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No Olympia

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Die Geschichte der Olympischen Spiele ist geprägt von Sternstunden, Korruption und Milliardendefiziten. Und von guten Nachrichten, abseits sportlicher Erfolge. Denn: Am engagierten Widerstand vor Ort scheitern Olympia-Bewerbungen schon seit Mitte der Siebzigerjahre – Tendenz stark steigend.

Das war Balsam für die Seele. Anfang März 2004 besuchte Erwin Teufel Sydney. Gut zehn Jahre lang hatte der Ministerpräsident die Bewerbung der Landeshauptstadt für die Spiele 2012 unterstützt. Bis für Stuttgart in der nationalen Ausscheidungsrunde das Motto galt: Dabeisein ist alles. Der Sieger Leipzig sollte das olympische Feuer nach Deutschland holen, woraus bekanntlich auch nichts wurde. 

Auf ihrem Trip nach New South Wales wurden die Gäste aus dem fernen Europa damit konfrontiert, was Baden-Württemberg alles erspart geblieben war: Teile des Olympischen Dorf, ganz anders als von den Investoren versprochen, als unverkäuflich schon wieder abgerissen. Zahlreiche Sportstätten überdimensioniert und unbenutzbar. Ein Ticket- und diverse Schmiergeldskandale unaufgearbeitet. Stadtpolitiker, die sich trotz des Gestrüpps von Rechtehandel, Sponsorenverträgen und Einflussnahme nationaler wie internationaler Funktionäre entschieden hatten, die gesamte Infrastruktur aus Steuermitteln zu finanzieren, starrten in ein riesiges Loch im Etat. Heftig wurde in der Delegation darüber diskutiert, was sich ändern muss, damit Olympische Spiele bezahl- und durchsetzbar bleiben.

Dazu kam: Sydneys Mitbewerber Berlin hatte es 1993 beim IOC wegen der Skepsis in der Bevölkerung, gewaltsamer Ausschreitungen und eines "alternativen Bestechungsbriefs" mit einem Dollar für jeden Entscheider überhaupt nicht in den entscheidenden Wahlgang geschafft. Staunend musste Teufel in Down Under zur Kenntnis nehmen, dass rund 90 Prozent der Bevölkerung inzwischen bei Meinungsumfragen äußerten, ihre Stadt hätte sich nie bewerben dürfen.

Kein Schnee in Pyeongchang

Es wäre hilfreich gewesen, seinem bayerischen CSU-Kollegen Edmund Stoiber bei einem nächsten Treffen von diesen Erlebnissen zu berichten. Vielleicht hätten sich die Befürworter in München und Garmisch-Partenkirchen 2011 die Schmach erspart, trotz jahrelanger millionenschwerer Image-, Werbe- und Vorbereitungskampagnen, samt Oktoberfest, Neuschwanstein, der DDR-Ikone Kati Witt und Fußballkaiser Franz Beckenbauer im Kampf um die Austragung der Winterspiele 2018 schon im ersten Wahlgang unterzugehen – gegen Pyeongchang (Südkorea). Dort gibt es zwar im Februar keinen Schnee, und das Interesse am Skisport tendiert gegen null, 500 Jahre alte heilige Eichen mussten fallen, und der versprochene Hochgeschwindigkeitszug wird auch nicht gebaut. Aber die Akzeptanz in der Bevölkerung liegt (noch) bei über 70 Prozent.

Olympische Spiele werden seit Jahrzehnten totgesagt. Von der einen, der Befürworterseite, drohend an die Adresse der Zivilgesellschaft, die damals noch nicht so hieß und die Herren der Ringe nicht stören sollte bei ihren immer konkreter werdenden Überlegungen, mit der Marke Olympia weltweit viel, sehr viel Geld zu verdienen. Und ebenso von der anderen Seite, jenen Initiativen vor Ort, die nicht jeden Preis zahlen wollen für ein immer fragwürdiger werdendes Spektakel. 57 Prozent der Bürger und Bürgerinnen von Denver/Colorado lehnten im November 1972 die bereits gewonnene Austragung im Jahr 1976 ab. Weil die Kosten explodiert waren und entgegen allen Versprechungen doch massive Eingriffe in Natur und Naturschutz nötig geworden wären. Der Kopf der Bewegung "For the future of Colorado" wurde später zum Gouverneur gewählt.

