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Werben fürs Sterben

Bundeswehr Brainwash 

Werben fürs Sterben: Bundeswehr Brainwash 
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Der Dienst an der Waffe soll knirschenden CDU-Zahnes vorerst (!) freiwillig bleiben. Zum Glück wurden schon unter Noch-SPD-Kanzler Olaf Scholz 58 Millionen Euro bewilligt, um der Bundeswehr die teuerste Werbung ihrer Geschichte zu ermöglichen.

Leider popeider, es hat nicht sollen sein: So hart hatte der SPD-Kanzler mit der Willensstärke eines Hobbits auf Ringwanderung und prophetischem "Zeitenwende"-Geschwurbel an der Remilitarisierung Deutschlands und einer Neuauflage einer Red Scare geschraubt, als er noch in den Chefsessel furzen durfte; so fleißig hat Kriegsminister Boris Pistorius (SPD) die Wehrhaftmachung des Nabels der westlichen Demokratie beschworen; so bildungsorientiert hatte Bettina Stark-Watzinger (FDP; R.I.P., haha) dafür gekämpft, Schülerinnen und Schüler ein ganz natürliches, "unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr" im Unterricht einzuimpfen; so friedliebend wollten Grüne in Bayern den Volkskörper mit einem kongenialen "Freiheitsdienst" stählen; so unerbittlich hat die bürgerliche Presse – allen voran die FAZ – die Barbarisierung ihrer Leserschaft betrieben und etwa Ex-Botschafter Eckard Lübkemeier vom Aufstieg Deutschlands zur Nuklearmacht träumen lassen. Doch am Ende haben sich Friedrich Merz' feuchten Oberindianderträume von einer "Dienstpflicht" an der Waffe in Luft aufgelöst wie die Federn auf seinem Kopf: Mit der SPD war im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung einfach keine neue Wehrpflicht zu machen. Was ist da los, SPD? Erst heiß auf Rüstung machen und dann Flaute in der Schamkapsel? Alles nur Show.

Denn eine haarige Insel der Hoffnung haben die Sozialdemokraten Merz bewusst über der Stirn stehen lassen. Einig sind sich CDU/CSU und SPD laut Koalitionsvertrag nämlich längst darüber, dass "unsere Sicherheit" "so stark bedroht" ist "wie seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr". Auch herrscht in der neuen Regierung Konsens darüber, dass "die größte und direkteste Bedrohung" dabei von Russland ausgehe, weil es einen "brutalen und völkerrechtswidrigen Angriffskrieg" (welcher Krieg ist nicht brutal?) gegen die Ukraine führe, "weiter massiv aufrüstet" und sich "das Machtstreben von Wladimir Putin (…) gegen die regelbasierte internationale Ordnung" richte. So klein der Signature-Büschel auf Friedrich Merz' Kopf, so groß seine Wirkung. Kein Witz: Zoomen Sie das nächste Mal, wenn Ihnen eine Frontalaufnahme des wohl nächsten deutschen Kanzlers mit der cringesten Frisur ever über den Bildschirm läuft, hinein ins Foto, machen Sie einen Screenshot und posten die Nahaufnahme von Friedrich Merz' Kopf auf Ihrem Profil. Keine Minute später wird es gelöscht mit Verwarnung und Hinweis darauf, dass das Foto "im Zusammenhang steht mit der Aufforderung zu sexuellen Aktivitäten". Friedrich Merz ist einfach zu sexuell fürs Internet. Woher ich das weiß? Fragen Sie nicht. Das ist ja auch gar nicht das Thema hier.

