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Vincent Klink

"Spinner sind wichtig für die Menschheit"

Vincent Klink: "Spinner sind wichtig für die Menschheit"
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Vincent Klink hat ein Faible für Sturköpfe. Schließlich ist der Stuttgarter Meisterkoch selber einer. Sein Motto: Sei nicht dumm, folge nicht den Ärschen. Jetzt hat er einen unbeugsamen Friedensaktivisten aus dem 16. Jahrhundert wiederentdeckt.

Im Restaurant Wielandshöhe im Stuttgarter Süden blinkt und blitzt nichts, kein Lametta, keine Kugeln, nur ein schlichter Tannenkranz mit einer ebenso schlichten weißen Kerze zeugt von der Weihnachtszeit. Vincent Klink sitzt ausnahmsweise im Gastraum, elf Uhr, eine Stunde noch, bis die ersten Gäste kommen – Zeit, über sein neuestes Projekt zu reden: das Buch "Sebastian Franck, Kriegsbüchlein des Friedens", das er im Eigenverlag herausgebracht hat. Und weil natürlich alles mit allem zusammenhängt und der Meisterkoch gerne über den Tellerrand schaut, geht es um Frieden, Kriegsertüchtigung, Rechtsruck und Trump.

Vincent Klink, Sie sind lustig! An der Börse geht die Friedensangst um und Sie bringen ein Büchlein heraus, das sich große Gedanken zum Pazifismus macht. Was treibt Sie: eine unbestimmte weihnachtliche Stimmung oder grenzenloser Optimismus? 

Optimismus ist bei mir eine Grundhaltung, und damit gelte ich in Deutschland schon als Radikalinski. Aber es ist ganz wichtig, dass die Stimmen für Frieden nicht verstummen, dass sie widerstandsfähig bleiben. Krieg war schon immer ein Geschäft, das galt schon zu Zeiten des Friedenskämpfers Sebastian Franck im 16. Jahrhundert. 

Was verbindet Sie mit diesem Sebastian Franck, außer, dass er in Donauwörth auf die Klosterschule gegangen ist, genau wie Sie? 

Mehr als durch die Klosterschule, in die ich ein paar Jahrhunderte später auch gegangen bin, bin ich durch meinen Opa, bei dem ich aufgewachsen bin, mit ihm verbunden. Die Mutter hat sechs Kinder gehabt, das war eh schon alles schwierig. Der Opa war Lehrer und hat permanent gepredigt, ein katholischer Atheist. Der hat seinen Doktor mit einem Stipendium von der Diözese Rottenburg gemacht, in Altphilologie, Latein, Altgriechisch, und hatte einen Haufen Bücher. Wenn man da allein an den Buchrücken entlanglief, dann fühlte man sich schon ganz erhaben.

Dort haben Sie diesen Soldaten des Friedens entdeckt? 

Ja, da war ich schon mitten in der Pubertät, da hat der Opa mir auch erzählt, dass es in Deutschland immer noch viele rechtsradikale Kräfte gibt, gegen die man sich stellen muss. Das war in den 1970er-Jahren. 

Er war ein Antifaschist? 

Absolut. Und er hat dieses Friedensbüchlein, das ich jetzt wiederaufgelegt habe, 1929 herausgebracht und im Unterricht vor und nach der Machtergreifung der Nazis zu seinen Abiturienten gesagt: Diese Partei bedeutet Krieg. Schon als die Nazis noch klein waren, hat er geahnt: das ist ein Giftpilz. Einen Spruch hab' ich mir besonders gemerkt: Vincle, halte dich nicht an die Mehrheit, dort ist die Dummheit. 

Foto: Jens Volle

Kochen und Schreiben gehören zu Vincent Klinks Leidenschaften. Deshalb hat er die Edition Vincent Klink gegründet, in der auch seine Sammelbände "Häuptling Eigener Herd" erschienen sind und, ganz neu, das kleine Büchlein über den Humanisten und Friedenskämpfer Sebastian Franck (1499-1542). Der in Donauwörth geborene Franck schloss sich, nachdem er Theologie studiert hatte und katholischer Priester geworden war, der Reformation an, geriet wegen seiner Ablehnung jeglichen religiösen Dogmatismus' aber auch in Konflikt mit protestantischen Autoritäten. Er hinterließ eine Vielzahl eigener Schriften, darunter das 1539 erschienene "Kriegsbüchlein des Friedens". Beeinflusst von Ersamus von Rotterdam fasste er hier seine Gedanken für Frieden und gegen den Krieg zusammen. Die Neuveröffentlichung enthält ein Vorwort von Vincent Klink und eine Einleitung von dessen Großvater Vincenz Klink, der Francks Buch bereits 1929 neu herausgegeben hatte. Das "Kriegsbüchlein des Friedens" ist in jeder Buchhandlung bestellbar mit ISBN 978-3-927350-90-8, gebunden, 144 Seiten, 20 Euro.  (red)

Das klingt elitär. 

