Interessant: Verwendet man die Suchfunktion auf Bild.de, um Texte zu "Sancta" zu finden, erscheint gleich unter der ersten "Sancta"-Meldung folgende: "Sexueller Missbrauch im Vatikan: Papst ordnet Prozess gegen deutschen Priester an – Vertuscher oder Aufklärer: Welche Rolle spielt Papst Franziskus im Mega-Skandal?"
"In der Oper gewesen, gekotzt!"
Auf den "Sancta"-Skandal-Zug sprangen flugs auch Vertreter:innen so genannter seriöser Medien auf. "Bis der Arzt kommt: Holzingers 'Sancta' macht Stuttgarter fertig", schrieb etwa der Wiener Standard. Die FAZ dichtete gar: "In der Oper gewesen, gekotzt!" Dabei war von kübelnden Menschen niemals die Rede gewesen. Kessel-TV machte sich einen Spaß draus und bedruckte pinke Pullis mit diesem Bonmot. Knitze Popart.
Besonders ärgerlich an dem Ganzen: Die überregionale mediale Skandalisierung erweckt den Eindruck, das Stuttgarter Opernpublikum sei konservativ und spießig (im Gegensatz zu jenem in Schwerin und Wien, wo die Produktion zuvor gelaufen war und niemand protestiert hatte). Das ist mitnichten so. Stuttgarts Oper ist seit langer Zeit ein Haus des Regietheaters, das programmatisch Risiken eingeht, zudem regelmäßig neue Werke in Auftrag gibt. Und das nach wie vor sehr erfolgreich. Weil sein Publikum diesen Weg mitgeht und neugierig bleibt. Siehe "Sancta".
Der Ton der Meldungen machte also den Skandal und nicht das Publikum. Während die fünf noch folgenden "Sancta"-Vorstellungen schlagartig ausverkauft waren und vom Publikum weiterhin gefeiert wurden, ging's ausgerechnet bei denen, die "Sancta" nie gesehen hatten, heiß her. Naturgemäß, ohne sich mit dem Inhalt des Stücks oder Holzingers Theaterästhetik auseinanderzusetzen. Der katholische Stuttgarter Stadtdekan Christian Hermes erzählte was von "religiösen Gefühlen", die "obszön verletzt" würden und meinte, es werde "ganz bewusst mit der mentalen Gesundheit der Menschen gespielt".
Was wohl die unzähligen Kinder und Jugendlichen, die in katholischen Institutionen sexuellen Missbrauch erfahren haben, Herrn Hermes rückmelden? Oder die Frauen, die in der katholischen Kirche nach wie vor beruflich diskriminiert werden? In der katholischen Kirche gewesen, gekotzt!
Für Florentina Holzinger und ihr Team ist die Skandalisierung von "Sancta" gefährlich geworden. Sie hat nun die in Deutschland nach wie vor unterschätzten ultrarechten christlichen Fundamentalist:innen an der Hacke – inklusive Hatespeech und Gewaltandrohungen. Vor der Stuttgarter Staatsoper versammelten sich dann auch schon bald Menschengrüppchen mit Deutschlandfahnen und bigotten Bannern ("Wir beten zur Sühne der Lästerungen Gottes …"), begleitet von säuselndem Rosenkranz-Singsang. Zu diesem "Protest gegen bösartigen linksgrünen Angriff auf Christen" hatte die rechts-katholische Sekte "Deutsche Gesellschaft zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum" aufgerufen, die auf ihrer Webseite schreibt: "Dieses Stück ["Sancta"] stammt direkt aus der Hölle und wurde vom Teufel selbst inszeniert." Hä? Ihr Leiter Mathias von Gersdorff ist rechts vernetzt mit den altbekannten Abtreibungsgegner:innen und dem AfD-nahen Aktionsbündnis "Demo für Alle". Ach so.
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