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April, April

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Wolfgang Dietrich war schon Softwareunternehmer, Bahnlobbyist und Sportinvestor. Heute ist er Fußballpräsident, und soll, so heißt es, nicht so leicht aus der Fassung zu bringen sein. In jüngster Zeit wirkt er aber angefressen. Das könnte mit seinen undurchsichtigen Geschäften zu tun haben.

Mitte August 2011, als Sprecher von Stuttgart 21, platzte Dietrich der Kragen. Er hatte erfahren, dass der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann den Bahnhofssüdflügel keinesfalls ohne vorherige Volksabstimmung über S 21 abreißen lassen wollte.

"Wer gibt der Bahn die Garantie, dass so eine Volksabstimmung noch in diesem Herbst stattfindet? Wer sagt denn, dass sie überhaupt jemals stattfindet? Was machen wir, wenn sie nicht kommt? Sagen wir dann April, April und lassen uns was Neues einfallen?" So polterte der Polarisierer.

April, April. Wir lassen uns was Neues einfallen. Ein Satz, an den er sich dieser Tage vielleicht erinnert.

Denn Dietrich ist unter Druck. Längst nicht mehr als Bahnlobbyist, sondern als Präsident des VfB Stuttgart, seit das Fußballmagazin "Kicker" in der Karwoche alten Gerüchten neue Nahrung gab, indem es das Luxemburger Geschäftsmodell des Sportinvestors Quattrex konkret darlegte. Diese Berichte warfen Fragen auf, die der 70-Jährige längst hinter sich gelassen glaubte: Kann der einstige Unternehmer auch als Vereinschef von Erfolgen der direkten Konkurrenz profitieren?

Mindestens für die ersten 14 Monate seiner Amtszeit lässt sich diese Frage mit einem Ja beantworten, weil eine Firma, an der er zweifelsfrei der größte Anteilseigner war, für Millionengeschäfte des Fonds "Quattrex German Opportunities" Beratungs- und Erfolgsvergütungen kassierte. Und selbst wenn es keine Gewinnausschüttung gab, so stieg doch der Wert seiner Anteile an der Quattrex Finance GmbH (QF). So heißt die Unternehmung, die den Fonds als "Investment Adviser" berät.

Der Fonds vergibt festverzinste Darlehen an Fußballvereine, zudem gibt es eine variable Beteiligungskomponente an den Medieneinnahmen der Klubs. Der Fonds profitiert dabei vom allgemeinen Wachstum der TV-Gelder, die bei sportlichem Erfolg zusätzlich steigen.

Als Berater erhält die Quattrex Finance GmbH 0,95 Prozent der kumulierten Kapitalzusagen des Fonds (2017: 295 509,38 Euro; 2016: 83 698,96 Euro). Darüber hinaus kann eine erfolgsabhängige Zahlung fließen wie anno 2017 in Höhe von 271 902,53 Euro. Denn wirft der Fonds mehr als sechs Prozent Jahresrendite ab, wandern 35 Prozent des Nettoerlöses an die QF, die selbst kein Kapital gibt, also ohne großes Risiko auf die Rendite gehen kann.

Zum Stichtag 31. Dezember 2017 hatte der Fonds 31,8 Millionen Euro an Kapitalzusagen gegeben. An Austria Wien, Union Berlin, den 1. FC Heidenheim und den 1. FC Kaiserslautern. Die drei letztgenannten Klubs stehen seit August 2016 in einer Geschäftsbeziehung mit dem Fonds und waren in der Saison 2016/17 Zweitligisten – wie der VfB Stuttgart, der nach dem Abstieg aus der Bundesliga im Mai 2016 führungslos daher kam.

Der Daimler-Vorstand sucht einen Mann mit Brechstange

Doch da war ein findiger Aufsichtsrat um Wilfried Porth, Personalvorstand bei Daimler. Das Kontrollgremium guckte sich Dietrich, den in Sachen Fußballfinanzierung bewanderten Manager, aus. Einen Mann mit der Brechstange, S-21-gestählt. Keinen Messi, sondern einen Pepe. Schließlich wollten sie beim VfB die Profiabteilung ausgliedern und derlei Vorhaben gestalten sich bei Traditionsvereinen mit aktiver Fanszene schwierig. Am 22. Juli 2016 berichteten erstmals Stuttgarter Medien, dass der Umstrittene kandidieren werde für das höchste VfB-Amt. Wenige Tage später zog er sich aus der QF-Geschäftsführung zurück. Auch von anderen Posten im Firmengeflecht des Fußballinvestors Quattrex hatte er sich gelöst, allen voran vom Amt des Aufsichtsratschefs der 2009 gegründeten Quattrex Sports AG, der Keimzelle des Konglomerats.