"Zunächst" als Abgrenzung zur CDU 

Das Thema ist vielmehr, was der versexte Büschel auf Merz' Kopf mit der ablehnenden Haltung der SPD gegenüber der Wehrpflicht zu tun hat, obwohl sie selbst seit geraumer Zeit aggressiv für Krieg einpeitscht. Und die Antwort ist ziemlich einfach: Er verhält sich so, wie das kleine Wörtchen "zunächst" im Satz "Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert" im Koalitionsvertrag der neuen Regierung: ZUNÄCHST wird es keine Pflicht zum Dienst an der Waffe geben. ZUNÄCHST sind für CDU/CSU und SPD "für die neue Ausgestaltung dieses Dienstes (…) die Kriterien Attraktivität, Sinnhaftigkeit und Beitrag zur Aufwuchsfähigkeit leitend". ZUNÄCHST setzt das Ehepaar CDU und SPD mit dem christlich-bayerischen Leberkäslaib CSU im ehelichen Gräbele auf "Wertschätzung durch anspruchsvollen Dienst, verbunden mit Qualifikationsmöglichkeiten", um "die Bereitschaft zum Wehrdienst dauerhaft [zu] steigern". Das Wörtchen "zunächst" war es also, was die SPD den Christdemokraten aus den Rippen leiern konnte, um sich jetzt, nach verlorener Powerposition, nach außen hin von der CDU abzugrenzen. Innerhalb der Regierung dürfte es – wie auch sonst überall nachles-, -seh- und -hörbar – kein Geheimnis sein, dass die SPD schon während ihrer Regierungszeit Bock auf Krieg hatte, um Deutschland nach 80 Jahren schlechtem Gewissen endlich wieder zur Schaltzentrale imperialistischer Großreichsinteressen zu machen. 

Da kommt der CDU wie der SPD "der Russ" gerade wieder recht. Steht der in Person von Wladimir Putin doch auch laut "FAZ"-Chefherausgeber Berthold Kohler schon wieder vor Berlin. ZUNÄCHST aber soll trotzdem niemand von der Merz-Regierung unter SPD-Beteiligung gezwungen werden, Deutschland mit seinem Leben gegen die Russen zu verteidigen. OBWOHL auch die SPD den Angriff Russlands auf die Ukraine im Jahr 2022 seit über zwei Jahren propagandistisch erfolgreich nutzt, um nach zwei von Deutschland angezettelten und verlorenen Weltkriegen wieder einmal eine landesweite gesellschaftliche "Notwehr"-Psychose zu kreieren. Wie geht das zusammen?

Gut geht das zusammen für eine SPD, die sich den Büschel "sozial" schon 1914 aus ihrem Parteinamen hätte rasieren sollen. Denn während Rechte und Rechtsradikale in Europa keinen Hehl aus ihrer Überzeugung für den Zwang an der Waffe machen und kein Problem darin sehen, Menschen unter Gewaltandrohung für einen Staat oder ein Staatenbündnis sterben zu lassen, ist das Mittel der Wahl von Sozialdemokrat:innen, Grünen und auch vielen Linken weitaus perfider. Freiwillig sollen die Menschen in Raketenfelder rennen und vor die Panzerrohre laufen. Und wie lässt sich diese Freiwilligkeit zum Töten und Sterben für Deutschland besser ins Werk setzen als mit dem bislang größten Etat für "Nachwuchswerbung" der Bundeswehr? 58 Millionen Euro sieht der unter Scholz verabschiedete Bundeshaushalt 2025 für die Bewusstseinsbildung zur Freiwilligkeit vor. Davor waren es 35 Millionen. Seit vergangenem Jahr drängt die Bundeswehr mit zahlreichen Werbemaßnahmen aggressiver denn je vor in den Alltag der Menschen, spendiert im ganzen Land Döner-, Brötchen-, oder Popcorntüten mit flotten Sprüchen ("Du bleibst immer hungrig", "Übernimm die Regie"), prangt mit großformatiger Werbung an Haltestellen ("Mach, was wirklich zählt") und leistet sich einseitige Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften. Wer ins Kino geht, um sich einen Actionfilm reinzuziehen, kann das kaum mehr tun, ohne sich vorher in einem gegenderten, cineastischen Bundeswehrclip erzählen lassen zu müssen, dass Offizierinnen und Offizieren nicht nur "Anführende", sondern "Vorbilder" sind. "Bewirb dich jetzt!"

