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Teenie aus der Bronzezeit

Teenie aus der Bronzezeit
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Über 3500 Jahre lag sie friedlich begraben im Schlossgarten. Dann kamen die Bahnhofsbagger von Stuttgart 21 und legten die Skelettreste der jungen Frau frei. Der Teenager aus der Bronzezeit gilt als die älteste Stuttgarterin – und könnte in einem Pappkarton enden, wenn Stadt und Bahn es sich nicht anders überlegen.

Der Fund, auf den Arbeiter im vergangenen Juli in der riesigen Baugrube des geplanten Tiefbahnhofs stießen, gilt als archäologische Sensation. Im Süden des Baufelds im Stuttgarter Schlossgarten, wo der Nesenbach in einem Düker die unterirdische Bahnhofshalle unterqueren soll, förderten sie rund vier Meter unter der heutigen Oberfläche ein menschliches Skelett zutage. Der oder die Tote war auf der Seite liegend mit angewinkelten Armen und Beinen beigesetzt worden.

Die herbeigerufenen Archäologen des Landesamts für Denkmalschutz erkannten darin ein sogenanntes Hockergrab, das typisch für die ausgehende Jungsteinzeit ab etwa 5500 vor Christus war und bis in die frühe Bronzezeit rund 2000 vor Christus die häufigste Bestattungsform in Süddeutschland blieb. Beigaben oder sonstige Funde, die nähere Hinweise auf den genaueren Zeitpunkt der Bestattung geben könnten, fanden sich nicht. Unweit des Grabes wurden zwei weitere Stellen mit Knochenresten entdeckt. Hatte die Bahn beim Bau ihres Zukunftsprojekts die Jahrtausende währende Totenruhe der ersten Urstuttgarter gestört?

Inzwischen wurde das Geheimnis um das Skelett aus dem Schlossgarten mit Zahnbürste und Spektrometer gelüftet, zumindest teilweise: Die rund 100 Einzelknochen des Skeletts wurden zum Anthropologen Joachim Wahl nach Konstanz geschickt, der sie sorgfältig mit Wasser, Bürsten und Pinseln reinigte und seither mit Lupe und Messschieber untersucht. Die erste Frage der Archäologen, die nach Geschlecht und Alter des Fundstücks, kann der Experte des Denkmalamts bereits beantworten: "Es war eine sehr zierliche, 17- bis 19-jährige junge Frau", sagt der Professor. Das Becken sei eindeutig weiblich ausgeprägt. Der Teenager dürfte etwa 1,60 Meter groß gewesen sein. Auf das frühe Sterbealter wiesen die Enden der Gelenkknochen hin, die noch nicht vollständig verwachsen sind. Auch lasse ein kaum abgenutzter Weisheitszahn auf das frühe Ableben schließen.

Die Todesursache bleibt ein Rätsel

Woran die junge Frau so früh starb, bleibt aber weiter ein Rätsel. "Zur Todesursache kann ich leider nichts sagen", bedauert der Experte. Der Teenager aus dem Schlossgarten litt offensichtlich an Mangelernährung oder einer Stoffwechselkrankheit, worauf poröse Knochenabschnitte hindeuten. "Doch die dürfte nicht lebensbedrohlich gewesen sein", sagt Wahl.

Oft lässt sich ein gewaltsamer Tod am Schädel nachweisen, doch der blieb trotz intensiver Suche verschwunden. "Vielleicht haben die Römer oder Alemannen bereits hier gegraben", spekuliert Wahl. Denkbar sei auch, dass wechselnde Wasserstände im Stuttgarter Talkessel die Sedimente und mit ihnen den Schädel verschob. "Wenn der Nesenbach nicht vorbeigeflossen wäre, dann gäbe es das Skelett nicht mehr", erklärt Wahl. Der feuchte Boden habe den Fund über Jahrtausende konserviert – und die Knochen charakteristisch dunkel verfärbt.

Mit Hilfe der Radiokohlenstoffdatierung konnte ein englisches Labor inzwischen den Todeszeitpunkt eingrenzen: Später als ursprünglich angenommen wurde die Tote in den Jahren um 1560 vor Christus bestattet. Der Teenie vom Nesenbach lebte somit in der älteren Bronzezeit. Und damit beispielsweise rund 1000 Jahre vor dem Keltenfürst von Hochdorf, dessen üppig ausgestatteter Grabhügel rund 30 Kilometer nordwestlich von Stuttgart in den Siebzigerjahren entdeckt wurde. Wesentlich bescheidener als der berühmte Nachbar wurde die Stuttgarter Jugendliche bestattet. Als Grabbeigaben identifizierte Wahl zwei bearbeitete Tierknochen von Schaf oder Ziege, die als einfache Werkzeuge gedient haben könnten.