Seht her, keine operativen Verbindungen mehr. Zur Sicherheit ließen Dietrich und der VfB die Deutsche Fußball-Liga alles prüfen. Zudem sieht sie auf Basis von "weitreichenden, bindenden Erklärungen", Interessenskollisionen ausgeschlossen. Statuarisch ist alles in Ordnung.

Die vollständige Trennung – April, April – von seinem Baby Quattrex fiel Dietrich senior offenbar nicht so leicht. An der Quattrex Finance GmbH hielt er bis mindestens 31. Dezember 2017 über die VMM Consulting GmbH, deren alleiniger Anteilseigner er ist, 50 Prozent. Weitere 30 Prozent gehören seinem Sohn Christoph Albert Wilhelm Dietrich über die CAW Dietrich GmbH, der Rest dem nun alleinigen QF-Geschäftsführer Tobias Schlauch über die SCM Schlauch GmbH. Das war auch nach Dietrichs denkbar knapper Wahl – 57,2 Prozent ohne Gegenkandidat – zum VfB-Präsidenten im Oktober 2016 so. Zudem war er damals noch an der luxemburgischen Quattrex GP Sarl, dem General Partner des Fonds, beteiligt.

Für Wilfried Porth, Wolfgang Dietrich und Stefan Heim, den Finanzvorstand des VfB Stuttgart, ist das aber kein Problem, wenn der Präsident eines Fußballklubs vom Erfolg anderer Vereine, zeitweise direkter Konkurrenten, finanziell profitieren kann.

Der Fußball rennt jedem faulen Euro hinterher

Die "Ethik" des Fußballs wohnt seit jeher in ihrem eigenen Gebäude. Das aber besteht nicht aus Stein, sondern Schein und Scheinen. Und Papier taugt nicht als Pfeiler. Global betrachtet ist es kein Zufall, dass der Fußball, der Wasser predigt in Form von Fairplay, aber jedem noch so faulen Dollar oder Euro hinterherrennt für die nächste Pulle Wein, gefühlt monatlich von einem neuen Skandal erschüttert wird. Hier wird die FIFA vom FBI hochgenommen, dort Topstar Cristiano Ronaldo wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Hier eine Luxusuhr, dort 6,7 Millionen Euro. Hier ein Beraterhonorar, dort ein Hinterzimmerdeal zum globalen Superwettbewerb. Und in Bad Cannstatt eine ganz besondere Form der Wettbewerbsintegrität.

Dabei ist "der Besitz dieser Anteile (gemeint ist die QF, d. Red.) weder aus rechtlicher Sicht, noch hinsichtlich der Wettbewerbsintegrität problematisch", befand Dietrich am 24. April 2019 in einem Brief an die Mitgliederschar des VfB, in der sich nach den jüngsten Veröffentlichungen Unmut breitmacht. Wenn alles so einwandfrei ist, warum erweckt Dietrichs Umgang mit dem Thema dann von Beginn an den Eindruck einer Desinformationskampagne? April, April. Wir lassen uns was Neues einfallen.

Auf eine erste Anfrage verstieg sich der Mann, der schon mit der Ventric AG in den 2000er-Jahren dank aus der Kirch-Insolvenzmasse herausgelöster Forderungen gegen Fußballklubs Geld machte, zu der Aussage: "An der Quattrex Finance GmbH war ich zu keinem Zeitpunkt mit 50 Prozent beteiligt, sondern lediglich Minderheitsgesellschafter." Haltbar ist diese nicht. Nach der ersten Veröffentlichung des "Kicker" fand sich plötzlich in den "Stuttgarter Nachrichten" die Behauptung (kein Zitat), dass Dietrich seit Januar 2018 kein Gesellschafter mehr der QF sei. Doch die Tabelle und das Handelsregister lügen nicht und dieses führt nach wie vor die VMM als 50-prozentigen QF-Eigner (Stand: 30. April 2019).

Zudem wirkte Dietrichs Aussage, dass er seine Anteile an der Quattrex GP Sarl am 13. Oktober 2016, also vier Tage nach seiner Inthronisierung beim VfB, verkauft habe, wie eine Nebelkerze. Denn laut Luxemburger Handelsregister ist der Anteilsübertragungsvertrag auf den 9. Dezember 2016 datiert, hinterlegt wurde dies am 21. Dezember 2016. Die zeitlichen Unterschiede lachte er in einer Runde mit Journalisten am 23. April 2019 weg: das dauere nun mal. Als wäre ein Verkauf wirksam, wenn man ein Notariat von seiner Absicht informiert.

Ist plötzlich eine Grippewelle unter Stuttgarts Notaren ausgebrochen?

