Nach 22 Stunden und 37 Minuten beendete Jeff Merkley – 68 Jahre, hagere Statur, graues Haar, dezent gestikulierend, sanft vortragend – seine Marathonrede im Senat. Er ist Mitglied der Demokratischen Partei und Senator des US-Bundesstaates Oregon. Am 22. Oktober 2025 war Merkley mit einer Botschaft an das Pult des Senats getreten: "Ring the alarm bells: Authoritarianism is here now!" (übersetzt: Alarm! Der Autoritarismus ist da!).
Seine Rede war eine Mischung aus Protest und Verzweiflung: Stundenlang referierte Merkley über die autoritären Entwicklungen unter US-Präsident Donald Trump. Immer wieder las er aus dem Buch "How Democracies Die" (übersetzt: Wie Demokratien sterben) der beiden Harvard-Professoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt. Das Buch, das 2018 erschienen ist und millionenfach verkauft wurde, nimmt die autoritären Maßnahmen der ersten Trump-Regierung unter die Lupe.
Im Buch schreiben Levitsky und Ziblatt: "Demokratien können […] von ihren gewählten Führern zu Fall gebracht werden, von Präsidenten oder Ministerpräsidenten, die eben jenen Prozess aushöhlen, der sie an die Macht gebracht hat. Manche dieser Führer reißen die Demokratie rasch ein, wie Hitler es 1933 nach dem Reichstagsbrand getan hat. Häufiger indes erodieren die Demokratien langsam und in kaum merklichen Schritten."
Lackmustest für Autokratien
Um diese Schritte zu erkennen, haben sie einen Autokraten-Lackmustest entwickelt. Der Test soll helfen, autoritäres Verhalten zu erkennen. Vier Indikatoren sind maßgeblich: "Ablehnung demokratischer Spielregeln", "Leugnung der Legitimität politischer Gegner", "Tolerierung von oder Ermutigung zu Gewalt" und "Bereitschaft, die bürgerlichen Freiheiten von Opponenten, einschließlich der Medien, zu beschneiden".
Schon bei der ersten Trump-Regierung konnten Levitsky und Ziblatt eine Vielzahl einschlägiger Beispiele finden, um autoritäres Verhalten nachzuweisen. Zu Beginn der zweiten Amtszeit spitzte sich die Lage zu. Trump beschloss, mehr als 1.500 Capitol-Stürmer vom 6. Januar 2021 zu begnadigen. Damals hatten die Stürmer mit Gewalt versucht, die Präsidentschaft von Joe Biden zu verhindern. Etliche Polizist:innen wurden schwer verletzt. Beteiligte sollten bis zu 22 Jahre ins Gefängnis.
Auf der einen Seite begnadigte Trump eine Vielzahl straffälliger Anhänger:innen. Auf der anderen beschloss er, die Einwanderungsbehörde ICE und – ausschließlich in demokratisch regierten Städten – die Nationalgarde einzusetzen, um Menschen einzuschüchtern und festzunehmen. Auf offener Straße, mit brutaler Gewalt. Schlagzeilen machte die Abschiebung hunderter Migrant:innen nach El Salvador. Sie wurden beschuldigt, kriminellen Netzwerken anzugehören. Sie wurden inhaftiert; ohne Beweise und ohne rechtsstaatliches Verfahren.
"Eine ganz neue Ära"
AfD-Politiker:innen aus dem Südwesten feiern den US-Präsidenten. So besuchte Christina Baum aus Main-Tauber, die 2016 bis 2021 Mitglied im Stuttgarter Landtag war und seit 2021 im Bundestag ist, seine Amtseinführung in den USA. Beflügelt schrieb die Höcke-Vertraute in den sozialen Medien: "Alle erwarten eine Art Neuanfang für Amerika, vielleicht sogar weltweit. Sie sprechen sogar davon, dass eine ganz neue Ära beginnt."
Über Trumps autoritäre Politik schwärmte Daniel Lindenschmid, Parlamentarischer Geschäftsführer und innenpolitischer Sprecher der AfD-Landtagsfraktion aus Rems-Murr: "Innerhalb von 24 Stunden nach Amtseinführung hat Donald Trump mit einer ganzen Reihe präsidialer Dekrete mehr bewegt als die grün-grüne Landesregierung hier in Baden-Württemberg innerhalb von vier Jahren [Baden-Württemberg wird derzeit grün-schwarz regiert, Anm. d. Red]. Trump zeigt in den USA, wie es laufen kann. Lasst uns dasselbe in Deutschland erreichen!"
Was Lindenschmid in seiner Euphorie verschweigt: Die Präsidialdekrete ("Executive Order") sind ein beliebtes Instrument, um eine Abstimmung im Kongress, der aus Senat und Repräsentantenhaus besteht und die Legislative bildet, zu übergehen. Um die "Checks and Balances", die Kontrolle der Gewalten, auszuhebeln. Offenbar scheint die Sehnsucht nach einem mächtigen Mann, der mit harter Hand regiert, unter den Baums und Lindenschmids der Partei groß zu sein.
Schulterschluss mit Trump
Derweil pflegt Alice Weidel, die 2020 bis 2022 AfD-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg war und seit 2022 Bundessprecherin ist, regen Austausch mit der Trump-Regierung. So fand Mitte Februar 2025 ein Treffen mit US-Vizepräsident JD Vance am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz statt. Bei der Konferenz hatte Vance geäußert, Europas größte Bedrohung sei weder China noch Russland, sondern komme "von innen". Die Meinungsfreiheit sei "auf dem Rückzug".




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