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Unvermögensteuer für Arme

Schwache Schultern können mehr

Unvermögensteuer für Arme: Schwache Schultern können mehr
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Härtere Sanktionen, späterer Renteneintritt, kein Lohn bei Krankheit: Selten gerät der Sozialstaat so ins Visier wie dieser Tage. Doch sind die schwachen Schultern wirklich schon am Limit? Wir brauchen noch eine Unvermögensteuer für alle, die weniger als 100.000 Euro Vermögen haben, meint unser Kolumnist.

Die FDP ist aus dem Bundestag verschwunden. Niemand scheint sie zu vermissen. Die Partei wurstelt unterhalb der Wahrnehmungsschwelle mit einer Strategie so klar und stringent wie eine Bambi-Moderation von Thomas Gottschalk. Die letzte liberale Lichtgestalt, Christian Lindner, arbeitet mittlerweile als Gebrauchtwagenhändler und hat also endlich einen Job gefunden, der der Seriosität seiner Person angemessen ist. Doch keine Sorge: Mit Gestalten wie Friedrich Merz, Katherina Reiche, Lars Klingbeil und dem Rest des Berliner Pandämoniums sitzt die neoliberale FDP-Denke respektive das FDP-Mindset, wie wir Highperformer sagen, nach wie vor an den langen Hebeln.

Und man spürt's in diesen Tagen sehr. Selten stand der Sozialstaat so intensiv unter Beschuss wie in den vergangenen Wochen. "So knallhart soll die neue Grundsicherung werden", titelt die "Zeit". Wenn selbst das Bildungsbürgerblatt aus Hamburg wie die "Bild"-Zeitung schlagzeilt, weiß man: Es ist ernst.

Grundgesicherte, formerly known as Bürgergeldempfänger, sollen nach den jüngsten Plänen ihrem Vermieter aufs Dach steigen, wenn die Miete durch die Decke schießt. Fruchtet dies nicht, darf das Jobcenter die Mietzuschüsse kürzen. Entweder verliert der Grundsicherungsempfänger seine Wohnung also durch Rausschmiss oder durch Zahlungsunfähigkeit. Zeitgleich existiert ein "Nationaler Aktionsplan" der Bundesregierung mit dem Ziel, die Obdach- und Wohnungslosigkeit in Deutschland bis 2030 zu überwinden. Ist ja noch Zeit bis dahin, drum setzten wir erstmal noch ein paar arme Teufel auf die Straße.

Auch sonst darf künftig seitens des Jobcenters heiter geschossen werden: Wer Arbeiten ablehnt, bekommt kein Geld mehr – lediglich ein symbolischer Euro (in Zahlen: 1 Euro) soll in diesen Fällen noch aufs Konto fließen, um schwarzpädagogisch aufzuzeigen: Wir haben dich nicht vergessen, wir lassen dich ganz bewusst verenden. Heizungs- und Wohnungskosten blecht das Jobcenter dann direkt an den Vermieter, der freilich nicht unter den Kürzungen leiden soll. 15 Milliarden Euro überwies der Staat über den Umweg des Bürgergeldempfängers allein anno 2023 an Deutschlands Vermieter und Immobilienkonzerne. Weitere fünf Milliarden in Form von Wohngeld, das Aufstocker erhalten, wenn ihr Lohn wegen der hohen Mieten nicht zum Wohnen reicht. Doch auf der Kapitalseite greift politisch niemand ein, das wäre ja Sozialismus, und wir leben bekanntlich alle lieber im Sadismus.

Weshalb künftig auch psychisch Kranke persönlich beim Jobcenter vorsprechen sollen, wo der Jobcenter-Angestellte dann entscheidet, ob tatsächlich eine geistige Erkrankung vorliegt – bei so viel Expertise könnten die Kurpfuscher der Arbeitsagentur doch auch gleich noch zahnärztliche Behandlungen durchführen und ein kardiologisches Gutachten erstellen.

