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Willkommen in Öhningen

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Als ehemalige Sozialarbeiterin ist Doris Künzel Kummer gewöhnt. Doch was die ehrenamtliche Flüchtlingshelferin in Öhningen am Bodensee zu sehen bekam, hat sie fassungslos gemacht.

Im Einsatz für bessere Lebens- und Wohnverhältnisse für Geflüchtete musste Doris Künzel sich immer wieder mit Behörden wegen Unterbringungsmängeln herumschlagen. Eine Küche indes, in der man kaum kochen kann oder ein Bad, das weder Wanne noch Dusche hat, ist selbst ihr noch nicht untergekommen. In einem Brandbrief an Bürgermeister Andreas Schmid prangerte Doris Künzel Anfang Januar die "erbärmlichen Verhältnisse" in der Anschlussunterbringung an.

"Was ich hier in Öhningen in der Unterkunft gesehen und erlebt habe, überstieg wirklich mein ganzes Vorstellungsvermögen", schreibt die Sozialarbeiterin, wie "schäbig und menschenverachtend eine deutsche Gemeinde mit geflüchteten Menschen umgehen kann". Vermutlich müsse man lange suchen, "um in Deutschland eine weitere Unterkunft zu finden, die jener in Öhningen gleicht".

Das Schreiben, das Künzel in Kopie auch an den zuständigen Sozialarbeiter des Landratsamts und das Gesundheitsamt in Radolfzell sowie den Ortspfarrer geschickt hat, dokumentiert kaum Glaubliches. So zwingt die Gemeindeverwaltung seit dem Jahr 2017 zeitweise acht afrikanisch- und arabischstämmige Männer, sich eine Wohnung in schäbigstem Zustand zu teilen; deren heruntergekommene Küche lässt selbst das Nötigste wie einen Küchenschrank vermissen und verfügt noch nicht einmal über voll funktionstüchtige Herdplatten. Seit einem Wasserschaden im Jahr 2017, der bis heute nicht behoben wurde, gibt es in einem euphemistisch als Bad deklarierten Raum überdies weder Wanne noch Duschgelegenheit. Den Duschkopf hatte ein Gemeindeangestellter ausgebaut, weil offenbar bei der Nutzung Wasser bis in den Wohnungsflur spritzte. Grund: Im "Bad" fehlen sowohl der Duschvorhang als auch eine Tür.

Die Klagen der Bewohner wegen der spärlichen Waschmöglichkeiten habe man mit der Bemerkung abgetan, in Afrika gebe es doch auch keine Duschen, erfuhr Künzel in Gesprächen mit den Betroffenen. Alle Beschwerden und Bitten der Geflüchteten um Abhilfe und selbst deren Angebote, selbst Hand anzulegen, stoßen ihren Recherchen zufolge im Öhninger Rathaus auf eiserne Ablehnung.

Skandalöse Zustände, die Künzel in mittlerweile bereits zwei Schreiben (eines aus dem Jahr 2018) an den Bürgermeister zu der Frage veranlassen, welche Motivation sich hinter dem Agieren der Gemeinde und ihrer MitarbeiterInnen verberge. "Steht dieses Verhalten den Flüchtlingen in Öhningen gegenüber einfach nur für Desinteresse, Ignoranz und Verantwortungslosigkeit oder ist es Teil eines Rassismus, mit dem man sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen in der eigenen noblen Gemeinde wehren will? Glaubt man wirklich, indem man den Flüchtlingen das Leben so schwer und schäbig wie möglich macht, dass sie dann von selbst gehen? Ich weiß es nicht, und vielleicht können Sie mir auf diese Frage eine Antwort geben …" Eine Antwort auf ihr Schreiben hat Doris Künzel bis heute nicht erhalten.

Auf Anfrage von Kontext schreibt Bürgermeister Andreas Schmid: "Zwischenzeitlich wohnt nur noch einer der im Jahr 2017 zugewiesenen Bewohner in der Unterkunft." Er bewohne ein 24 Quadratmeter großes Zimmer mit Kochgelegenheit, dass er sich "einigermaßen wohnlich eingerichtet" habe. "Der Asylbewerber hat vor über einem Jahr Vollzeitarbeitsplatz in unserm Bauhof gefunden und kann die dortigen Sanitäranlagen mitbenutzen. [...] Wir sind seit geraumer Zeit bemüht, eine andere Unterkunft für ihn zu finden." Bemühungen seien bisher allerdings "immer an der Miethöhe" gescheitert. Zwei weitere Männer leben zumindest zeitweise in dem Abrisshaus. "Auch wir sind mit den Verhältnissen in der Asylbewerberunterkunft unzufrieden. Da jedoch ein Abbruch des Gebäudes bevorsteht, wäre es unverhältnismäßig, weiter hohe Kosten in die Unterkunft zu investieren."

Dieser Text wurde zuerst in "Seemoz" veröffentlicht und für Kontext aktualisiert.


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4 Kommentare verfügbar

  • Linda Jessen Schmidt
    am 02.03.2020
    Antworten
    Öhningen ist bezüglich der Flüchtlingsunterbringung eine einzige Katastrophe.
    Als die Flüchtlinge in Gemeinden verteilt wurden,kamen die genannten 8 Afrikaner die zuerst in der Poststraße untergebracht wurden. Im gleichen Haus eine Indische Familie,Mutter-Vater und 2 Kinder zusammengepfercht auf 30…
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