Zugegeben: Ein Tag als Erzieherersatz in einem städtischen Hort hat etwas Guido-Wolf-Artiges. Der baden-württembergische CDU-Spitzenkandidat und Kretschmann-Herausforderer hatte unlängst den Kellner in einem Stuttgarter Lokal gegeben. Zwei Stunden mit dem Tablett jonglieren und hinterher die SPD-Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles wegen des Mindestlohns und der damit verbundenen Bürokratie anmachen. So sieht offenbar Street-Credibility für einen Ex-Landrat aus Tuttlingen aus. Meine Glaubwürdigkeit als Ein-Tages-Hort-Mann reicht indes auch nicht viel weiter.
Am Anfang des Streiks steht eine Liste. Vom Elternbeirat ins Netz gestellt. Für Freiwillige für den Hort in Stuttgart-Degerloch. Die Liste füllt sich. Jeden Tag müssen sich mindestens zwei Erwachsene finden, um die Kinder während des Streiks zu betreuen. Die Liste lebt. Mal wollen mehr, mal weniger in die Einrichtung. Vergangene Woche waren für den folgenden Montag erst sieben Kinder eingetragen. Das erscheint machbar, doch übers Wochenende ereignet sich eine Art Anmeldeboom. Zwölf Kinder haben offenbar keine Omi fürs verlängerte Wochenende finden können. Doch Rettung naht mit Mutter Petra. Die ist im richtigen Leben Vermögensberaterin und mein Betreuungs-Buddy. Und Bankerin Petra geht die Sache mit einem kulinarischen Investmentplan an. Am Sonntag hat sie Kartoffelsuppe gekocht – und die Saitenwürstchen am Montagmorgen beim Metzger eingekauft. Die Kosten für Essen und Getränke ersetzt die Stadt. Man hätte also auch Pizza bestellen können. Das wäre mein Plan gewesen. Um elf Uhr steht die Suppe auf der Herdplatte. Gegen eine Unterschrift bekommen die Eltern den Hort inklusive voll ausgestatteter Küche überlassen.
Suppe mit Würstchen ist okay
Gegen 11.30 Uhr trudeln die ersten beiden Zweitklässlerinnen ein. Leicht ungläubig bestaunen die Mädchen mich männliche Aushilfskraft. Der letzte Mann in diesem Hort war bis vor einem Jahr der langjährige Leiter Robert Böhm, der als Pädagogenlegende im Großraum Stuttgart gilt. Auf große Vorstellungsrituale legen die beiden Mädchen ohnehin keinen gesteigerten Wert. "Was gibt's zu essen?", lautet die routinierte Einstiegsfrage. Suppe mit Würstchen finden sie "okay". Na dann. Petra scheint den Geschmack zu treffen. Selbst als nach zwei Stunden Geköchel die Suppe bereits indische Schärfegrade erreicht hat. Die beiden Nachzügler Elias und Michalis finden das Essen immer noch lecker. Hinterher erzählen einige Kinder im Vertrauen, dass sonst das Essen im Hort "oft eklig" und eigentlich gar nicht richtig gekocht, sondern nur aufgewärmt sei.
Tatsächlich kommt das Essen aus einer Großküche eines Großkrankenhauses und wird über die gesamte Stadt an Kitas, Horte, Alten- und Pflegeheime verteilt. Während die einen noch essen, machen sich die anderen am Nebentisch bereits an die Hausaufgaben. Den eigentlichen "Hausi-Raum" im ersten Stock können wir mangels Personal nicht nutzen. Was am meisten erstaunt: Die Kinder machen ihre Hausis sofort, freiwillig und unaufgefordert. Allerdings erwarten sie, wenn es beim Verstehen stockt, Hilfe. Jetzt. Kleines Einmaleins – machbar. Mehrzahl von Haus. "Heuser?" Bitte noch einmal nachdenken. Englisch, fünfte Klasse. Fragesätze mit "to do" bilden. Die erste Enttäuschung. Die beiden Junggymnasiasten fragen nicht mich, sondern einen Viertklässler. Der ist aus Irland und als Native Speaker offensichtlich vertrauenswürdiger.
3 Kommentare verfügbar
Kornelia
am 24.05.2015Haben nicht gerade die Stadträte ihr Gehalt im Federstreich um knapp 400 Euro erhöht? Von den neben-Einnahmen und VorteilsBoni ganz zu schweigen!
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