Ja klar, das war er auch. Über mich hat er nur übern “domma Kerla” gschwätzt, da war mit Pädagogik nicht viel los. Aber er hat mir schon diese Haltung eingepflanzt. Ich hab' ein schönes Werbeplakat gegen Rechtsradikalismus vor Jahren in der Schweiz gesehen. Eine Schafherde von hinten, und drunter stand: Sei nicht dumm, folge nicht den Ärschen. Das ist ein Lebensprinzip von mir. Man muss gucken, dass man seine Linie durchzieht. Dabei bin ich nicht unbedingt gegen Aufrüstung, man muss Putin schon ernst nehmen. Aber mich erschreckt, dass man kriegstüchtig sein soll. Wir müssen abwehrtüchtig sein, das ist ein Unterschied – und friedensfähig. 

War Ihr Großvater Vincenz Klink ein Widerstandskämpfer? 

Nein. Aber er hat in seinem Unterricht schon viel riskiert. Allerdings war Schwäbisch Gmünd im Vergleich zu Stuttgart ein harmloser Ort. A bissle Kritik an Hitler, wenn auch nicht zu laut, war möglich. Der alte Vincenz hat einen Stammtisch gehabt im Adler im Stadtteil Straßdorf, und da wurde nur lateinisch gesprochen. Da war der Josef Eberle dabei ...

... der spätere Verleger der "Stuttgarter Zeitung", damals noch Lektor beim "Süddeutschen Rundfunk", der ihn 1933 entließ, als die Nazis die Herrschaft übernommen hatten.

Nebenan saßen die Ortsgruppenleiter der Nazis und haben sich belustigt über diese Professoren. Die haben ihrerseits die BBC-Nachrichten auf lateinisch diskutiert. Es ist wohl das katholische Moment in Schwäbisch Gmünd, dass man alles nicht so ernst nimmt. 

Dieser Sebastian Franck hat zwischen allen Stühlen gesessen: ein katholischer Priester, der sich der Reformation anschloss, der sich gegen die Macht der katholischen Kriche wehrte, aber auch gegen das Herrschaftsdenken des Protestantismus. Ein Sturkopf, ein Weiterkämpfer – haben Sie sich da wieder erkannt? 

Dieser Starrsinn für seine Idee vom Frieden, das hat mich fasziniert: Was ich für richtig halte, das zieh' ich durch – bis heute. Deshalb kochen wir hier auf der Wielandshöhe, was andere nicht kochen. Sag' mal zu einem Dreisternekoch, er soll eine Hirnsuppe kochen, der fällt tot um! Dieses Anderssein, dieses Nicht-Hinterherlaufen, das ist in meinem Leben und in meiner Küche ein Grundprinzip. Ich hab' einfach ein Faible für Typen, die randständig durchhalten. 

Ist Frieden heute noch ein Thema, oder stehen nicht alle Zeichen auf Krieg? 

Wir leben in einer Diktatur des Geldes, weil man mit Panzern wahnsinnig viel Geld verdienen kann. Es geht ja nur noch um Deals. Das Wort Deal ist mein Hasswort des Jahres. Für Trump sind Krieg und Frieden nur eine Frage des Deals und nicht der Menschlichkeit. Dass man so eine Charakterlosigkeit erleben muss. Wenn nur noch der Profit einer politischen Oligarchie interessiert, muss der einzelne Bürger aufstehen. Da sehen wir in Deutschland übrigens nicht so schlecht aus. Es gibt immerhin noch Kontext. 

Dieses Vertrauen ehrt uns. Woraus schöpfen Sie noch Zuversicht, um Krieg und Zerstörung auszuhalten? 

Ich habe erstmal die Gnade der senilen Bettflucht und ich schaue keine Nachrichten im Fernsehen. Wenn ich um vier Uhr morgens aufwache, dann les' ich vier Zeitungen. Aber ich lass' diese Nachrichten nicht in mich hinein, ich bin nicht intro- oder extro-, ich bin ortrovertiert. 

Sie sehen sich als außenstehender Beobachter? 

Ich schließe mich keiner Mehrheit an. Ich bin mit mir zufrieden, ich brauche keine anderen, um glücklich zu sein, meine Tochter und meine Frau sind eine Ausnahme. Die Hälfte der Menschheit, ob Israeli oder Palästinenser, Amerikaner oder Russen sind eh Dackel. Was mich allerdings wirklich enttäuscht: Ich bin von Jugend an ein Fan von Amerika. Wenn die amerikanischen Soldaten in Schwäbisch Gmünd mit ihren Straßenkreuzern in die Kaserne fuhren, diese Heckflossen! Das habe ich bewundert. Und den Jazz. Und die waren immer guter Laune, we are great. Diesen Optimismus – den fand ich toll. 

