Einige Wochen waren vergangen, erzählt Paul, dann habe er die Leuchtlinie angeschrieben: eine Beratungsstelle für Betroffene von rechter Gewalt. Neben den Opfern, die sich von sich aus melden, scannen die Mitarbeiter:innen der Leuchtlinie Polizeimeldungen sowie Nachrichten und Social-Media-Beiträge, um über die Polizei, verschiedene Communities oder Journalist:innen den Kontakt zu Betroffenen herzustellen. "Die Leute wollen, dass ihnen richtig zugehört wird und dass gewürdigt wird, dass es eine politische Tat war", sagt Jochen Kramer von Leuchtlinie. Zur Beratung gehören juristische Unterstützung, Rechtsanwält:innen finden, Anträge an Förderfonds schreiben, psychologische Betreuung organisieren, das Umfeld – oft mitbetroffen – einbeziehen. 2022 beriet Leuchtlinie 142 Menschen.
Einen deutlichen Anstieg queerfeindlicher Gewalt beobachtet auch die Leuchtlinie, meint Kramer. Besonders erschreckend sei, dass es sich im vergangenen Jahr in allen Fällen um massive Körperverletzung handelte. Der bundesweite Verband der Opferberatungsstellen registrierte 2022 ganze 177 queerfeindliche Angriffe, mehr als doppelt so viele wie 2021.
Die Angst als ständiger Begleiter
Paul sitzt auf einem knallgelben Sessel bei der Leuchtlinie in Stuttgart. Mittlerweile ist es eineinhalb Jahre her, dass er hier seine erste Beratungssitzung hatte. Der Fall des damals 17-Jährigen und seines Kumpels landete vor Gericht, die Täter:innen, ein deutsches Ehepaar – er damals 45 Jahre alt, sie 36 – kamen mit einer einjährigen beziehungsweise achtmonatigen Bewährungsstrafe und jeweils 1.000 Euro Schmerzensgeld davon. Vor dem Gerichtsgebäude hielt die Leuchtlinie gemeinsam mit dem Rems-Queer-Kreis eine Kundgebung ab, um ein Zeichen zu setzen. Paul wandte sich als Zeuge in einem persönlichen Plädoyer direkt an die Täter:innen: "Ich habe das Gefühl, Sie haben überhaupt kein Bewusstsein für das, was Sie uns an diesem Abend getan haben. Sie haben mir ein Jahr meines unbeschwerten Lebens als Teenager genommen. Ein Jahr, das so schön hätte sein können. Ein Jahr voller Freude, ein Jahr voller Freiheit, ein Jahr in jugendlicher Naivität. Stattdessen hatte ich ein Jahr voller Panikattacken, voller Angst und voller Termine bei Psycholog:innen, Beratungsstellen und Hilfsangeboten."
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