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Katastrophentag

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Die Wohnungen im Nordbahnhofviertel haben zum zweiten Mal in drei Jahren den Besitzer gewechselt. Wie das ist, wenn einem das Zuhause immer wieder unterm Hintern wegverkauft wird? Die Mieterin Brigitte Schulz weiß es.

"Ich erinnere mich noch genau an den 14. Februar 2012: Da kam raus, dass meine Wohnung an die Patrizia verkauft werden sollte. Am gleichen Tag wurde im Zuge von S 21 der Park geschreddert. Ein richtiger Katastrophentag." Brigitte Schulz ist Sozialarbeiterin, 59 Jahre alt und lebt seit fünf Jahren in einer kleinen hübschen Wohnung in der Kleinstraße im Nordbahnhofviertel. "Früher konnte man hier sehr günstig wohnen. Die Gegend wurde gerne mal sozialer Brennpunkt genannt", erzählt sie. Durch den neuem Tiefbahnhof rückt das Viertel näher an das Zentrum der Stadt, und aus einem ehemaligen Randbezirk wird ein attraktives Viertel. "Ein Filetstückchen", sagt Brigitte Schulz. "Und die Patrizia hat es weggefressen."

Frau Schulz, wie sind Sie denn an diese schöne Wohnung gekommen?

Ich bin im Juli 2010 eingezogen. Zuvor habe ich sehr einfach gewohnt, und diese Wohnung habe ich über Immobilienscout gefunden. Da findet man die Südewo-Wohnungen auch heute noch. Als ich die Wohnung besichtigt habe, war das hier quasi noch Rohbau, weil die LBBW alles komplett renoviert hat.

Zwei Jahre später wurde Ihre Wohnung dann an das Immobilienunternehmen Patrizia verkauft. Wie fühlt man sich, wenn das eigene Zuhause plötzlich einer Gesellschaft gehört, von der man wahrlich nicht nur Gutes hört?

Verraten und verkauft in Stuttgart. So habe ich mich da gefühlt. Und die Hoffnung ist relativ gering, dass die Politiker irgendetwas tun, außer Sprechblasen zu produzieren. Wir hatten alle gedacht, dass die LBBW die Wohnungen an das Stuttgarter Konsortium mit Beteiligung der Stadt verkaufen würde. Deren Angebot hat die Patrizia ja nur knapp überboten – und damit den Zuschlag erhalten. Aber ich habe nie verstanden warum, es wäre so wichtig für die Stadt gewesen, diese Wohnungen zu haben. Alles was danach kam, Stichwort Erhaltungssatzung, ist nur noch Schadensbegrenzung.

Was hat sich denn durch den Eigentümerwechsel geändert?

Ich habe mich gefragt, ob ich nicht selbst Teil der Gentrifizierung bin: Denn weil meine Wohnung komplett renoviert war, war meine Miete, als ich einzog, schon vergleichsweise hoch. Deswegen waren die Erhöhungen in den fünf Jahren, die ich hier jetzt wohne, eher moderat. Bei anderen Mietern, die noch günstigere Mietverträge hatten, sind die Erhöhungen natürlich drastischer.

Wie viel bezahlen Sie denn? 

Bei meinem Einzug habe ich für 52 Quadratmeter 450 Euro Kaltmiete gezahlt und eine monatliche Pauschale von 41 Euro für Schönheitsreparaturen. Aktuell zahle ich 489 Euro, einer Mieterhöhung auf 521 Euro habe ich nicht zugestimmt, weil sie formal unwirksam ist. Aber was für Mieten da auf uns zukommen, sieht man an den Neuvermietungen: Ab August wird hier eine Dachgeschosswohnung vermietet, und zwar unrenoviert. Die ist mit meiner vergleichbar, kostet aber 640 Euro kalt. Das sind über elf Euro pro Quadratmeter.

Immerhin: Bis 2032 besteht Kündigungsschutz. Der wurde beim Verkauf an die Patrizia festgelegt.

Der besteht doch nur auf dem Papier! Was nützt uns der Kündigungsschutz, wenn wir die Miete nicht mehr zahlen können?

Jetzt haben Sie mit der Deutschen Annignton schon wieder einen neuen Vermieter. Was kommt jetzt auf Sie zu?

Wenn sich zwei Miethaie streiten, sollte mir das ja eigentlich am Hintern vorbeigehen, um das mal deutlich zu sagen. Aber die Deutsche Annington wird die Preise diktieren können. Mit ihren vielen Wohnungen haben sie eine starke Marktstellung im von Wohnungsnot geplagten Stuttgart. Neulich war hier eine Wohnungsbesichtigung, da waren mindestens 20 Interessenten auf einmal da.

Die Deutsche Annington ist dann Ihr dritter Vermieter in drei Jahren. Ohne einmal umzuziehen. Wie fühlt sich das an?

Naja, mein Mietvertrag läuft ja weiter, das ist nicht das Problem. Auch personell wird sich wahrscheinlich wenig ändern. Ich denke, die Beschäftigten der Südewo werden gleich an die Deutsche Annington mit verkauft. 

Haben Sie denn Angst, dass die Deutsche Annington die Mieten noch weiter erhöhen wird, damit sich der Kauf für sie lohnt?

Damit es sich lohnt, müssten sie die Mieten überhaupt nicht erhöhen. Ich würde sagen, die haben hier gut und günstig eingekauft. Trotzdem werden sie das aber bestimmt tun. Im letzten halben Jahr haben wir eine Befragung von 500 Mietern zu Mieterhöhungen gestartet. Etwa 30 Leute haben uns geantwortet. Das ist eine ganze Menge, die Fragen waren ziemlich detailliert. Da musste man sich die Mühe machen, in seinen Unterlagen die Mietentwicklungen der vergangenen Jahre rauszusuchen. Besonders berührt haben mich die emotionalen Rückmeldungen, die wir erhalten haben: Ein Mieter hat von der andauernden Lärm- und Schmutzbelastung durch die Riesenbaustelle am Milaneo berichtet. Und trotzdem soll seine Miete wegen der "guten Lage" erhöht werden. Eine andere hat die Entwicklung ihrer Rente der Entwicklung der Miete gegenübergestellt. Vor allem durch Mieter, die schon lange hier wohnen, ist klar geworden: Es gibt zwar eigentlich einen weitreichenden Mieterschutz. Aber der wurde bei jedem Eigentümerwechsel weiter aufgeweicht.


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9 Kommentare verfügbar

  • Klaus M.
    am 30.06.2015
    Antworten
    P.S.: "Ich lebe in dieser Stadt und brauche dafür nicht das "Kontextle"."

    Och wie süß, eine Namensverballlhornung. In der Grundschule wird man dafür ausgelacht. Und wie Sie Kontext brauchen, schließlich können Sie sich hier nahezu ungehindert austoben und kräftig austeilend als moralische Instanz…
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