KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Egal

Egal
|

Datum:

Egal, was passiert: Vielen ist das so was von egal, dass es schon nicht mehr egal ist. Was sind schon Hungerkatastrophen oder plärrende Kinder, Korruption oder Kriege gegen den Auftakt, den Trachtenfestzug zum Oktoberfest mit echten Gäulen, mit Pauken und Trompeten? Bombenterror oder Halsabschneider auf den internationalen Bühnen gehören doch heute ebenso zur Tagesordnung wie die 17 Milliarden Dollar, die möglicherweise dieser Herr Winterkorn zahlen muss, weil Volkswagen am Auspuff der USA geschummelt hat. Wetten, das geht dem am Arsch ab? Abgaswerte manipuliert? Egal. Die Steuerzahler beschissen? Egal. Dienstwagen, Dienstflüge, Dienstwaffen? Egal. Dann gibt's eben einen neuen Auftrag vom Dienstherren. Der gestern noch seine Doktortitel ergaunerte, fliegt vorne raus und kommt hinten wieder rein.

Kohls Millionen unbekannter Herkunft haben die meisten Menschen nicht interessiert, es war ihnen egal. Weil sie ahnten, woher das Geld kam und immer noch kommt? Es war ihnen egal, weil sie häufig nicht mehr an ihre mehr als bescheidenen Interventionsmöglichkeiten glauben. Wer schreibt denn noch Leserinnenbriefe? Wer hängt sich denn noch einen politischen Button an die Jacke? Wenn mancherorts 70 Prozent der Wähler nicht zur Wahl gehen, heißt das doch: Das Staatswesen, die Kommune, die Demokratie – das geht ihnen so was von am Arsch vorbei, dass es nicht mehr schön ist.

Könnte es sein, dass hier ein Potenzial für andere Zeiten steckt, in denen andere Saiten aufgezogen werden? Wo die Mehrheiten Tacheles reden und das Durchgreifen fordern oder schon mal selbst durchgreifen, also Hand anlegen – weil's ihnen nicht mehr egal ist? Den Wertheimern sind die Flüchtlinge nicht egal: Die Unterkunft wurde abgefackelt, dort gibt's jetzt eine flüchtlingsfreie Zone. Viele freuen sich: Da schau, es klappt doch! Klar, die üblichen Verdächtigen (das sind die, bei denen man zu wenig zuhört und zu viel abhört) versammeln sich wie bei jedem Brandanschlag, bei jeder Ungerechtigkeit. Aber die meisten Wertheimer (und nicht nur sie) haben andere Werte im Kopf – es ist ihnen egal.

"I can't be arsed" – es geht mir am Arsch vorbei – so was hätt meine Omi Glimbzsch aus Zittau nie gesagt, allenfalls auf Russisch. Immer vornehm, Robert! Das war ihre Devise in der sowjetischen Besatzungszone, auch wenn ihr dort manches am Arsch vorbeiging. Sie hat weder den Telefonhörer hingeschmissen – sie hatte ja keinen – noch Türen geknallt, sondern offen gehalten, damit man im Gespräch bleibt. Wenn's brennt, gibt's keine Kür, sondern nur Pflichten.

 

Peter Grohmann ist Kabarettist und Initiator des Bürgerprojekts Die Anstifter.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:



Ausgabe 681 / Sechs Jahre Leerstand / Uwe Bachmann / vor 19 Stunden 16 Minuten
Da hilft nur Enteignung



Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!