und Herrn Kuhnle hält bis heute an. Drei Jahre später lernte ich meine Frau Linda Murphy im Theaterhaus kennen, die dort mit dem Cirque de Barbarie nicht nur mein Herz eroberte. Unsere beiden Kinder wuchsen im Theaterhaus auf und sind heute selbst mit ihren Gruppen (Barbaren Barbies, ein Frauenzirkus, und Rikas, Indie-Pop) Gast in diesem Haus. Alle meine Programme hatten bis heute Premiere in diesem Theater, und ich bin dankbar für die wunderbaren Aufführungen, die ich dort erleben durfte. Es gibt kein Theater in Deutschland, das so viele unterschiedliche Genres unter einem Dach vereint: Jazz in allen Varianten, Tanz, Comedy, Theater, Musik in jeder Spielart, von 12-Ton bis 2-Ton. Und die Vision, ein internationales Ensemble in diesem Haus zu etablieren, ist einzigartig. Ohne das Theaterhaus wäre ich nicht in Stuttgart geblieben, und wenn es den Begriff Heimat gibt, kann ich nur sagen: Das Theaterhaus ist mir mehr als das! Glückwunsch und behaltet diesen Geist, was immer die Zukunft bringt, aber dieses Fundament wird noch einige Generationen erfreuen, denn es ist auf Erfahrung von weitsichtigen Menschen gebaut. Es lebe die Kunst in allen Spielarten!

Roland Baisch, Stuttgarter Schauspieler, Entertainer und Musiker

Schöner als Kita und Schule

Es war unglaublich schön, im Theaterhaus aufzuwachsen, es hat mich definitiv inspiriert, mein Leben der Kunst zu widmen. Ich kannte als Kind das alte Theaterhaus in Wangen in- und auswendig, alle Geheimgänge, Ecken und Nischen. Habe mich oft in eine Show gesetzt und in der Pause in eine andere, bis meine Eltern fertig waren. Ich wollte schon immer lieber ins Theaterhaus gehen als in den Kindergarten und in die Schule.

Meine Mutter Linda Murphy spielte damals das Theaterstück "Dirty Dishes" und ich kann bis heute das Stück auswendig. Es war sehr besonders, als ich dann irgendwann selbst mitspielen durfte.

Besonders war es auch, mit meinem eigenen Frauenzirkus, den Barbaren Barbies, im Theaterhaus spielen zu dürfen. Das Theaterhaus hat mich bis heute immer unterstützt. Es ist ein Zuhause, wir sind Familie. Ich freue mich, dieses Jahr im April wieder mit den Barbaren Barbies kommen zu dürfen.

Vanessa Lee, Zirkusartistin, Künstlerkind

Schöner und gerechter

Von Musk bis Merz erleben wir die Rückkehr der gekränkten Männer und während man in Echtzeit dabei zusehen kann, wie die Autokraten in West und Ost die Demokratie schreddern, schmeißt bei uns die kleinste große Koalition aller Zeiten eine 90er-Party auf Pump. Für Geflüchtete, Marginalisierte und Frauen sind das keine guten Nachrichten. Und für die Kultur auch nicht. Deswegen ist es wichtig, dass man an Orten wie dem Theaterhaus Stuttgart tagtäglich erleben kann, dass es anders geht: schöner, spielerischer, gerechter, weicher. Und zwar seit nunmehr 40 Jahren! Fast genauso lang trete ich dort auf und sage einfach nur: danke.

Ihr Lieben, 40 Jahre sind eine Nummer, aber es geht nicht darum, dass es euch schon lange gibt, sondern: noch lange! Deswegen einmal kräftig schütteln und dann soll hier gelten, was Patti Smith nach der Wiederwahl Trumps sagte: "Back to work." Feiern, als ob's ein Morgen gäbe!

Jess Jochimsen, Autor und Kabarettist aus Freiburg

Nochmal so viele Jahre

Für mich, als Stuttgarterin mit Bezug zu Tanz und Musik, spielt das Theaterhaus schon immer eine Rolle. Aufführungen der NYCDS, bei der ich lange getanzt habe, verschiedene Konzerte, selbst ausgeführt und besucht, Lesungen, Benefiz-Veranstaltungen und und und. All dies und noch viel mehr konnte und kann ich im Theaterhaus erleben und gestalten. Den Standortwechsel vor vielen Jahren hat man übrigens freudig mitgemacht. Und in diesen Tagen zu wissen, dass der Platz am oberen Rand des Kessels die Kultur in all ihren Facetten beherbergt, fühlt sich gut, wichtig und schützenswert an. Alles Gute zum 40.! Und auf hoffentlich nochmal mindestens so viele Jahre mehr!

Fola Dada, Stuttgarter Jazz- und Popsängerin, Komponistin und Dozentin

Alle Jahre wieder ...

Seit fünfzehn Jahren – oder sind es vielleicht schon achtzehn Jahre? Ich habe den Überblick verloren. Jedenfalls kommen alle Jahre wieder all diese schönen Menschen zu mir ins Theaterhaus. Und ich zu ihnen. Alle Jahre wieder, meistens zum Jahresstart, aber immer um die Jahreswende. Und jedes Jahr sage ich: "See you all next year. Same place, same time." Was für ein Versprechen, das wir alle immer wieder einhalten. Es ist ein unglaubliches Geschenk, jedes Jahr so ein Vertrauen von einem Theaterhaus zu erhalten und eingeladen zu werden – mit einem neuen Programm. Hilfe! How did we do that? Ein Kraftakt, der sich durchs ganze Jahr zieht. Im Dezember weiß ich schon in etwa, was ich im nächsten Jahr bringen werde. Und das ganze Jahr ist dann wie ein Wachsen für diesen Moment.

Jetzt bin ich für ein halbes Jahr in England und arbeite mit den Briten an "Stucky Fingers". Wir wollen, dass es so richtig "klebt" in Feuerbach. We want it to STICK. Ha! Toll, dass ich jetzt hier auch einmal Gelegenheit habe, all den Machern, Erfindern und guten Geistern vom Haus einen Blumenkranz zu widmen. I am a Sixties Flower-Child. And that's what I do best. Love to you.

PS: Ich freue mich schon wieder, Gudruns strahlendes Gesicht im Publikum zu sehen. She never misses a gig.

PPS: Mr. WS (Werner Schretzmeier) sagte einmal bei einer Konzertansage: "Die Stucky gehört inzwischen zur DNA des Theaterhauses." Wie schön sich das anhört!

Erika Stucky, US-amerikanisch-schweizerische Jazz-Sängerin, Musikerin, Performerin und Akkordeonistin


Zum großen Fest im Theaterhaus Stuttgart am kommenden Samstag stehen auf den Bühnen bekannte Gesichter wie das United Jazz + Rock Ensemble 2nd Generation, Rebekka Bakken, Kuhnle/Gaedt/Baisch, Eure Mütter, Christoph Sonntag, Helge Thun, Ron Williams, außerdem die Gauthier Dance Juniors Tanzkompanie und das Schauspielensemble des Theaterhauses. Grußworte halten Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper und Petra Olschowski, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg.

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


1 Kommentar verfügbar

  • gerhard manthey
    am 30.03.2025
    Antworten
    Vier Meter Jubel!:
    "Herzlichen Glückwunsch sagen die Kontexter:innen laut HINAUF": 301 üM. Feuersee:/ 305 üM Pragsattel: Vier Meter Jubel! Umgerechnet : Das reicht für die kommenden 360 Jahre! In Wangen haben wir auch Detlef Hensches 50. Geburtstag gefeiert mit Marx und Klucke und alledem.
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!