Am besten bis 70 krank zur Arbeit

Doch nicht nur Grundsicherungsempfänger werden kujoniert. Bundesgaslobbyistin Katherina Reiche geht mit ihrer Agenda 2030 auch auf Arbeitnehmer los: "Wir sollten auch darüber reden, ob wir mit der Lohnfortzahlung ab dem ersten Krankheitstag nicht die falschen Anreize setzen", erklärte die empfindungsarme Roboterfrau mit Spitznamen KI-Therina bei ihrer Grundsatzrede im Wirtschaftsministerium. Arbeitskolleg:innen nicht anstecken zu wollen, könnte zwar nicht nur aus humanistischer, sondern auch aus betriebswirtschaftlicher Perspektive Sinn ergeben. Aber wer psychiatrische Diagnosen von Jobcenter-Mitarbeitern ausstellen lässt, der setzt halt auch auf darwinistische Auslese im Großraumbüro.

Um den Grippe- und Coronawellen eine faire Chance zu geben, die Belegschaft über die Jahre hinfortzuraffen, will die mit mehreren Antivirus-Programmen gesicherte humanoide Cyborg-Dame die Menschen bis ins hohe Alter von 70 Lenzen zur Arbeit schicken, wie sie bereits im Juli der "FAZ" ins Diktiergerät roboterte. Dagegen wird sich unsere Klingbeil-SPD aber garantiert in gewohnt hartnäckiger Manier zur Wehr setzen und für die hart schuftenden Menschen im Land ein faireres Renteneintrittsalter erkämpfen. Ich tippe mal auf 69 dreiviertel.

In der Rentendebatte – da liegen derzeit ja auch die Altvorderen in der Union im Clinch mit den mental frühvergreisten, aber biologisch jüngeren CDUlern – kommt das deutsche Denkerland ohnehin seit Jahrzehnten gedanklich keinen Zentimeter voran. Aufgrund der hiesigen Scheuklappen bei diesem Thema heißt es stets, es gebe nur drei Stellschrauben: Renteneintrittsalter erhöhen oder Rentenniveau senken oder Beitragssätze anheben. Dabei muss man die Rente endlich out of the box denken, wie man es beispielsweise in Österreich getan hat. Dort zahlen fast alle Arbeitenden in den Rententopf ein, auch Beamte, während in Deutschland die gesetzliche Rente zusehends zur Resterampe verkommt. Angestellte mit hohem Lohn verschont die Beitragsbemessungsgrenze, andere Berufsgruppen mit zumeist gutem Einkommen haben gleich ihre eigenen Töpfe: Anwälte, Ärzte, Steuerberater, Architekten, Bundestagsabgeordnete, Beamte – sie alle haben sich entsolidarisiert und zahlen nicht in die gesetzliche Rentenkasse ein. Das gilt es zu ändern, anstatt die ohnehin schon unterdurchschnittlich entlohnten Berufsgruppen immer länger ackern zu lassen.

Ein gängiges, aber leicht zu entkräftendes Gegenargument zu meinem Vorschlag lautet: Da die besser besoldeten Berufsgruppen und Beamten auch höhere Renten beziehungsweise Pensionen kassieren, würde sich durch einen einzigen großen Rententopf am Problem gar nichts ändern, da jene, die mehr hineingäben, ja auch wieder mehr herausnähmen. Allein: Es würde sich sehr wohl etwas ändern, weil man selbstredend die unterschiedlichen Renten- bzw. Pensionsansprüche mit der Zeit anzugleichen hätte. Ja, Beamte werden im Ruhestand mit etwas weniger auskommen müssen. Wieso sollten Pensionäre im Ruhestand üppig von Steuergeldern leben, die unter anderem jene mit der Resterampenrente abgespeisten sonstigen Arbeitnehmer aufbringen? Apropos aufbringen: Alle aufgebrachten verbeamteten Oberstudienräte kann ich beruhigen – so weit wird es nicht kommen mit dieser GroKo (kurz für "Grobe Konservative"). Zumindest darin sind sich Jung wie Alt in der Union einig. Machen Sie sich also keinen Kopf, Sie dürfen weiter von gesellschaftlicher Ungerechtigkeit profitieren.

