KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Klima-Protest

Guter Bulle, böser Bulle

Klima-Protest: Guter Bulle, böser Bulle
|

Datum:

"Denkt mal nach", rät Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident jungen Menschen, die sich ums Klima sorgen. Die Aktionen der Letzten Generation hält er für sinnlos, weil sie die Leute vergraulen. Die Wissenschaft behauptet das Gegenteil.

Eigentlich ist es unsäglich albern: In der Zeitlupen-Apokalypse namens Erderhitzung lässt sich Krisenentfaltung in Echtzeit studieren, doch bürgerliche Feuilletons halluzinieren sich lieber eine Klima-RAF herbei als für das Festhalten am fossilen Wahnsinn klare Worte zu finden. Erfrischend ist da der umweltpolitische Jahresrückblick der Mitwelt Stiftung Oberrhein, in dem es kurz und knackig heißt: "2022 war ein Scheiß-Jahr!"

Viereinhalb Jahre ist es inzwischen her, dass die Aktivistin Greta Thunberg erstmals ihre Teilnahme am Schulunterricht verweigerte und sich eine globale Massenbewegung für den Erhalt der menschlichen Lebensgrundlagen formierte. Doch damit, sich mit Millionen junger Menschen auf die Straßen zu stellen und dort zu rufen "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut",  scheinen die Klimabesorgten ja nicht so recht durchgedrungen zu sein – und ein weitaus kleinerer Kreis von besonders Verzweifelten, die bereit sind, für ihre Aktionen im Knast zu landen, greift in Zeiten hundertausendfach an Ernteausfällen krepierender Kinder zum ja ach so extremistischen Schritt, sich auf Straßen festzukleben.

Ausgabe 608, 23.11.2022

Und wer genau ist hier brutal?

Von Minh Schredle

Die Klimazerstörung geht weiter, haben die Vereinten Nationen beschlossen. Hierzulande werden verzweifelte Protestformen gegen den gewohnten Wahnsinn in Terror-Nähe gerückt und Aktivist:innen landen ohne Gerichtsurteil im Knast. "Entlarvend" findet das der Regisseur Volker Lösch.

Beitrag lesen

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ist indessen immer noch nicht darüber hinweggekommen, dass Kinder und Jugendliche für ihren Protest die Schulpflicht verletzen. "Denkt mal nach", appellierte er im November an sie: "Schule schwänzen fürs Klima. Das kann's nicht sein." Auch zu den Blockaden der Letzten Generation äußerte sich der 74-Jährige: "Ich halte deren Aktionen nicht für sinnhaft", es sei "ziemlich eindeutig", dass die Mehrheit der Bevölkerung so nicht überzeugt werde. "Ich kann diesen Menschen nur raten, die Aktionen zu stoppen. Sie schaden der Klimaschutzbewegung."

Tatsächlich gaben laut dem Meinungsforschungsinstitut Civey 86 Prozent der Befragten an, dass sie Aktionen wie Straßenblockaden für kontraproduktiv halten – und kurioserweise könnte die Klimaschutzbewegung dennoch davon profitieren. Eine Studie der Soziologen Brent Simpson, Robb Willer und Matthew Feinberg kommt jedenfalls zu dem Befund, dass ein radikaler Flügel für soziale Bewegungen durchaus nützlich sein kann, sogar wenn eine Mehrheit die Aktionsformen ablehnt. Ein bisschen ist das wie bei der Good-Cop-Bad-Cop-Nummer: Im Kontrast zu den Radikalen (böser Bulle) können die Ziele des restlichen Teils der Bewegung (guter Bulle) umso gemäßigter und nachvollziehbarer erscheinen. In der von den Soziologen durchgeführten Befragung  führte der Einsatz radikaler Taktiken jedenfalls zu einer deutlich erhöhten Zustimmung zum gemäßigten Teil einer Bewegung.

Ob sich das Experiment einfach so auf die Aktionen der Letzten Generation übertragen lässt, ist zweifelhaft und bisher liegen dazu noch keine gesicherten Ergebnisse vor. Ganz so eindeutig, wie der Ministerpräsident unterstellt, ist die Sachlage allerdings nicht.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


7 Kommentare verfügbar

  • Karsten Wehrmeister
    am 02.01.2023
    Antworten
    Ja unsere Parteipolitiker sind das Problem, denn sie trauen sich nicht Politik zu betreiben!, denn dann würden sie ev. nicht mehr gewählt werden. Richtige Politik tut immer irgendeinem weh, da die bisherige Handlungsweise zu den aktuellen Problemen geführt hat - welch ein Wunder: Handlungen und…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!