"Girls' Day" beim Bund 

Das ist alles nicht neu. Seit vielen Jahren versucht die Bundeswehr ihren Personalmangel mit teuren, bundesweiten gendersensiblen Werbekampagnen in den Griff zu bekommen. Da das offenbar bislang mäßig funktioniert hat, wurde das Budget um mehr als 20 Millionen Euro nun aufgestockt. Neu ist, dass sich die Bundeswehr nun vermehrt bemüht, größeren Einfluss in Schulen zu bekommen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) berichtet schon seit Jahren ablehnend von Waffenschauen und Informationsveranstaltungen auf Schulhöfen und in Turnhallen und Kooperationsabkommen mit Landesregierungen, die das aggressive Vordringen der Bundeswehr in Schulen unterstützen. Doch obwohl im Jahr 2024 ein Rekordhoch von 2.203 minderjährigen Rekrutinnen und Rekruten erreicht wurde, lechzt Deutschland jetzt nach noch mehr Jugendlichen, die es für seine als Abschreckungsstrategie getarnte Aufrüstung zur Ausweitung seiner wirtschaftlichen Macht verheizen kann. 

Da der imaginierte Russ bekanntlich wieder vor der Tür steht, um deutsche Atombombensehnsüchte zu legitimieren, wird auch in Baden-Württemberg die Patronentrommel gerührt – und in öffentlich-rechtlichen Medien brav nickend darüber berichtet. Wie der SWR, der über den "Girls' Day" bei der Bundeswehr in Dornstadt Anfang April schrieb, als ginge es um einen lustigen Zoobesuch. "Los ging's am Morgen auf dem Truppenübungsplatz bei Dornstadt mit dem kleinen Einmaleins für angehende Soldatinnen: dem Antreten der Größe nach (…) Die Mädchen kichern, sind aber mit Eifer dabei und die Aufstellung klappt auf Anhieb." Am Waffentisch heißt es dann aber "Nur Schauen, nicht Anfassen", denn Anfassen dürfen die Mädchen die Maschinengewehre "wegen ihres jugendlichen Alters nicht". Dazu müssten sie sich dann schon verpflichten lassen – das darf man in Deutschland bereits mit 17 Jahren, sofern die Eltern zustimmen. Das wiederum schreibt der SWR nicht. Soll ja keine Werbung für Teenagersoldaten sein. Sondern Werbung für den coolsten Arbeitergeber des Landes, bei dem es sogar "Schokomüsli, Thunfisch in Limettensoße, Kaffee, Riegel und sogar Mousse au Chocolat" gibt. "Zugreifen ist erlaubt."

Am Ende des unverkrampften Erlebnisberichts vom SWR "hinterlässt der Girls' Day bei den Teenagern einen guten Eindruck". "Gefallen hat es allen, und auch wenn sich nur wenige vorstellen können zu kämpfen, überlegen manche, ob sich über die Bundeswehr beispielsweise Medizin studieren ließe. Nora und Louisa sehen sich nach dem Tag jedenfalls bestärkt darin, den Weg Richtung Bundeswehr zu beschreiten." Ganz unindoktriniert. Ohne Zwang. Aus freiem Willen. Für die "regelbasierte internationale Ordnung" des Kapitals. Nicht etwa, weil die Bundesrepublik mit 58 Millionen Euro aktuell die größte Werbekampagne  zur Normalisierung von Kanonenfutterwerdung fährt. Und wenn es mit der Freiwilligkeit dann immer noch nicht klappt, kann die SPD ja sagen, dass sie's ja ZUNÄCHST mit Mousse au Chocolat und Gun-Porn versucht hätte, bevor sie Menschen leider popeider wieder in Gefängnisse stecken muss, die nicht für Deutschland sterben wollen. Gefickt eingeschädelt.

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1 Kommentar verfügbar

  • Reinhard Muth
    vor 16 Stunden
    Antworten
    Das Spiel mit dem russischen Bär
    Zuerst provozieren Nato und westliche Regierungen den russischen Bären, indem sie nicht auf seine Wünsche nach Sicherheit eingehen und Nato und wirtschaftliche Einflusszonen immer weiter nach Osten auf die russische Grenze zu ausweiten. Dann wundern sie sich…
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