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Mit erhobenem Mittelfinger

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Er hat den ersten Haschischtoten besungen: Am 30. Januar tritt Götz Widmann, der Guru der neuen Liedermacher-Generation, in den Wagenhallen auf. Der Begriff "Liedermacher" gefällt ihm dabei eigentlich nicht, aber nach über 20 Jahren hat er sich mit ihm abgefunden. Ein Gespräch über die Konjunkturen der Liedermacherei, die aktuelle Verjüngung in der Szene und Politikverdrossenheit.

Herr Widmann, Sie betreiben mit Ihrer Frau ein Liedermacher-Label, das es seit 1997 gibt. In den letzten Jahren haben Sie deutlich mehr Alben als früher rausgebracht. Woran liegt das?

Meine Frau hatte Spaß und Lust, das ein bisschen auszubauen. Ich bin am allerliebsten Künstler und hab mich nie ernsthaft als Musikdienstleister gesehen. Ursprünglich haben wir das Label mit unserer alten Band Joint Venture geschaffen, weil wir unsere Platten in den Vertrieb bekommen wollten. Dem hat es dann auch viele Jahre gedient. Inzwischen bringen wir aber auch viele andere Künstler raus.

Es hat doch aber bestimmt auch mit der generell stärkeren Aktivität der Szene zu tun ...

Komplett abstreiten kann man das nicht.

Welche Entwicklungen gab es in den letzten Jahren in der deutschsprachigen Liedermacher-Szene?

Ich glaube, dass sich einfach viel mehr tolle Leute trauen, auf Deutsch zu singen. Ich verfolge das, weil ich seit fast 20 Jahren ein Liedermacherfestival veranstalte, wo sich jedes Jahr Leute treffen, die auf so etwas Lust haben und drei Tage lang bei offener Bühne ihren Kram austauschen. Das ist alles viel, viel größer geworden, gerade bei den jungen Leuten, die haben Spaß daran. Vielleicht gibt es eine Sehnsucht nach Natürlichkeit, nach handgemachter Musik.

Was für ein Publikum wird heute von Liedermachern angezogen? Verändert sich auch da das Bild ein bisschen?

Auf jeden Fall. Ich war in letzter Zeit bei Konzerten von Konstantin Wecker und Hannes Wader, und da hatte ich das Gefühl, dass ich zu den jüngsten fünf Prozent im Publikum gehörte, obwohl ich selber schon 50 bin. Auf meinen Konzerten, oder noch krasser bei den jüngeren Leuten, gehöre ich zu den ältesten fünf Prozent. Da ist eine ganz klare Trennlinie zwischen den verschiedenen Generationen von Liedermachern. Es gibt da auch inhaltliche Unterschiede: Während die ältere Generation noch ein bisschen politischer war und vielleicht mehr mit dem erhobenen Zeigefinger unterwegs, ist meine Generation – und die, die jetzt kommt – eher mit dem erhobenen Mittelfinger unterwegs.

Der Unterschied lässt sich zum Teil sogar anhand eines einzigen Begriffs ausdrücken, und zwar mit dem mittlerweile halbwegs bekannten "Liedermaching".

Den mag ich ja eigentlich gar nicht so. Der geht tatsächlich ein bisschen auf uns zurück: Das letzte Joint-Venture-Album hieß "Extremliedermaching". Der Begriff ist bei meinem Liedermacher-Festival entstanden. Da hatten wir drei Tage offene Bühne, alle lagen sich feiernd in den Armen und haben sich ihr Zeug vorgesungen, und irgendwann hat mal jemand gesagt: "Das ist doch Extrem-Liedermaching, was wir hier machen." Das war Hennes von den "Heuchlern", und wir haben ihn dann gefragt, ob wir den Titel für unser Album nehmen dürfen.

Was hat das Festival in Kevelaer, das Sie ab Mitte der 90er veranstaltet haben, ausgemacht?

