KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Christen und andere

Christen und andere
|

Datum:

800 000 oder eine Million? Oder zwei? Hoffen wir das Beste: drei. Denn Deutschland braucht frisches Blut, damit wir weiter vorne bleiben. Vorn ist immer da, wo die anderen erst noch hinwollen: hoher Lebensstandard, allerhöchste Standards bei den Menschenrechten, dichtauf gefolgt vom Umweltschutz und den anderen Paragrafen. Einkaufen statt einholen, wie meine Omi Glimbzsch in Zittau gern zu Walter Ulbricht sagte. Deutschland wird alt, schwerhörig, bettlägerig – ich seh es an mir. Wenn wir nicht in absehbarer Zeit pi mal Daumen fünf Millionen Menschen mehr einkaufen, also im eigenen Land haben, ist Gefahr im Verzug! Derzeit sterben mindestens etwa 200 000 Blutsbrüder mehr, als geboren werden, behauptet die Bundesregierung. Pro Jahr, Leute! Ohne kosovarische Fleißbandarbeiter, afrikanische Straßenfeger, syrische Studenten und den schwarzen Afghanen werden keine Träume mehr wahr: Wir stagnieren, ja wir sinken auf das Niveau von Seehofer, Le Pen und Radio Maryja.

Radio Maryja sendet weltweit aus Polen, für etwa 50 Prozent meiner älteren polnischen Freunde ist das die Stimme des lieben Gottes. Massive Fremdenfeindlichkeit und ein kräftiger Schuss Antisemitismus plätschert und plappert neben den verschiedenen Geboten, die der heilige Sender so drauf hat, auf das Wahl- und Kaufvolk nieder. Denn darum geht's ja letztlich: Schleichwerbung – und richtig, also rechts zu wählen und so dafür zu sorgen, dass keine Muslime die Wäsche von der Leine klauen, Korane verteilen oder unwissende Kinder in ihre Moscheen locken. Derlei Ansichten teilen sich die rechten Polen mit den Rechten weltweit. Keine Frage, dass Radio Maryja Druck auf die Regierung macht – denn Viktor Orbán und Ungarn sind die nationalistischen Vorreiter und Vorbilder dieses christlichen Abendlandes.

Unterdessen beten 5000 Tataren – polnische Staatsbürger reinsten Wassers – in Ostpolen für bessere Zeiten und ein weltoffenes Europa. Ab und an stoßen sie da mit ihren Glaubensbrüdern, die vor den Toren der Christen auf dem Bahnhof der Barmherzigkeit auf Nächstenliebe warten, auf die Sure 59/13, wo es dem Sinn nach heißt: "Vor euch Muslimen haben sie mehr Angst als vor Gott – weil es Leute sind, die keinen Verstand haben."

Das Fazit? Selbst die Christen dürfen ja nicht lügen, hehlen, stehlen, ehebrechen, hassen, töten: Das macht ihnen das Leben so schwer. Und mir auch. Nur Liebsein ist noch schwerer. Da macht der Atheist keine Ausnahme.


Peter Grohmann ist Kabarettist und Initiator des Bürgerprojekts Die Anstifter.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!