Ilma Lundström holt tief Luft, bevor sie weiterredet. Dann erzählt sie ihr unheimlichstes Wohnerlebnis. "Ich bin mitten in der Nacht aufgewacht, da stand mein 50-jähriger Zimmernachbar neben meiner Couch und fuhr mir schweigend durchs Haar." Kurz lächelt sie gequält, dann schnaubt sie und schüttelt den Kopf. Die 23-jährige Schwedin hat ein Zimmer in Obertürkheim über Airbnb gebucht, einem Online-Marktplatz, über den weltweit Unterkünfte vermittelt werden. Ilma ist ein halbes Jahr in Deutschland, sie hat gerade ihren Bachelor geschafft und macht jetzt ein Praktikum in Stuttgart. Hier eine bezahlbare Wohnung zu finden ist ohnehin eine Herkulesaufgabe – aus dem Ausland erst recht. Es gab kaum Angebote, die sie sich leisten konnte. Das Praktikum rückte näher, die Zeit wurde knapp. Da hat die junge Frau auf Airbnb zugeschlagen. Die Anzeige hatte schlechte Bewertungen, sie hatte sich auf einiges eingestellt. "Aber das hier", sagt sie, "übertrifft alles, was ich mir hätte ausmalen können."
Airbnb wirbt mit über 1,5 Millionen Angeboten in 34 000 Städten, verteilt auf 190 Länder. Nach eigenen Angaben haben seit Gründung 2008 schon über 60 Millionen Gäste das Portal genutzt. Viele Kunden haben offenbar großartige Erfahrungen gemacht, sie singen regelrechte Lobeshymnen auf den Online-Dienst. Andere hatten weniger Glück. Was Ilma erzählt, erinnert eher an Kafka. "Ich würde hier sofort ausziehen, aber wo soll ich hin? Ein Hotel kann ich mir unmöglich leisten, und ein bezahlbares WG-Zimmer finde ich nicht." Wäre es nicht so grotesk, würde die Schwedin lachen.
Versprechungen und Wirklichkeit
In der Anzeige wurde Ilma ein "Privatzimmer" mit "richtigem Bett" versprochen. Beides ist glatt gelogen. Das Zimmer, in dem sie nun wohnt, ist nicht das Zimmer, das im Internet präsentiert wird. Ein Bett gibt es hier nicht, nur eine ungemütliche Couch. Im gesamten Haus lässt sich keine einzige Tür abschließen, sogar die Haustür bleibt immer offen. Gäste bekommen keinen Schlüssel, jeder kann kommen und gehen, wie es ihm beliebt. Insgesamt gibt es in dem Haus sechs Zimmer, verteilt auf zwei Stockwerke. Fünf davon sind vermietet, im sechsten wohnt die Vermieterin mit ihren drei Töchtern. Ilma hat keine Privatsphäre: Sie muss in einem Durchgangszimmer schlafen. Es führt zu einem anderen Zimmer, das ebenfalls vermietet wird. Dieses wiederum lässt sich ausschließlich durch das Durchgangszimmer betreten.
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zara
am 17.11.2015