Ich wollte Künstlern, die ich gut fand, ein Forum schaffen. Wir kannten einen Hippie-Bauern in Kevelaer, der ab und zu Veranstaltungen machte und der auch selber Liedermacher war. Den habe ich gefragt und dann haben wir das mal da gemacht. Es waren 30 Künstler und 30 Zuschauer, und genau so hat es sich perfekt angefühlt. Wir haben es dann sehr viele Jahre dort gemacht. Es war immer eine tolle Sache, nur leider war die Kapazität dieses Bauernhofs sehr begrenzt. Es gab da nur ein Klo und eine Dusche und immer am Samstagnachmittag ist die Sickergrube übergelaufen. Wir konnten da nie groß Publikum zulassen, das lief immer ein bisschen geheim, niemand durfte es im Internet veröffentlichen.

Mittlerweile geht es in der Nähe von Leipzig weiter. Ist das im Prinzip dasselbe, nur ein bisschen größer, oder ist es jetzt ganz anders?

Wir versuchen, so viel wie möglich vom Spirit des alten Festivals rüberzuretten, aber es ist jetzt ein bisschen größer. Wir sind mit neuen Problemen konfrontiert, haben aber auch neue Möglichkeiten. Es sind jetzt viel, viel mehr Musiker, vielleicht 100 statt 30.

Der Liedermacher Mani Terzok sagt über Kevelaer zwei Sachen: Zum einen habe es da die Entwicklung vom klassischen und politischen Liedermachertum zum freien Liedermachen gegeben, und zum anderen habe sich durchs Kiffen ein anderes Niveau ergeben: Der sinnliche Anspruch an Text und Musik sei gestiegen.

Gekifft haben wir immer ziemlich viel. Das hat vor allem der Laune sehr gutgetan – und dem künstlerischen Austausch, es hat die Leute schon ein bisschen lockerer gemacht. Aber Kiffen war wahrscheinlich auch bei den früheren Liedermachern absolut normal.

In den Neunzigern war es außerhalb von Kevelaer nicht gerade ein großes Vernügen, Liedermacher zu sein ...

Nee, gar nicht.

Wie haben Sie die Konjunkturen des Liedermachertums im Lauf der Zeit erlebt?

Wir haben 1993 angefangen, und das war wohl die absolute Antikonjunktur des Liedermacher-Daseins. Anfang der Siebziger war das noch eine tief moralische Szene gewesen, und dann hat irgendjemand festgestellt, dass man damit eine Menge Geld verdienen kann. Das hat das Ganze furchtbar versaut und prostituiert. Wir haben uns auch gar nicht als Liedermacher gesehen, unser Ansatz war ein bisschen punkiger. Wir haben uns dann zum Beispiel "Antitainer" genannt. Es gibt bis heute keinen überzeugenden Begriff. Auf Italienisch heißt es "Cantautore", also singender Autor – das ist viel schöner. Der Begriff lässt einem mehr Freiheiten. Aber die nehme ich mir einfach trotzdem.

Da sind Sie nicht der Einzige. Es gibt ja eine gewisse Ausdifferenzierung des Genres und auch eine Diskussion darüber, was Liedermacherei eigentlich bedeutet. Ist es eher eine Haltung als eine Musikrichtung?

Vielleicht tatsächlich eher eine Haltung. Ich bin dagegen, das einzuengen. Ich glaube, ein Liedermacher ist jemand, der seine Persönlichkeit in seine Songs fließen lässt, seine Songs selbst schreibt und halbwegs authentisch das lebt, was er in seinen Liedern sagt.

Für den Liedermacher Rüdiger Bierhorst macht Liedermacherei aus, zu versuchen, die Leute über den Text zu kriegen und nicht primär über die Musik. Stimmen Sie dem zu?