Gleichwohl schätzt Wahl den aktuellen Fund als bedeutend ein. "Die junge Frau ist immerhin die älteste Stuttgarterin", sagt der Anthropologe. Die Geschichte der Landeshauptstadt reiche nun viel weiter in die Vergangenheit als bislang bekannt. Bis dato galt die Gründung eines Gestüts im Nesenbachtal ("Stuotgarten") 950 nach Christi durch Herzog Liudolf von Schwaben als erster Siedlungsnachweis. "Nun kann Oberbürgermeister Kuhn auf eine viel längere Geschichte Stuttgarts verweisen", schmunzelt der Wissenschaftler. Von besonderer Bedeutung sei das Skelett auch aufgrund seiner Fundsituation: "Der Fund auf einer Baustelle von Stuttgart 21 macht es zum Politikum." Zahlreiche Medien hätten schon bei ihm angefragt.

Noch einige Wochen wird Professor Wahl das Skelett in Konstanz weiter untersuchen. Weitere Hinweise über die Lebensumstände der Toten könnte die sogenannte Hightech-Archäologie liefern. Mithilfe der Strontium-Isotopenanalyse ließe sich beispielsweise das Migrationsverhalten rekonstruieren, also, ob die Frau dauerhaft im Nesenbachtal gelebt hat oder zugewandert ist. "Solche Methoden kosten aber", schränkt Wahl ein.

Letzte Ruhe im Badischen?

Standardmäßig wird das Schlossgarten-Skelett, das wie andere archäologische Fundstücke auch dem Land gehört, zuletzt inventarisiert. "Das Skelett bekommt eine Nummer, wird ordentlich verpackt und nach Rastatt ins zentrale Fundarchiv des Landes überführt", erläutert Wahl. Seine neue letzte Ruhestätte wird der älteste Stuttgarter Teenie demnach in einem schlichten grauen Pappkarton im Badischen finden. Es sei denn, Museen oder andere Institutionen leihen den Fund für Ausstellungen aus.

"Ich kann mir gut vorstellen, dass das Skelett zusammen mit anderen Schlossgarten-Funden der Öffentlichkeit gezeigt wird, vielleicht sogar vor Ort im Stuttgarter Hauptbahnhof", sagt Anthropologe Wahl. Tatsächlich haben die Bauarbeiten für den Tiefbahnhoftrog bereits etliche Zeugnisse der frühen Stuttgarter Siedlungsgeschichte zutage gefördert. Im Sommer stießen die Archäologen auf Funde aus der Römerzeit aus dem 2. und 3. Jahrhundert nach Christus sowie auf germanische Siedlungsspuren aus der Mitte des 4. Jahrhunderts. Darunter Keramikscherben, Holzreste, aber auch eine Gewandschließe aus Bronze. Vor Kurzem wurde auf dem Baugelände ein neuzeitlicher Kanal freigelegt und dokumentiert. Vertraglich mit der Bahn vereinbart ist, dass Archäologen bis ins Jahr 2018 vor Ort auf der Baustelle sind, um mit "Rettungsgrabungen" weitere Funde sachgerecht zu bergen.

In einer archäologischen S-21-Ausstellung ließen sich neben Skelett und Scherben auch die großen baulichen Fundstücke präsentieren, als virtuelle Modelle oder maßstabsgerechte Nachbauten. Denn was dem künftigen Tiefbahnhof im Weg steht und nicht unter vertretbarem Aufwand geborgen werden kann, machen letztlich die Bagger platt. Den Tiefbahnhofbau sehen die Denkmalschützer denn auch mit einem lachendem und einem weinendem Auge. "Wir haben einen Gewinn an Stadtgeschichte, aber zugleich auch Verluste an historischer Substanz", sagt Andreas Thiel vom Landesdenkmalamt. Die Verluste seien aber nicht S-21-spezifisch. "Überall, wo gebaut wird, passiert dies", betont er.

Bei den potenziellen Machern einer S-21-Archäeologieausstellung gibt man sich zurückhaltender. "Von den bisherigen Funden sind einige interessant für das Stadtmuseum", kündigt eine Sprecherin der Landeshauptstadt an, Exponate von der Bahnhofsbaustelle präsentieren zu wollen. Das Museum, dessen Eröffnung im historischen Wilhelmspalais im Jahr 2017 geplant ist, "würde allerdings aus ethischen Gründen keine toten Menschen dauerhaft ausstellen", betont die Sprecherin. Man wolle nicht etwa dem Südtiroler Archäologiemuseum nacheifern, das die berühmte Eismumie Ötzi zeigt.

Jahrtausendealte Funde im hypermodernen Jahrhundertprojekt kann sich auch die Bahn bislang nicht vorstellen. "Eine Dauerausstellung im Bahnhof ist derzeit nicht in unseren Überlegungen", wiegelt ein Sprecher des S-21-Kommunikationsbüros ab. Auch sei in dieser Angelegenheit das Landesdenkmalamt die letzte Instanz. Wie Bahnhofsarchitekt Christoph Ingenhoven zur Idee eines Museums unter den markanten Lichtaugen stehe, sei nicht bekannt.


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2 Kommentare verfügbar

  • Rainer Daeschler
    am 21.10.2015
    Antworten
    »"Es war eine sehr zierliche, 17- bis 19-jährige junge Frau", sagt der Professor. Das Becken sei eindeutig weiblich ausgeprägt. Der Teenager dürfte etwa 1,60 Meter groß gewesen«

    Eine Frau von 1,60 Meter Größe aus den Jahren um 1560 v. Chr. war nicht zierlich, sondern hatte die Größe eines…
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