Eine kleine Bleistiftzeichnung von Kasimir Malewitsch steht am Beginn der Sammlung des Museum Ritter in Waldenbuch, das ganz der quadratischen Kunst gewidmet ist. Marli Hoppe-Ritter, die das Museum 2005 eröffnete, war bis vor wenigen Jahren Aufsichtsratschefin des Schokoladenherstellers Ritter Sport. Neben drei Rechtecken zeigt die Zeichnung, entstanden im selben Jahr wie das berühmte Öl-Gemälde, ein schwarzes Quadrat.
"Das Schwarze Quadrat" gilt heute als Ikone der Moderne. Als es 1915 in Sankt Petersburg zum ersten Mal Ende ausgestellt wurde, hängte der Künstler es wie eine Ikone in die linke obere Raumecke. Ein Nichts, pure Abstraktion, schwarze Nacht anstelle eines Heiligenbildes – eine Revolution. Das Original befindet sich heute in der Tretjakow-Galerie in Moskau, zwei spätere Exemplare in Sankt Petersburg. Domestiziert im Museum, lässt sich kaum noch die Aufbruchsstimmung erahnen, die sich mit ihrer Entstehung verband.
Suprematismus nannte Malewitsch eine Kunst, die nicht abbilden wollte, sondern aus geometrischen Formen neue, frei erfundene Welten schaffen. Erstmals malte er ein schwarzes Quadrat 1913 auf den Bühnenvorhang der futuristischen Oper "Sieg der Sonne", zu der er Kostüme, Bühnenbild und Lichtregie beisteuerte. Die Oper handelt von den Erlebnissen eines Zeitreisenden in der Welt des 35. Jahrhunderts. Die Akteure saßen im Publikum und griffen die Zuschauer an. Die Musik enthielt ungewohnte Klänge wie Vierteltöne und Maschinengeräusche, das Libretto willkürliche Worte einer Sprache eigener Erfindung: ein dadaistischer Spuk, noch bevor es die Dada-Bewegung überhaupt gab, mit Kostümen in Primärfarben, die das Triadische Ballett von Oskar Schlemmer vorwegnahmen.
Der deutsche Kunstbetrieb schielte nach Russland
Schlemmer war immer bemüht, dieses Ballett als seine ureigenste Erfindung auszugeben. Aber ganz sicher beobachteten Künstler in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg genau, was sich in Russland ereignete. Die Oktoberrevolution hatte die alte, zaristische Ordnung hinweggefegt, und in Deutschland schien nach der Flucht Kaiser Wilhelms II. und dem Kieler Matrosenaufstand Ähnliches bevorzustehen. Nach dem Vorbild der Sowjets gründete sich ein Arbeitsrat für Kunst, nach der deutschen Novemberrevolution die Novembergruppe. Es gab wenige namhafte Künstler und Architekten, die nicht einer der beiden Vereinigungen angehörten. Die Üecht-Gruppe (althochdeutsch für Morgendämmerung) um Schlemmer und Willi Baumeister, die Paul Klee an die Stuttgarter Akademie holen wollte, bezeichnete sich auch als lokale Sektion der Novembergruppe. In Berlin ließen sich George Grosz und William Heartfield 1920 auf der Ersten Internationalen Dada-Messe mit einem Schild fotografieren, auf dem stand: "Die Kunst ist tot. Es lebe die neue Maschinenkunst Tatlins."
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