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Sprachpolizei CDU

Des isch it zum Verstande

Sprachpolizei CDU: Des isch it zum Verstande
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Hemmungslos greift die CDU zu Uraltkamellen beim Versuch, das konservative Profil zu schärfen. Zum x-ten Mal auf Wiedervorlage kommt das Gebot, auf Schulhöfen ausschließlich Deutsch zu sprechen. Das ist weltfremd, wissenschaftsfeindlich und wider den Dialekt.

Es hätte seine Stunde werden können. Nach der traditionellen Klausur der baden-württembergischen CDU-Landtagsfraktion wurde deren Vorsitzender Manuel Hagel auf der üblichen Pressekonferenz gefragt, was er vom Vorstoß seines Parteifreunds Mario Czaja hält. Der ist Generalsekretär der Bundespartei und will als Reaktion auf die Ausschreitungen in der Berliner Silvesternacht andere Sprachen als Deutsch auf Schulhöfen untersagt wissen. Mit einer einzigen Antwort hätte Hagel sich nun dem pragmatischen Mitte-Flügel seiner Partei anschließen und seine Ablehnung zu Protokoll geben können - unter Hinweis darauf, dass diese Idee in Baden-Württemberg seit drei Jahrzehnten immer wieder aufpoppt, breit diskutiert wird und dann als methodisch und didaktisch falsch beerdigt wird.

Stattdessen versuchte sich der Hoffnungsträger der Schwarzen im Land herauszuwinden. Er würde sich "schon wünschen", sagte der 34-jährige Hagel, dass auf Schulhöfen keine andere Sprache gesprochen wird, dann ließ er sich wortreich und auf Schwäbisch über gesellschaftliche Teilhabe und Berufschancen aus. Comedyverdächtig wurde der Auftritt, als er auf eine Bitte um Präzisierung im noch breiterem Dialekt als sonst antwortete: "Ha, so schwierig isch des jetz it zum Verstande."

Stimmt. Die Czaja-Äußerungen kopieren eine entsprechende AfD-Forderung, immer wieder und unter anderem vom baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Udo Stein verbreitet, fast wörtlich. "Sie sagen Deutschpflicht, meinen aber ein Verbot von Türkisch, Arabisch oder Kurdisch", konterte die Pressesprecherin der Kölner Grünen im Netz. "Bei mir zu Hause wurde Farsi gesprochen", twittert eine Journalistin mit iranischen Wurzeln, "ich war trotzdem lebenslang die Klassenbeste und bin noch immer zigmal eloquenter als viele Lauras und Lenas."

So vielen Studien liegen schon lange vor zum Erwerb der Mutter-, der Erst-, Zweit-, der Drittsprache oder der Mundart. Und zur großen Gefahr falscher Weichenstellung vor allem durch Zwangsassimilation. Türkische Eltern der Gastarbeiter-Generation sahen sich dem gesellschaftlichen Druck ausgesetzt, mit ihren Kindern ihr zwangsläufig wenig ausdifferenziertes Deutsch zu sprechen. Viele Jugendliche Ende der Siebziger- und Anfang der Achtziger-Jahre machten dieselben Erfahrungen wie der gebürtige Bad Uracher Cem Özdemir, dem die Lehrkräfte schon allein mit Blick auf seine Herkunft zu wenig zutrauten. Als Heranwachsender musste er dann bei Türkeireisen erkennen, dass er die Muttersprache seiner Eltern auch nur höchst fehlerbehaftet beherrschte. Ähnlich groß wird die Sprachverwirrung, wenn der texanische Manager und die schwedische Informatikerin in Stuttgart ihre gemeinsame Zweitsprache, ein schwäbisch eingefärbtes, grammatikalisch durchaus schräges Deutsch an die Tochter weitergeben und erst im Kindergarten auffällt, wie groß der Förderbedarf ist.

Teufel und Oettinger: kurzlebige Einsichten

Für die Union im Südwesten sollten das alles keine neuen Erkenntnisse sein. 2004, bei einer von Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) angeführten Delegationsreise nach Singapur und einem Besuch der Internationalen Schule, wurden Fragen des Spracherwerbs detailliert erörtert, insbesondere dass es ungemein wichtig ist, die mühelose Entwicklung von Babys und Kleinkindern zu nutzen. Teufel hatte da die erste Runde der Debatte längst hinter sich: Jahre zuvor hatte er mit dem Blick auf Flüchtlinge aus dem zerbrechenden Jugoslawien und auf die Wählerschaft der im Landtag sitzenden rechtsnationalen "Republikaner" die Pausengespräche von Kindern und Jugendlichen durch Lehrkräfte kontrollieren lassen wollen.

Erst gab sich Teufel geläutert, danach lieferte er ein Beispiel dafür, dass wie so oft in der Bildungspolitik bei Reisen gesammelte Einsichten eine kurze Halbwertszeit haben. Denn ernsthaft durchsetzen mochte der Ministerpräsident die veränderte Einschätzung von Mehrsprachigkeit in seiner Südwest-CDU nicht. Und seinen Nachfolger und Parteifreund Günther Oettinger kümmerte es wenig, dass es so gar nicht zu dem von ihm angestrebten gesellschaftspolitisch modernen Image passen wollte, 2006 sogar in einer Regierungserklärung das Gelingen von Integration mit dem Zwang zum Schulhof-Deutsch zu verknüpfen. Immerhin lud er zu dem Thema zu einem "Runden Tisch", der am Ende zu keinem anderen Ergebnis als einer Ablehnung kommen konnte.

