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Polizeigewalt in Mannheim

Die beleidigte Institution

Polizeigewalt in Mannheim: Die beleidigte Institution
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Nach zwei tödlichen Polizeieinsätzen und den jeweiligen Gerichtsbeschlüssen wollen zwei Polizisten in Mannheim die Aktivist:innen der Initiative 2. Mai mundtot machen. Erstere sehen sich verleumdet, Letztere in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt.

Die Aktivist:innen der Initiative 2. Mai fordern, dass die Todesfälle von Ante P. und Ertekin Ö. aufgearbeitet werden. Am 2. Mai 2022 – darauf geht der Name der Initiative zurück – sollten zwei Beamte den 47-jährigen Ante P. in das nahegelegene Zentralinstitut für seelische Gesundheit zurückbringen. Am Ende des Polizeieinsatzes liegt dieser tot am Mannheimer Marktplatz. Einer der Polizisten wird freigesprochen, der andere bekommt eine Geldstrafe. Eineinhalb Jahre später stirbt Ertekin Ö. durch vier Schüsse eines Polizeibeamten vor seinem Wohnhaus im Mannheimer Stadtteil Schönau. Prozess gibt es keinen.

Anstatt die Fälle aufzuarbeiten, drohten die Anwält:innen zweier beteiligter Polizisten der Initiative nun Unterlassungsklagen an. "Das Einfordern von Gerechtigkeit für Ante P. und Ertekin Özkan und unsere Kritik an der Aufarbeitung der beiden Todesfälle stellen für uns keine Straftat dar", schreiben die Aktivist:innen dazu auf ihrer Website. Dass Kritiker:innen auf diese Weise mundtot gemacht werden sollen, wirft weiter schlechtes Licht auf die beiden ohnehin umstrittenen Polizeieinsätze und deren juristische Aufarbeitung. Ertekin Ö. beispielsweise war der Polizei zum Zeitpunkt seines Todes aufgrund seiner psychischen Erkrankung bereits bekannt. An seinem Todestag, dem 23. Dezember 2023, rief der 49-Jährige die Polizei an, angeblich, weil er einer Person in seiner Wohnung Gewalt angetan habe. Als die Polizei bei ihm eintraf, fand sie ihn mit freiem Oberkörper und einem Messer in der Hand, aber ohne jegliche Blutspuren auf der Straße vor. Verletzte gab es keine.

Die Polizist:innen versuchten laut Staatsanwaltschaft "mindestens zehn Minuten" mit ihm zu reden. Währenddessen hätte sich Ertekin Ö. "hin und her" bewegt und sich den Polizeibeamt:innen genähert, woraufhin ein Polizist mit vier Schüssen auf ihn schoss. Die Staatsanwaltschaft Mannheim verkündete im Mai 2024, dass es zu keinem Prozess gegen den Beamten komme, da er seine "Schusswaffe in Notwehr" und damit "gerechtfertigt" eingesetzt habe. Der Anwalt desselben Polizisten möchte nun, dass ein Aktivist der Initiative 2. Mai Polizei-kritische Facebook-Einträge auf seinem persönlichen Account löscht. Darin heißt es etwa, eine Person mit vier Kugeln hinzurichten, sei unethisch. Der Anwalt drohte dem Aktivisten mit einer Unterlassung wegen ehrverletzender Äußerungen, woraufhin sich der Aktivist anwaltlichen Beistand suchte.

"Einschüchterungsversuch" gegen die Aktivist:innen

Ähnlich erging es einem weiteren Aktivisten der Initiative 2. Mai, der im Impressum der Website der Initiative steht. Die Anwältin eines im Fall Ante P. beteiligten Polizisten drohte ihm mit einer Unterlassungsklage, sollten bestimmte Aussagen nicht von der Initiative-Website genommen werden, beispielsweise: "Am 2. Mai 2022 erstickten zwei Polizeibeamte Ante P." und "Am 12. Januar 2024 hat der Prozess gegen die beiden Polizisten, die Ante P. am 2. Mai 2022 am Mannheimer Marktplatz getötet haben, begonnen."

Im März 2024 hatten die drei Richter:innen und zwei Schöffinnen des Landgerichts Mannheim über die zwei im Fall Ante P. angeklagten Polizisten geurteilt. Die Anklage fußte maßgeblich auf einem Obduktionsbericht der Gerichtsmedizin Heidelberg. Die Rechtsmediziner:innen werteten die äußeren Umstände, also den Stress ausgelöst unter anderem durch den Einsatz von Pfefferspray, die Gewalteinwirkungen, etwa vier Schläge an den Kopf, sowie einen lagebestimmten Erstickungstod als Todesursache. Sie kamen zu dem Schluss, dass das Handeln der beiden beteiligten Polizeibeamten als Auslöser für Ante P.s Tod anzusehen war.

Doch vor dem Landgericht Mannheim kam es zu einem Sachverständigenstreit. Denn die Verteidigung der angeklagten Polizisten hatte zwei eigene Rechtsmediziner:innen beauftragt, die eine andere mögliche Todesursache vorbrachten: Tod durch plötzliches Herzversagen. Ante P. sei herzkrank gewesen, er hätte jeden Moment sterben können. Der Polizeieinsatz spielte bei ihrer Analyse keine Rolle.

Sowohl der Staatsanwalt als auch die Richter:innen und Schöffinnen hielten die Aussagen der zwei zusätzlichen Rechtsmediziner:innen für schlüssig. Sie urteilten daher mit einem Freispruch für den einen Polizisten und einer Geldstrafe in Höhe von 6.000 Euro für seinen Kollegen. Dessen vier Schläge wurden als unrechtmäßiger Gewalteinsatz gewertet, weil Ante P. zu diesem Zeitpunkt schon auf dem Boden lag.

