Der Fund, auf den Arbeiter im vergangenen Juli in der riesigen Baugrube des geplanten Tiefbahnhofs stießen, gilt als archäologische Sensation. Im Süden des Baufelds im Stuttgarter Schlossgarten, wo der Nesenbach in einem Düker die unterirdische Bahnhofshalle unterqueren soll, förderten sie rund vier Meter unter der heutigen Oberfläche ein menschliches Skelett zutage. Der oder die Tote war auf der Seite liegend mit angewinkelten Armen und Beinen beigesetzt worden.
Die herbeigerufenen Archäologen des Landesamts für Denkmalschutz erkannten darin ein sogenanntes Hockergrab, das typisch für die ausgehende Jungsteinzeit ab etwa 5500 vor Christus war und bis in die frühe Bronzezeit rund 2000 vor Christus die häufigste Bestattungsform in Süddeutschland blieb. Beigaben oder sonstige Funde, die nähere Hinweise auf den genaueren Zeitpunkt der Bestattung geben könnten, fanden sich nicht. Unweit des Grabes wurden zwei weitere Stellen mit Knochenresten entdeckt. Hatte die Bahn beim Bau ihres Zukunftsprojekts die Jahrtausende währende Totenruhe der ersten Urstuttgarter gestört?
Inzwischen wurde das Geheimnis um das Skelett aus dem Schlossgarten mit Zahnbürste und Spektrometer gelüftet, zumindest teilweise: Die rund 100 Einzelknochen des Skeletts wurden zum Anthropologen Joachim Wahl nach Konstanz geschickt, der sie sorgfältig mit Wasser, Bürsten und Pinseln reinigte und seither mit Lupe und Messschieber untersucht. Die erste Frage der Archäologen, die nach Geschlecht und Alter des Fundstücks, kann der Experte des Denkmalamts bereits beantworten: "Es war eine sehr zierliche, 17- bis 19-jährige junge Frau", sagt der Professor. Das Becken sei eindeutig weiblich ausgeprägt. Der Teenager dürfte etwa 1,60 Meter groß gewesen sein. Auf das frühe Sterbealter wiesen die Enden der Gelenkknochen hin, die noch nicht vollständig verwachsen sind. Auch lasse ein kaum abgenutzter Weisheitszahn auf das frühe Ableben schließen.
Die Todesursache bleibt ein Rätsel
Woran die junge Frau so früh starb, bleibt aber weiter ein Rätsel. "Zur Todesursache kann ich leider nichts sagen", bedauert der Experte. Der Teenager aus dem Schlossgarten litt offensichtlich an Mangelernährung oder einer Stoffwechselkrankheit, worauf poröse Knochenabschnitte hindeuten. "Doch die dürfte nicht lebensbedrohlich gewesen sein", sagt Wahl.
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Rainer Daeschler
am 21.10.2015Eine Frau von 1,60 Meter Größe aus den Jahren um 1560 v. Chr. war nicht zierlich, sondern hatte die Größe eines…