Immerhin: So blieb mehr Platz, um zu erklären, warum das Handelsregister nach wie vor seine VMM als Anteilseigner der QF führt, wenngleich er diese mit Wirkung zum 1. Januar 2018 veräußert haben will: "Die Verzögerung bei der Aktualisierung des Handelsregistereintrages der Quattrex Finance GmbH liegt vor allem daran, dass sich der vereinbarte Kaufpreis am Bilanzergebnis 31.12.17 orientiert und dieses erst seit kurzem vorliegt." Erst seit drei bis fünf Wochen läge die Bilanz vor, hieß es in bereits erwähnter Journalistenrunde. Seltsam. Denn laut Unternehmensregisterauszug wurde der Jahresabschluss der QF am 26. November 2018 festgestellt und hinterlegt am 10. Dezember 2018. Ob als nächstes eine bislang unbekannte, plötzliche Grippewelle unter Stuttgarts Notaren als Grund für die Verzögerung benannt wird? April, April.

Der Vorstand eines Dax-Konzerns sollte ökonomisches Grundwissen genug haben, derlei Unstimmigkeiten zu erkennen. Stattdessen stützt Daimler-Manager Wilfried Porth Dietrichs Argumentation – kein Wunder, er hat ihn mit ausgesucht. Der Autobauer übernahm 2017 für 41,5 Millionen Euro 11,75 Prozent der ausgegliederten Profifußball-AG des VfB Stuttgart. In diesem Zuge seien auch Dietrichs Geschäfte im Hinblick auf Compliance überprüft worden. "Keinerlei Einwände", so der Manager in der "Stuttgarter Zeitung".

Und überhaupt, sagt Porth: "Alles, was jetzt diskutiert wird, war vor seiner Wahl bekannt. Wirklich alles." Die Frage ist, wem genau? "Insofern war den Gremien des VfB bekannt, dass Wolfgang Dietrich an Erträgen, die aus diesen Engagements fließen könnten, partizipieren kann." Das ließ Stefan Heim, VfB-Finanzchef, vor drei Wochen ausrichten. Den Gremien vielleicht. Den Mitgliedern auch? Das ist die große Frage, schließlich wählte die Mitgliederversammlung ihn zum Präsidenten.

Wenn nichts mehr geht, einfach dementieren

Im April 2019, da sagte Wolfgang Dietrich: "Mir zu unterstellen, ich würde mittels meines Engagements als ehrenamtlicher Präsident des VfB Geld verdienen wollen, trifft mich mehr als jeder andere Vorwurf." Nur: Das hat niemand behauptet. April, April. Dietrich bedient den Reflex der Mächtigen, wenn argumentativ nichts mehr geht: Einfach dementieren, was nie im Raum stand.

Aber bringt den ehemaligen Prellbock von Stuttgart 21 wirklich nichts aus der Fassung? Oder vielleicht doch? Der Samstag, 27. April, war so ein Tag, an dem Dietrich angefasst wirkte. Sein Verein hatte überraschend mit 1:0 gewonnen, gegen Borussia Mönchengladbach. Da tat Dietrich etwas, was er äußerst selten tut. Im Bauch der Arena schritt er vom Spielertrakt in die Mixed Zone, zu den Journalisten. Dann wieder zurück in den Spielertrakt, dann wieder zur Journaille, um vor dem TV-Bildschirm den Interviews nach dem Spiel zu lauschen. Fahrig wirkte er.

Wollte er Präsenz zeigen? Demonstrieren: hier, hier bin ich? Ein Reporter sprach ihn an. Nein, sagen wolle er nichts. Zuvor hatten Fans wieder "Dietrich-Raus"-Plakate gezeigt. Ein besonders großes Transparent richtete sich an den Aufsichtsrat: "Ostern ist vorbei! Habt ihr die Eier gefunden, Dietrich vor die Tür zu setzen? Und euch gleich mit?!" Hat er realisiert, dass seine Erklärung bei den Kritikern nicht verfängt? Oder ließ er sich einfach nur mal wieder was Neues einfallen? April, April.

 

Benjamin Hofmann (35) schreibt seit 2014 als Redakteur und Reporter für den "Kicker". Zunächst über Mainz 05, aktuell über die TSG Hoffenheim und den VfB Stuttgart. Speziell interessiert ist er an der Sportpolitik und Korruption.


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7 Kommentare verfügbar

  • Volkherr Zwey
    am 02.05.2019
    Antworten
    „Benjamin Hofmann (35) schreibt seit 2014 als Redakteur und Reporter für den ‚kicker‘. Zunächst über Mainz 05, aktuell über die TSG Hoffenheim und den VfB Stuttgart. Speziell interessiert ist er an der Sportpolitik und Korruption.“ Soll er machen. In Zukunft aber ohne mich als kicker-Leser. Wer auch…
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