Die Ereignisse in Denver hätten eine entscheidende Weichenstellung werden können. Innsbruck, der Veranstalter von 1964, sprang ein. Einige Modernisierungen und Aufhübschungen reichten aus, ohnehin geplante Neubauten wurden vorgezogen, Großinvestoren gingen leer aus. Die Wettkämpfe im selben Jahr im Sommer in Montreal waren gekennzeichnet von Streiks unterbezahlter Arbeiter, immensen Kosten für Polizeieinsätze – nach dem Anschlag in München 1972 – und sportlich vom Boykott durch mehr als 30 afrikanische Staaten, die dem IOC die zumindest indirekte Unterstützung des Apartheid-Regimes im Südafrika vorwarfen. Im Hauptquartier in Lausanne wurden revolutionäre Pläne gewälzt, um immer neue Unwuchten in immer neuen Regionen zu vermeiden. Die Idee: Bis auf Weiteres, mindestens zum 100. Geburtstag der Wiederentdeckung des olympischen Geistes durch den französischen Baron und Pädagogen Pierre de Coubertin anno 1896, sollten Athen (Sommer) und Innsbruck (Winter) alle vier Jahre Austragungsorte sein.

Der Plan scheiterte mit weitreichenden Konsequenzen. Denn die, die dagegen argumentierten, sprachen nicht mehr vom guten Geld, das verdient werden könne mit den fünf Ringen. Stattdessen waren Unsummen, mit denen sie Austragern, Sponsoren und den eigenen Funktionären winkten, zu scheffeln mit einem neu angekurbelten Rechte- und Lizenzenverkauf. 1980 wurde der Franco-Freund Juan Antonio Samaranch, bekennendes Mitglied des faschistischen Movimento Nacional, IOC-Präsident. Und er machte, urteilt die sehenswerte SWR-Produktion "Die Sportfalle – Wie Olympia und Co die Gastgeber knebeln", die ganze Unternehmung zur "Geldmaschine". Die Zahlen sprechen für sich: 1984 in Sarajewo und Los Angeles – nach Montreal die dritten Spiele in Folge, die von vielen Nationen boykottiert wurden – brachte das Geschäft mit der TV-Übertragung 350 Millionen Euro ein. 2014 und 2016, der Sommer-Zyklus ist willkürlich seit gut 20 Jahren vom Winter-Zyklus getrennt, damit das Spektakel nicht mehr dem Spektakel Konkurrenz macht, hatten sich diese Einnahmen verzehnfacht auf 3,35 Milliarden.

Das Innsbrucker Olympiamärchen

Wie ein Märchen liest sich demgegenüber die Abschlussbilanz von Innsbruck 1964. Der Kartenverkauf war eine Haupteinnahmequelle. Fast eine Million Zuschauer wurden an zwölf Tagen vor Ort gezählt, mehr als ein Viertel davon bei den alpinen Skiwettbewerben, und 1200 Journalisten aus 34 Ländern. Die Gesamtausgaben, mit allen Bauten und dem Olympischen Dorf, lagen umgerechnet bei rund acht Millionen Euro, die Einnahmen bei 6,3 Millionen. Das Defizit steckten Stadt, Land und Bund locker weg. 50 Jahre später kostete der Winterwahnsinn von Sotschi 2014 rund 50 Milliarden und damit mehr als 6000 Mal so viel. Das Defizit wird geheim gehalten. Dafür hat die "New York Times" kürzlich aufgedeckt, dass die Dopingproben von mindestens 15 gedopten russischen Medaillengewinnern heimlich nachts gegen sauberen Urin ausgetauscht wurden – auf höheren Befehl.

Zwischen Montreal und Rio oder Tokio im Jahr 2020, zwischen Denver und Pyeongchang liegen jede Menge Absagen an Olympias Mächtige: In Krakau und Zakopane hat die Bürgerschaft gegen eine Bewerbung gestimmt, in Graubünden, in Stockholm, in Hamburg, inzwischen auch in München, in Boston oder Toronto. Andere Interessenten scheiterten schon vor einer Machbarkeitsstudie und dem Start ins nicht eben billige offizielle Bewerbungsritual, weil ausreichend viele Menschen "No Olympia"-Initiativen mit immer neuen Aktionen unterstützten. Als vor zwei Jahren von den Herren, die nicht mehr die Ringe, sondern die Milliardengewinne im Blick haben, Berlin ins Gespräch gebracht wurde, verankerte sich der Widerstand rasch in der Bevölkerung. Der Stuttgart-21-Fan und frühere Amtschef im CDU-Verkehrsministerium, Bernhard Bauer, zog, in seiner Funktion als Handball-Verbandspräsident, verärgert einen Schluss, nicht erkennend, wie richtig er lag: Wenn das hier in Berlin so laufe wie in Stuttgart, dann seien derartige Großprojekte in Deutschland eben nicht mehr möglich.

"Olympische Spiele und Demokratie verstehen sich schlecht", schreibt der Schweizer Journalist Bruno Kaufmann, der es für "unwahrscheinlich" hält, "dass sich das bald ändern wird". Deshalb vergab das am Thema Menschenrechte gänzlich desinteressierte Olympische Komitee die Winterspiele 2022 an Peking. Schon die Sommerspiele von 2008 hatten nichts an Unterdrückung, Zensur oder politischer Willkür in China geändert und erst recht nichts daran, dass Regime- und Veranstaltungskritiker im Kerker verschwanden. Da nimmt sich banal aus, dass in der Smoghauptstadt der Welt selbstredend kein Naturschnee fällt.

