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Angst vor Spenden

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In Stuttgart leben etwa 60 000 Muslime. Auf ihre Integration ist die Stadt stolz. Doch bei der Hilfe für Flüchtlinge, in der sich auch einige muslimische Vereine engagieren, zeigt sich: Vieles ist leichter gesagt als getan.

Mauserstraße, Feuerbach. Türkisches Viertel. Zentrum des Dachverbands DITIB Baden-Württemberg und der Yeni-Camii-Moscheegemeinde – der größten muslimischen Gemeinde Stuttgarts. Im Büro hängt das Konterfei von Atatürk, auf dem Glastisch liegen allerlei Naschereien, auf der schwarzen Ledercouch sitzen drei Männer: Ömer Gül, Moscheechef Ismail Çakir, Ali Ipek, Ditib-Landesbeauftragte der DITIB. Ömer Gül nimmt sich eine Feige vom Teller und lehnt sich zurück. "Auch wir hier kümmern uns um Flüchtlinge", sagt der Mann, der für die Koordination zuständig ist. Und Ömer Gül erzählt von den Schwierigkeiten, die das manchmal bereitet.

Im Spätsommer wollten seine Gemeindemitglieder einen Lkw voller Kleider und Sachspenden in der Flüchtlingsunterkunft beim Bürgerhospitals abliefern. Dort sei man sehr freundlich gewesen, habe sie aber wieder weggeschickt: "Aus Sicherheitsgründen", erzählt er und lacht etwas gequält: "Die dachten wohl, da sei ein Bombengürtel drin." Im Bürgerhospital kann man sich an den Vorfall nicht erinnern, der Mann vom Empfang sagt: "Wir sind keine Altkleidersammlung, wo man Klamotten, die man nicht mehr braucht, abladen kann." Es ist nicht immer einfach mit der Flüchtlingshilfe. Vor allem, wenn sie von Muslimen organisiert wird.

Mittlerweile gibt es in Stuttgart 96 Unterkünfte, die 6622 Flüchtlinge aufgenommen haben (Stand 11. 12. 2015). Viele von ihnen kommen aus muslimisch geprägten Ländern. Der viel gerühmte "Stuttgarter Weg" ist mit vielen Zahlen und Fakten gepflastert, aufgelistet auf der städtischen Homepage. Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Rotes Kreuz, die Evangelische Gesellschaft und die Israelische Religionsgemeinschaft kümmern sich ebenso wie etwa 30 Flüchtlingsfreundeskreise und 3000 ehrenamtliche Helfer. Nur von einem muslimischen Verband ist nichts zu lesen.

Flüchtlingshilfe der Moscheen hat Vorbildfunktion für viele Muslime

Vor wenigen Tagen traf sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit Vertretern der muslimischen Verbände in Stuttgart und betonte die wichtige Rolle der Islamverbände bei der Integration von Flüchtlingen: "Es ist wichtig, dass die muslimischen Flüchtlinge hier auf Muslime treffen, die bestens integriert und hier zu Hause sind. Sie können auch den Flüchtlingen helfen, in Deutschland gut anzukommen und sich schnell zu integrieren", so Kretschmann. Und auf der Homepage der DITIB-Zentrale in Köln ist zu lesen: "Die DITIB trägt gegenüber den Hunderttausenden von Menschen, die aus ihrer Heimat ausreisen mussten und zu uns geflüchtet sind, eine große Verantwortung. [...] Jede Moschee sollte für die Ensar-Muhadschir-Geschwisterlichkeit Verantwortung übernehmen und eine Arbeitsgruppe bilden." Leichter gesagt als getan.

Denn während kirchliche Verbände wie die Caritas oder die Diakonie seit über hundert Jahren soziale Dienste leisten, fehlt es den muslimischen Vereinen an entsprechenden Strukturen. Oft wissen nicht einmal die Dachverbände, wo die einzelnen Gemeinden helfen. Genauso schwierig ist es herauszufinden, welche Moscheegemeinde zu welchem Dachverband gehört und wie dieser wiederum in die Organisation der Gemeinden vor Ort und der Stadt involviert ist. Das ist auch Günter Loos vom Integrationsministerium aufgefallen: "Es gibt keinen hierarchischen Aufbau bei den muslimischen Organisationen. Vor ein paar Jahren bin ich mal mit der Frage konfrontiert worden, wie viele Moscheen es in Stuttgart gibt. Das lässt sich nicht genau sagen."