Weitere Reisen folgten, unter anderem eine der Bildungspolitiker:innen aller Fraktionen des Südwest-Landtags nach England und Südfrankreich. Mit immer demselben Lerneffekt: Für durchschnittlich begabte Kinder mit Migrationshintergrund ist es unerlässlich, in derjenigen Sprache sattelfest zu sein, die daheim in der eigenen Familie gesprochen wird. Projekte in London förderten sogar ganz bewusst die Vielfalt in Pausen und auf Schulhöfen, um das Selbstbewusstsein von Kindern zu stärken und Integration zu befördern.

Selbst bestehende Förderprogramme werden ignoriert

Die Erfahrungen trugen durchaus Früchte in Baden-Württemberg. Bloß werden sie negiert von allen, die mit einer Deutschpflicht liebäugeln. Seit der Gründung der Stiftung Kinderland durch Oettinger wurden Programme zu einschlägigen Förderungen entwickelt und teilweise sogar schon vor dem Regierungswechsel zu Grün-Rot 2011 von Kurzzeit-Kultusministerin Marion Schick (CDU) in den Kita- und Schulbetrieb übernommen. Eine ihrer Nachfolger:innen – Susanne Eisenmann (CDU) – erließ 2017 eine umfangreiche Verwaltungsvorschrift "über die Grundsätze zum Unterricht für Kinder und Jugendliche mit nichtdeutscher Herkunftssprache und geringen Deutschkenntnissen an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen". Vorbereitungsklassen sind eingerichtet, Zehntausende Kinder und Jugendliche im Land werden und wurden erreicht, gegenwärtig sind es rund 45.000.

Was populistische Realitätsleugner:innen aber genauso wenig zur Kenntnis nehmen wollen wie den Umstand, dass mit Rosemarie Tracy eine der international renommiertesten Linguistinnen eine zugewanderte Baden-Württembergerin ist. Seit vielen Jahren lehrt und forscht sie an der Uni Mannheim und publiziert zu dem Thema, 2007 etwa hat sie in ihrem Buch "Wie Kinder Sprachen lernen" für eine gezielte Förderung frühkindlicher Mehrsprachigkeit plädiert. 2022 wurde Tracy von der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft (DGfS) mit dem Wilhelm-von-Humboldt-Preis für ihre Verdienste und überdies für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Letzteres ist an der Bundespartei im Allgemeinem und – schlimm genug – speziell der Südwest-CDU komplett vorbeigegangen. Oder es wird – noch schlimmer – wissentlich und vorsätzlich übersehen.

Mehrsprachigkeit als Glücksfall

An den unermüdlichen Wortmeldungen der inzwischen 74-jährigen Mahnerin kann es jedenfalls nicht liegen. "Mehrsprachigkeit ist in einer globalisierten Welt eine bedeutende Ressource", schreibt sie 2014 in einer flammenden Replik auf die CSU-Forderung nach einer Deutsch-Pflicht. Und sie problematisiert, dass "es in unserer Gesellschaft, in der Politik und den Medien Zuwanderersprachen, anders als den im Schulsystem anerkannten Fremdsprachen, an Prestige fehlt". Dabei sei Mehrsprachigkeit "weltweit betrachtet ein Glücksfall". Nur zur Erinnerung: "The Länd", die Kampagne zur Anwerbung ausländischer Fachkräfte, macht Deutschkenntnisse ausdrücklich nicht zur Voraussetzung des beruflichen Einstiegs im Südwesten. Englisch reicht.

Obendrein ist Mehrsprachigkeit ohnehin der Normalfall, schon weil reines Hochdeutsch allein sehr selten gesprochen wird und gerade besonders bodenständig wirken wollende Politiker wie Manuel Hagel ihren Dialekt und damit ihre Zweisprachigkeit als Stilmittel einsetzen. "Der Zugereiste vernimmt Wörter, die er so noch nie zuvor gehört hat", schrieb 2021 ein Nordlicht in einem Porträt des damals neuen CDU-Fraktionschefs Hagel. Der bekennt selber, er habe sich immer vorgenommen, als Politiker so zu sein wie als Mensch: "Deshalb bin ich der, der ich bin, und spreche, wie mir der Schnabel gewachsen ist, denn das ist echt, das ist authentisch."

Wenigstens der Satire-Website "Der Postillon" ist der Humor noch nicht vergangen. "Eine politische Forderung der Christdemokraten sorgt bei Kindern in weiten Teilen Deutschlands darunter insbesondere Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Hessen für Angst und Schrecken", heißt es jüngst in einem Beitrag. Dann wird das Warum genüsslich ausgebreitet: Unter Nürnberger Schüler:innen zum Beispiel herrsche große Verunsicherung. Kein Wunder bei solchen Aussichten: "Kummd dann bletzli su a Aansachzichkind mid anner diefen Stimma aafn Schullhof und froochd dann su anderkawwermäßich rum, dass fei ah ja jedder Deidsch redd?". Und eine Biberacher Elternsprecherin bringt es auf den Punkt: "Diese bleda Seggl vo der CDU, des isch do oifach brunzdumm. Wie sollat unsre Kindr des schaffa? Mir werda dagega Brodeschd einlega." Hoffentlich.


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4 Kommentare verfügbar

  • Peter Kurtenacker
    am 19.01.2023
    Antworten
    Sprachpolizei > da fällt mir sofort der Roman "1984" ein.
    Dort ist ja das "Ministerium für Wahrheit" für die Geschichts- und Sprachfälschung zuständig.
    Und das ist heute in vielen Gestalten am Werke.

    Im Artikel wird unbestreitbare "merkwürdige" Ansichten der CDU angegriffen.
    Gleichzeitig wird…
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