Da juristisch nicht genau festgelegt ist, wann eine Gewaltanwendung unrechtmäßig ist, ist die Beurteilung eine Ermessenssache der Richter:innen und Staatsanwält:innen. Nach dem Urteilsspruch legte der Nebenklageanwalt, der die Schwester von Ante P. im Prozess vertrat, Revision ein. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe bestätigte im Juli 2024 den Freispruch des einen Polizisten. Das andere Urteil wird derzeit noch überprüft.

Nach dem Urteil des BGHs drohte die Anwältin des Polizisten, der zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, der Initiative 2. Mai mit einer Unterlassungsklage. Die wertete dies als "Einschüchterungsversuch" und nahm sich einen Anwalt, der sie in ihrem "Recht auf freie Meinungsäußerung" und ihrem "Recht auf politische Partizipation" unterstützen soll. Der Anwalt widersprach der Unterlassungsklage. Nun besteht für beide Seiten die Möglichkeit, zu klagen: für die Polizisten-Anwältin wegen Unterlassung, für die Initiative 2. Mai wegen behaupteter Rechtsverletzung.

Ähnlichkeiten zu Oury Jalloh

Benjamin Derin arbeitet als Strafverteidiger in Berlin und ist Mitarbeiter an der Professur für Kriminologie und Strafrecht an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er sieht in den Fällen Ante P. und Ertekin Ö. Ähnlichkeiten zu anderen Debatten, in denen es um tödliche Polizeigewalt geht. "Polizeigewalt zählt zu den großen gesellschaftlichen Themen, bei denen es allerdings vergleichsweise selten zu Gerichtsprozessen kommt", sagt Derin. Wenn doch, sei es nicht untypisch, aber durchaus problematisch, dass sich Verfahren gegen Aktivist:innen wegen Beleidigung und Verleumdung anschließen.

Im Zusammenhang mit dem Tod von Oury Jalloh sei das besonders beispielhaft zu sehen gewesen. Jalloh verbrannte 2005 in einer Polizeistelle in Dessau. Aktivist:innen machen seitdem mit dem Spruch "Oury Jalloh – Das war Mord" auf die vielen Ungereimtheiten und offenen Widersprüche aufmerksam. In einer Ausstellung im Württembergischen Kunstverein Stuttgart wurden in den vergangenen Monaten erdrückende Beweise gegen die Polizist:innen der Polizeiwache Dessau gezeigt.

Das Problematische an solchen Unterlassungsaufforderungen oder Strafanzeigen gegen Aktivist:innen sieht Rechtsanwalt Derin unter anderem in dem Versuch, mit einer juristischen Perspektive und mithilfe von Gerichtsprozessen die Deutungshoheit zu erlangen: Er erklärt, "gesellschaftliche Kontroversen sind mit Strafverfahren, die zudem ausschließlich die juristische Ebene betrachten, nicht aus dem Weg geräumt." Das lässt sich auch in Mannheim erkennen. Hier bleiben trotz Urteil im Tod von Ante P. Fragen offen: Wie kann es sein, dass ein Polizeieinsatz, der angeblich zu Ante P.s Schutz durchgeführt wurde, mit dessen Tod endet? Da greift das Strafverfahren zu kurz für die gesellschaftliche Debatte.

Die Angehörigen wünschen sich eine Entschuldigung

In einer demokratischen Gesellschaft darf die Polizei hinterfragt und kritisiert werden. Laut Derin ist jedoch "der Spielraum für solche Diskussionen in Deutschland momentan relativ eng". Das liege auch daran, dass die Polizei als Institution Kritik weitgehend vermeiden wolle. Dahinter stehe die Befürchtung, dass durch öffentliche Kritik an der Polizeiarbeit das Ansehen der Polizei schwinden könnte. Deshalb komme es zur Abschottung gegenüber Vorwürfen.

"Die Polizei wird dabei aber ihrer besonderen Rolle als Organisation mit weitreichenden und stetig wachsenden Befugnissen nicht gerecht", sagt Derin. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele: Nach dem mutmaßlich islamistischen Attentat von Solingen ging es in der medialen Debatte sofort darum, die Kompetenzen der Polizei auszuweiten. Die Ampel-Regierung diskutiert derzeit darüber, ob der Einsatz von Tasern durch die Polizei generell erlaubt sein sollte. Auch die Ausweitung von Waffen- und Messerverbotszonen steht vielerorts zur Debatte.

Im Gegensatz dazu geschieht die Abwehr von Kritik in weiten Teilen der Polizei gerade "fast schon reflexhaft", sagt Benjamin Derin. Dabei könne man auch gegenteilig argumentieren: dass ein transparentes Vorgehen und das Aufzeigen von Missständen und Fehlverhalten verbunden mit einer öffentlich erkennbaren Aufarbeitung Vertrauen in die Institution Polizei schaffen könnte.

Das erhofften sich auch die Unterstützer:innen der Initiative 2. Mai. In einer Pressemitteilung schreiben die Aktivist:innen, die Angehörigen von Ante P. hätten sich gewünscht, dass der Polizist "seinen Freispruch dafür nutzt, sich bei ihnen zu entschuldigen", anstatt "die Unterstützer:innen der Familie rechtlich zu attackieren".

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1 Kommentar verfügbar

  • Peter Nowak
    vor 2 Wochen
    Antworten
    Dieser Kriminalisierungsversuch erinnert auch die Kriminalisierung von Kritiker*innennder Polizeischüsse auf den afghanischen Geflüchteten Matiullah J. im osthessischen Fulda. De Polizeischütze wurde freigesprochen, vor Gericht standen Antirassist*innen und Journalist*innen, die kritisch über den…
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