Die Titelgeschichte des "Spiegel" stieg denn auch lieber mit einem Bericht von einer Demonstration im sächsischen Heidenau ein, Weissach dagegen kam im ganzen Text gar nicht mehr vor. Vielleicht weil der sichtbare Mob hier fehlte, vielleicht weil stattdessen einen Tag nach dem Anschlag 500 Menschen gegen rechts auf die Straße gingen, vielleicht auch wegen der Reaktion Schölzels auf die Tat: Schon kurz nach dem Anschlag kündigte er an, die Flüchtlingsunterkunft an gleicher Stelle wieder aufzubauen.
"Man muss als Gemeinde mit einem deutlichen Signal darauf reagieren, nach dem Motto: Wir lassen uns da nicht in die Knie zwingen, wir grenzen uns von jeglicher Fremdenfeindlichkeit ab", betont Schölzel. Und es reiche dabei auch nicht, darauf zu verweisen, was man alles in der Vergangenheit schon für die Integration von Flüchtlingen getan habe. "Man kann sich ja nicht nur beklagen, dass man, wie jetzt durch den 'Spiegel'-Titel, in eine gewisse Ecke gestellt, als 'Dunkeldeutschland' bezeichnet wird. Sondern muss auch durch sein eigenes Tun belegen: Ich gehöre da nicht hin", so der Bürgermeister.
"Und welches kraftvollere Zeichen kann eine Gemeinde setzen, als zu sagen: Genau an dem Ort bauen wir das wieder auf! Wir bauen das immer wieder auf, weil wir einfach zeigen wollen, dass so eine Tat völlig inakzeptabel ist." Von dem Brand erfahren hatte Schölzel, als er gerade mit seiner Familie im Urlaub auf Sylt war, "da ist man natürlich erst mal erschüttert". Er nahm noch am gleichen Tag den nächstmöglichen Flieger zurück, "eineinhalb Stunden Flug kamen mir noch nie so lange vor, du sitzt da wirklich auf Kohlen". Dass er in dieser Situation so schnell wie möglich in seiner Gemeinde sein muss, sei für ihn aber keine Frage gewesen, da sei er pflichtbewusst. "Dazu bin ich zu sehr Bürgermeister und mit meinem Beruf und dem Ort zu sehr verbunden."
Eine Gemeinde zwischen hellem und dunklem Deutschland
Den Entschluss, den Wiederaufbau anzukündigen, hat Schölzel alleine gefasst, ohne sich davor mit dem Gemeinderat abzustimmen. "Ich stehe zu 100 Prozent hinter dieser Äußerung, weil sie einfach meiner Grundüberzeugung entspricht", sagt Schölzel, "und ich werbe und kämpfe auch für diese Position." Er wünsche sich schließlich auch von anderen Politiker, dass sie sagen, wofür sie stehen. Dafür sei man dann zwar angreifbar, "aber in so einer Situation kannst du nicht erst hierhin und dorthin schielen, sondern du musst dich einfach klar positionieren. Zumindest habe ich diesen Anspruch an mich." Am 17. September hat der Gemeinderat einstimmig den Wiederaufbau beschlossen. Bedenken, die Mehrheit der Räte könnte ihm nicht folgen, hatte Schölzel schon davor nicht. Er habe voll auf seinen Gemeinderat vertraut, "weil ich denke, es sind sich alle ihre besonderen Verantwortung bewusst und der Wirkung ihrer Entscheidung."
Aus der Bürgerschaft hat Schölzel für seine Position bislang viel Zustimmung erfahren. Manche hätten nach dem Anschlag ihre Privatwohnungen zur Verfügung stellen wollen, andere, auch von außerhalb der Gemeinde, hätten Spenden für den Wiederaufbau angeboten. "Tolle Reaktionen" nennt das Schölzel, aber natürlich gebe es nicht nur Fürsprecher in der Gemeinde, das sei ebenso klar.
Ist Weissach also, im "Spiegel"-Sinne, ein Beispiel fürs helle Deutschland? Dass helle und dunkle Regionen zumindest sehr nahe beieinander liegen und sich auch überlagern können, wird deutlich, wenn man an die Entwicklung der rechten Gewalt im Rems-Murr-Kreis in den letzten 15 Jahren denkt. Spätestens seit 2000 gilt der Kreis, vor allem der Raum Backnang und der Schwäbische Wald, als Hochburg von Neonazis und der rechten Szene in Baden-Württemberg. Und auch als Beleg dafür, dass Rechtsextremismus keineswegs nur in wirtschaftlich schwachen Regionen floriert, sondern auch dann, wenn er in den Millieus der Mehrheitskultur stillschweigend geduldet wird, wie 2008 eine Regionalstudie zeigte.
Was die Wahlergebnisse angeht, wird es zwar tendenziell dunkler, je weiter man in den Schwäbischen Wald hineinkommt; die meisten Stimmen bekommen rechte Parteien fast schon traditionell in der Gemeinde Großerlach, wo die NPD bei der Bundestagswahl 2013 auf 4,1 Prozent der Zweitstimmen kam, im Gegensatz zu 1,4 Prozent in Weissach (bundesweit: 1,3 Prozent). Doch aktiv werden die Nazis auch jenseits der Hotspots. Und eben auch in Weissach.
Schon 2005 brannte das Flüchtlingsheim
So wurde auf das jetzt abgebrannte Weissacher Flüchtlingsheim schon 2005 ein Brandanschlag verübt, 2003 gab es in der Gemeinde gleich mehrere Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Als Täter konnten damals jeweils junge Neonazis dingfest gemacht und verurteilt werden. Seit Beginn seiner Amtszeit im Jahr 2007 kann sich Schölzel an keine entsprechenden Gewalttaten erinnern. Ein 2011 verfasster Drohbrief gegen eine Weissacher Bürgerin, die einen Leserbrief gegen rechts geschrieben hatte, stellte das Extremste dar. Bis jetzt.
Hat sich die Gewalttat angekündigt? Dass der Umgang mit den immer zahlreicheren Flüchtlingen auch in Weissach nicht nur Fürsprecher findet, musste Schölzel am 10. August feststellen, als er die Bürger zu einer Informationsveranstaltungen über eine vom Landkreis in Weissach geplante Sammelunterkunft eingeladen hatte. 160 Flüchtlinge sollten nach Vorstellungen des Kreises in einem ehemaligen Druckereigebäude untergebracht werden, ein Plan, gegen den sich auch schon eine Bürgerinitiative gegründet hat. "Hoch emotional" sei die Stimmung bei der Veranstaltung gewesen, noch heute beschäftigt Schölzel die Aggression, die ihm teilweise entgegengeschlagen sei.
"Da schießen einem schon viele Gedanken durch den Kopf", so der Bürgermeister. "Man sagt sich: Gut, wir hatten ja wirklich bis dahin sehr gute Integrationsarbeit geleistet. Und dann kommt der Landkreis und sagt, die Not ist so groß, wir bringen bei euch eine Sammelunterkunft unter.
4 Kommentare verfügbar
Jona Gold
am 26.09.2015Hut ab. Daran sollten sich eine Menge Politiker ein Beispiel nehmen!
@sastre:
Wenn ein Mensch in einem Land "aufgenommen" wird, dann wird er Bürger dieses Landes. Punkt. Zumindest ein Einwohner. Wenn ich jemanden ernsthaft aufnehme,…