Diese Optimist:innen haben Donald Trump zu ihrem Präsidenten gewählt. 

Ja, und jetzt krieg ich dort mit, was mein Opa 1929 in Deutschland erlebt hat: Zuerst wird die Justiz auf Linie gebracht, dann die gesamte Exekutive, die Polizei, die CIA, das FBI – es ist das gleiche Muster wie damals. Erkennt das niemand? Was ist denn hier los! Die Demokratie in den USA ist noch nicht ganz tot, aber wenn das so weiter geht, ist es bald soweit. Wenn ich darüber morgens in meinen vier verschiedenen Zeitungen lese, trägt das nicht zu meiner Menschenfreundlichkeit bei. 

Die Zeiten sind finster. Wird in diesen finsteren Zeiten auch gesungen werden?, fragt Bert Brecht. Ja, antwortet er, von den finsteren Zeiten. 

Nach Auschwitz Gedichte zu schreiben, ist barbarisch, sagte auch irgendwer, ich glaub, Adorno. Aber das stimmt nicht. Natürlich geht es weiter, es geht immer weiter. Es muss weitergehen.

Im Jugoslawienkrieg in den 1990ern, als die Hilfslieferungen im bosnischen Tuzla ankamen, wurde eine Frau gefragt, was sie noch dringend brauche. "Bring mir einen roten Lippenstift mit", hat sie geantwortet. Das hat mir imponiert. Das ist vielleicht unvernünftig, aber es hat mit Würde zu tun. 

Absolut. Ich bin ein Verfechter der absoluten Vernunft, auch in der Philosophie. Aber da muss man gleich drunter schreiben: Man muss immer wieder unvernünftig sein, sonst verliert man die Menschlichkeit. Deswegen sag ich zu meinen Gästen, wenn die Frau klagt, dass der Mann im Keller mit seiner Eisenbahn spielt: Seien Sie dankbar, dass Ihr Mann einen Spleen hat. Männer ohne Spleen sind gefährlich. Die gesamte Kultur ist nicht überlebensnötig, genauso wenig wie der Lippenstift. Aber wollen wir ein animalisches Leben? Die Hoffnung und den Optimismus darf man nicht aufgeben. 

Weitermachen also – wir brauchen die Frauen und Männer, die sich nicht beirren lassen, die weiter träumen, tanzen, dichten, musizieren? 

Ja, dabei merke ich in unserer Gesellschaft eine zunehmende Aversion, eine Intoleranz gegen schräge Typen, gegen die Spinner. Aber gerade die sind wichtig für die Menschheit, wir sind durch Spinner weitergekommen als durch Rationalisten. Der Gottlieb Daimler, der galt auch als Spinner, als der in seinem Gewächshaus in Cannstatt einen Krach veranstaltet hat. Denken wir an Stuttgart 21. Da haben viele gesagt, guck dir mal diese Demonstrant:innen an, das sind doch alles Spinner. Aber was war? Die Spinner haben doch Recht gehabt. 

Aber wer möchte nicht manchmal den Kopf in den Sand stecken? Dann lese ich den Ausruf eines Nachrichtenüberdrüssigen, der mich zum Nachdenken bringt: "Ich lese keine Zeitungen, ich werde aufgewühlt, aber ich kann doch nichts tun. Ich hasse es, meine Ohnmacht zu spüren. Das wollen Sie doch, dass ich mich ohnmächtig fühle, diese Sadisten. Komm, wir fahren weg, ich lade euch alle ein ins Restaurant." Eine verständliche kleine Flucht, aber auch eine gute Idee?

Eine gute Idee, aber der Mann liegt trotzdem falsch: Und zwar: Ich bin ohnmächtig, du bist ohnmächtig, jetzt sind wir schon zwei. Was ist aber, wenn es 20 Millionen Ohnmächtige sind? 

Jetzt klingen Sie nicht mehr wie ein Einzel-, sondern wie ein Klassenkämpfer. 

So muss man denken. Und auch seine Gedanken weitergeben an andere, dass es möglichst viele werden. Das hat eigentlich in den letzten Jahrzehnten ganz gut funktioniert. Es reicht schon, wenn es jeder seinem Nachbarn sagt. Ok, ein Journalist hat mehr Einfluss. Aber wichtig ist es, von Mensch zu Mensch, zu sprechen. Man darf den Optimismus nicht aufgeben, dass man durch Gespräche auch manchen überzeugt. Sicher nicht die rechten Strategen, aber die Mitläufer.

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