Man muss sich durch zahlreiche Homepages muslimischer Vereine klicken und viele Telefonate führen, um festzustellen: Da tut sich was. Muslimische Gemeinden wie die Ahmadiyya-Gemeinde in Bad Cannstatt, die Gemeinde im Türkisch-Islamischen Zentrum in Feuerbach oder die Alevitische Gemeinde in Stuttgart sind aktiv in der Flüchtlingshilfe. Doch handelt es sich um Initiativen von Einzelpersonen, ohne koordinierten Anschluss an die anderen muslimischen Gemeinden, Vereine, Dachverbände oder an die Stadt Stuttgart. Die Ahmadiyya-Gemeinde hat sich sogar bewusst den existierenden Strukturen der Evangelischen Kirche angeschlossen, um ein Organisationschaos zu vermeiden.

Muhterem Aras, langjährige Grünen-Stadträtin und erste Muslima im Landtag von Baden-Württemberg, kennt viele Muslime, die sich für Flüchtlinge engagieren. Doch was die Stuttgarter Moscheen tun – Fragezeichen. "Es wäre wirklich ein Armutszeugnis, wenn dort nichts laufen würde", sagt Aras, "denn wenn Moscheen sich in der Flüchtlingshilfe engagieren, hat das eine Vorbildfunktion für viele andere Muslime."

Das wissen auch die drei Männer von DITIB, die dort in Feuerbach auf ihrer Couch sitzen. An manchen Feiertagen haben sie Spenden gesammelt, rund 2000 Euro kamen zusammen, sagt Ali Ipek. Damit sind die Männer und Frauen von DITIB Stuttgart losgezogen und haben eingekauft, ihren weißen Sprinter vollgepackt und ihn nach Meßstetten in die Erstaufnahmestelle gefahren.

Kein Hinweis auf das Engagement der Muslime

Sven Matis, Leiter der Pressestelle der Stadt Stuttgart, weiß, dass auch die Stuttgarter Muslime nicht untätig sind. Die DITIB lädt Flüchtlinge zum Opferfest ein, bei der Ahmadiyya-Muslim-Gemeinde kümmern sich Frauen um alleinerziehende Flüchtlingsfrauen. Muslime in Stuttgart engagieren sich. Doch auf der Informationsseite zur Stuttgarter Flüchtlingspolitik ist von A wie "Aktuelles" bis W wie "Weitere Informationen" zwar jeder Flüchtlingsfreundeskreis, der eine Homepage hat, aufgelistet. Doch es gibt keinen einzigen Hinweise auf das Engagement muslimischer Vereine. Um es mit dem Facebook-Terminus zur Angabe des persönlichen Liebesbeziehungs-Status auf den Punkt zu bringen: Es ist kompliziert.

Trotzdem ist der Leitspruch der Stuttgarter Flüchtlingspolitik: "Wir für Flüchtlinge". Dass mit "Wir" aber auch Muslime gemeint sind, wird erst klar, wenn man recherchiert. Das liegt jedoch nicht daran, dass Muslime in der Flüchtlingshilfe nicht aktiv sind. Vielmehr haben die vielen muslimischen Gemeinden, Vereine und Dachverbände ihrerseits Probleme, geschlossen aufzutreten. Das erschwert auch die Anbindung an das "Wir" einer Stadt.

Die drei Männer in der DITIB-Gemeinde in Feuerbach haben für das Durcheinander eine einfach Antwort gefunden. Während Moscheechef Çakir in einer Ecke des Büros eine wichtige Mail "in die Türkei" verschickt, reibt sich Herr Gül aufgeregt beide Knie, neben ihm die Listen mit den Hilfsaktionen für Flüchtlinge. "Uns fehlt der Wohlfahrtsstatus", sagt er. Alle Aktivitäten würden ausschließlich von freiwilligen Helfern getragen. "Wir haben nicht die menschlichen und finanziellen Ressourcen, die Caritas, Arbeiterwohlfahrt und andere Träger haben", ergänzt Ipek. Auch das ist ein Teil der Wahrheit.

Der Brandanschlag auf die DITIB-Zentrale in Feuerbach macht die Sache nicht einfacher. Doch bei der Stadt Stuttgart gibt man sich offen: "Gerne kann uns DITIB auch Infos zukommen lassen, die wir dann auf der entsprechenden Website einpflegen", sagt Pressesprecher Matis. 

Am Ende sind Ömer Gül und die Helfer der DITIB-Gemeinde in Feuerbach ihre Kleider, Schuhe, Bücher und Kinderwagen dann doch noch losgeworden. In der Erstaufnahmestelle in Meßstetten hatte man keine Angst vor der muslimischen Spende.


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