Voll und ganz. 95 Prozent meines kreativen Schaffens ist Textschaffen. Wenn ein Text gut ist, dann fällt mir die Melodie immer in den Schoß. Aber ich arbeite hart Tag und Nacht an den Texten.

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Die Liedermacherin Cynthia Nickschas lässt keinen Zweifel daran, dass sie die Gesellschaft verändern will.

Ich glaube, da sollte man seinen Einfluss nicht überschätzen. Wenn ich irgendwelchen Leuten was vorsinge, dann sind die vielleicht berührt davon, aber am nächsten Morgen um acht Uhr sitzen sie wieder vor ihrem Chef und sind mit einer vollkommen anderen Realität konfrontiert. Ich habe die Ambition, schöne Lieder zu schreiben, und das darf dann auch mal ein politisches Lied sein – aber ich setze mich niemals hin und sage: Ich will das und das in der Welt verändern und schreibe jetzt dafür einen Song. Das geht meistens schief. Es gibt so peinliche politische Lieder.

Ist das jetzt Resignation, oder waren Sie schon immer so?

Ich war schon immer so. Ich bin halt auch geprägt von einer Zeit, in der politische deutsche Texte geschrieben worden sind, um Platten zu verkaufen. Es hat teilweise ekelerregende Ausmaße angenommen. In mir ist da ein gewisser Widerwille übrig geblieben.

Auf Ihrem letzten Album "Krieg & Frieden" singen Sie in mehreren Liedern über Politikverdrossenheit. Zum Teil ist das offensichtlich ironisch, zum Teil aber auch nicht. Meinen Sie beides gleich stark?

Das Schlimme ist, vor zehn Jahren habe ich noch relativ intensiv parteipolitische Gespräche mit Freunden geführt, wo es dann darum ging: Welche Parteien kommen an die Macht, und was ändern sie? Mittlerweile hab ich kapiert, dass unsere Welt von Konzernen regiert wird und leider nicht von politischen Parteien oder Nationalstaaten und dass es eigentlich fast gleichgültig ist, welche Partei gerade an der Macht ist. Die erfüllen sowieso nur irgendwelche Lobbyinteressen.

Aber es gibt doch einen Unterschied zwischen Parteienverdrossenheit und Politikverdrossenheit.

Na ja, wir leben nun mal in einer Parteiengesellschaft. Es stimmt, ich bin echt ein bisschen politikverdrossen. Ich versuche, mich trotzdem einigermaßen informiert zu halten, aber irgendwie findet so wenig statt, das tatsächlich etwas verändern würde. Es wird immer nur verwaltet, und letztlich entwickelt sich die Welt immer mehr Richtung Konzerninteressen.

Der junge Liedermacher Jakob Heymann sagt: Liedermacherei hat eine gewisse Verwandtschaft zum Kabarett. Bei beiden gehe es um Leidenschaft und Aufklärung. Wie stehen Sie denn zu dieser Aussage?

Da kann ich nur zustimmen. Aufklärung ist etwas anderes als Meinungsbildung. Die Leute mit einer Wahrheit, die man als Künstler sieht, zu konfrontieren, das unterstütze ich voll und ganz.

 

Info:

Götz Widmann ist aktuell auf Solotour unterwegs. "Nach zwei Jahren mit Band freue ich mich auf die unglaubliche Freiheit, die so ein Auftritt ganz alleine mit sich bringt", sagt er. Wegen dieser Freiheit hat er nun angeblich 100 Lieder geprobt, um jeden Abend spontan gestalten zu können. Liedwünsche ausdrücklich erlaubt.

In Baden-Württemberg tritt er auf am

  • Mittwoch, 27. Januar: Halle 2, Heidelberg,
  • Donnerstag, 28. Januar: Jubez, Karlsruhe,
  • Samstag, 30. Januar: Wagenhallen, Stuttgart,
  • Donnerstag, 28. April: Sudhaus, Tübingen,
  • Sonntag, 30. April: Das Contrast, Konstanz.

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