Abgesehen vom Skandal des Umgangs mit russischem Staatsdoping wird Rio 2016 auch deshalb in die überlange Negativgeschichte eingehen, weil sich das IOC erstmals an der Zensur des Internets versuchte. Unter anderem dadurch, dass die Nutzung bestimmter Hashtags verboten und unter Strafe gestellt wurde. Und angesichts des mageren Zuschauerinteresses wollen nationale Verbände noch im Herbst wieder einmal über "small is beautiful" debattieren, beispielsweise über Bewerbungen, die ohne Neubauten auskommen. Salzburg und Berchtesgaden hätten diesen Anspruch erfüllt, den Zuschlag für 2014 bekam Sotschi. Oder über grenzüberschreitende Ausrichtungen. Friaul, Slowenien und Kärnten wollten 2006 Gastgeber sein, hatten aber keine Chance gegen Turin und das mächtige Netzwerk von Fiat-Präsident Giovanni Agnelli.

Stuttgart mit Deluxe-Sprunggrube

Erwogen wird in der Fachwelt eine Rückbesinnung auf Barcelona 1992, die letzten nicht defizitären Spiele der Neuzeit, wo mehr als 80 Prozent der Investitionen nicht in Sportanlagen gingen, weil die im Wesentlichen vorhanden waren. Oder auf frühere Konzepte, und das nicht nur ernsthaft: Angesichts des erfolgreichen Widerstands in Hamburg schlug "Die Welt" – Achtung, Satire – die Wiederbelebung der Stuttgarter Pläne vor. Die Stadt zeige sich "bereits bestens vorbereitet auf die mögliche Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele im Jahr 2024 oder 2028. Denn für mehrere Milliarden Euro werde im Herzen der Stadt eine Deluxe-Sprunggrube für die Athleten gebaut, schon im Sommer soll das zukünftige Stuttgarter Olympiastadion nicht mehr für Spiele in der ersten Fußball-Bundesliga zwischengenutzt werden."

Beim Umgarnen von Entscheidungsträgern gäbe es jedenfalls jede Menge Erfahrung. Während der Leichtathletik-WM war – Achtung, keine Satire – tätige Mithilfe gefragt, um die Bewerbung Berlins zu unterstützen, trotz der vielen, auch finanziellen Ungereimtheiten, die schon damals bekannt waren. 51 IOC-Mitglieder samt Gattinnen galt es in der Schwabenmetropole in Stimmung zu bringen. Mehrere Bundesminister reisten an, ebenso CDU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble, um milliardenschwere Bürgschaften zuzusagen, Daimler-Chef Edzard Reuter lud ins Werk und zum Mittagessen, Ministerpräsident Erwin Teufel zum abendlichen Dinner. Jeden Tag gab's für alle frische Blumen. Der sonst eher reservierte Richard von Weizsäcker überwand alle Berührungsängste, frühstückte mit Samaranch und heftete Primo Nebiolo, dem Präsidenten des Leichtathletik-Verbands IAAF mit zweifelhaftem Ruf, unter Ausschluss der Öffentlichkeit das Große Bundesverdienstkreuz ans Revers.

Dass der Italiener Stoccarda auf einem Defizit von 20 Millionen Euro sitzen ließ, tat so wenig zur Sache wie eine unbezahlte Rechnung im ersten Kaufhaus am Platze – eine Geschichte, die noch lange erzählt wurde im Talkessel: Ein Lakai, der dort Nebiolos eigens angefertigte 500-Euro-Brille abholen sollte, war an einer Rechnung oder gar einer Bezahlung derselben desinteressiert. Unter den eilends zusammengetrommelten Kaufhaus-Führungskräften traute sich aber niemand, die Herausgabe des guten Stücks unter diesen Umständen zu verweigern – Berlins Chancen sollten schließlich nicht beschädigt werden. Vier Wochen später gab es auf dem IOC-Kongress in Monte Carlo genau neun Stimmen für die deutsche Bewerbung. Dass Nebiolos darunter war, gilt als unwahrscheinlich.


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2 Kommentare verfügbar

  • Werner
    am 17.08.2016
    Antworten
    Im Februar 2016 habe ich einen Leserbrief an die Stuttgarter Zeitung geschickt, der natürlich nicht veröffentlicht wurde. Ich bekam lediglich eine Mitteilung, dass in dieser Sache auch schon recherchiert wurde, sich dies aber zäh gestalten würde. Es ging dabei um Herrn Digel und den Internationalen…
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