Hier sind kreative Zerstörer am Werk

Als neue Sozialstaatssturmbannführerin empfiehlt sich auch die Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Katrin Staffler von der CSU. Die erklärte jüngst, die Leistungen für Haushaltshilfen im Pflegegrad 1 in Höhe von 131 Euro nicht mehr allen Pflegebedürftigen zahlen zu wollen, denn, so Staffler wörtlich: "Was aus meiner Sicht nicht hilfreich wäre, wenn das Geld dazu verwendet wird, dass jemand anderes die Wohnung putzt, während der Pflegebedürftige, für den Aktivierung möglicherweise hilfreich wäre, nur auf der Couch hockt." Nicht schlecht, könnte aber noch mutiger gedacht werden: Könnte im Sinne der Aktivierung so ein fauler Sofasack in Pflegegrad 1 nicht auch gleich einen anderen in Pflegegrad 2 pflegen? Wir alle kenne doch die Erfolgsgeschichte vom Blinden und dem Lahmen.

Martin Blessing, der frühere Vorstandsvorsitzende der Commerzbank und "Investitionsbeauftragte" von Friedrich Merz, kein Scherz, nennt derartigen Sozialstaatsabbau "kreative Zerstörung". Schade, dass die Kriegsdienstverweigerungsdebatte zurzeit ein bisschen eingeschlafen ist, man würde aktuell gern all jene hören, die für unseren gütigen Sozialstaat zur Waffe greifen wollten.

Aber reicht das wirklich aus? Braucht es nicht zusätzliche kreative Zerstörungsideen, um noch ein paar Mommen mehr auf die schwachen Schultern der Gesellschaft zu laden? Zum Beispiel eine Unvermögensteuer: eine Sonderabgabe für alle Leistungsverweigerer, die weniger als 100.000 Euro Vermögen vorweisen können. Von irgendwem müssen wir's nehmen, denn eine Vermögensteuer für Reiche wird's nicht geben. Obwohl sich noch im April 69 Prozent der Befragten im Deutschlandtrend für die Vermögensteuer ausgesprochen hatten. Selbst unter den Unionsanhängern stimmten 66 Prozent dafür.

Aber wer braucht repräsentative Studien, wenn er repräsentative Demokratie hat: Schön, dass in einer solchen Friedrich Merz auf unsere Wünsche blickt und weiß, was wirklich gut für uns ist. Etwa die Senkung der Flugticketsteuer. Das Deutschlandticket wird hingegen teurer. Der Bevölkerung ergeht es wie mir damals, als ich mir zu Weihnachten was von Lego und ein Nintendo-Spiel gewünscht hatte und stattdessen einen Plüschteddy auspackte. Ja, ja, das war kein schönes Fest letztes Jahr.

Wohin sollte man mit einem Deutschlandticket innerhalb eines so kalten Landes aber auch noch reisen wollen? Ist's inmitten des rauen Verteilungskampfes nicht nachgerade weitsichtig von der Regierung, uns günstigere Fluchtflüge ermöglichen zu wollen? Doch nicht mal die wird's geben: Die Flugbranche lässt bereits durchblicken, dass sie die Steuererleichterung selbst einzustreichen gedenkt. "Die geplante Senkung der Ticketsteuer ist vor allem ein Geschenk an die Flugbranche", erklärt auch die Verbraucherzentrale: "Die Industrie profitiert, Verbraucherinnen und Verbraucher haben das Nachsehen." Mit diesem Satz ist das Wirken der Regierung Merz/Klingbeil in Gänze beschrieben. Die FDP wäre stolz.

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