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Wenn Cacau bei den Kommunisten tanzt

Wenn Cacau bei den Kommunisten tanzt
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Immerhin einer regt sich über Che Guevara auf: der frühere Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Michael Rogowski hat ihn direkt vor seiner Villa in Heidenheim hängen. Eigenhändig hat er ihn entfernt. Jetzt liegt er im Streit mit der MLPD, der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschland, die eigentlich ganz locker daher kommt. In ihrem Hauptquartier in Stuttgart-Untertürkeim verkehren der Fußballer Cacau, der CDU-Bezirksvorsteher und die Mao-Bibel ist auch nicht Pflicht.

Jeden Tag "gaffe" ihn Che Guevara oder eine Knarre an, giftet Rogowski und schreitet zur Tat. Runter mit den Plakaten. Das hat der MLPD natürlich nicht gefallen und die Polizei gerufen. Die wiederum ermittelt nun, weil, wie sie sagt, der "Verdacht des Diebstahls" im Raum stehe. Für Rogowski, der viele Jahre den Maschinenkonzern Voith geleitet hat, ein Unding. Schließlich sträubten sich, wie die "Stuttgarter Nachrichten" berichten, ihm alle Haare, "wenn Stalin und Mao verherrlicht werden" sowie zu einer Revolution aufgerufen werde, die die "Herrschaft des Kapitals unterbinden" solle.

Bei der MLPD hängt der Umsturz auch vor dem Haus. Che Guevara. Hoch die internationale Solidarität. Drinnen geht sie weiter, die Revolution. Im ochsenblutfarbenen Arbeiterbildungszentrum, kurz ABZ, in Untertürkheim, wo der Stuttgarter Ableger zu Hause ist: die MLPD. Nun sieht Volker Kraft nicht aus wie Che, mit seinen ordentlich gescheitelten schwarzen Haaren, und der Ficus benjamina in seinem Besprechungsraum ist auch eher kleinbürgerlich. Aber der 60-Jährige sagt, dass die Revolution noch zu seinen Lebzeiten komme. Davon sei er "tief überzeugt". Das klingt aufregend.

Kraft ist so etwas wie der schwäbische Kopf der Kleinstpartei. Kein Chef, kein offizieller Sprecher, aber seit 1982 dabei. Das ist ihm wichtig zu sagen, wegen des "staatlichen Repressionsapparats", der ihm ständig auf den Fersen ist. Es reicht ja schon, dass ihn die IG Metall 2002 ausgeschlossen hat, wie damals die Plakat-Gruppe um Willi Hoss (1972), auf dessen Beerdigung er selbstverständlich war. Kommunisten wie ihn mochte die Gewerkschaft nicht in ihren Reihen haben, schon gar nicht solche von der MLPD, die heute noch die Diktatur des Proletariats in ihrem Programm stehen haben. Kraft ist Betriebsrat beim Daimler.

Mit der IG Metall unter der Lawine – bis die DKP kam

Vor 30 Jahren war das alles anders. Da hatte er einen Freund, der hieß Helmut Lense, und der war auch Betriebsrat und bei der MLPD. Mit ihm ist er in Urlaub gefahren, zum Skifahren in die italienischen Alpen, genauer nach Livigno, wo sie unter eine Lawine zu liegen kamen, aus der Volker den Helmut gerettet hat. Aber kurz danach, erzählt Kraft, habe der Helmut den "Arbeiterzug" nach Moskau bestiegen, um die Errungenschaften des real existierenden Sozialismus in der Sowjetunion zu besichtigen. Finanziert von der DKP und erfolgreich absolviert. Von da an sei Lense ein Revisionist gewesen, in der Sprache der (damals) maoistischen MLPD ein "Arbeiterverräter".

Lense wurde Betriebsratschef und sorgte dafür, dass sein alter Kumpel aus der IG Metall geschmissen wurde, weil der für ihn ein "Spinner" war und dessen Partei eine "Sekte". Der Helmut habe sich eben fürs Kapital und für die Karriere entschieden, sagt Kraft und lächelt ein wenig, wenn er sich überlegt, dass Lense heute Direktor beim Internationalen Metallgewerkschaftsbund (IMB) ist. Mit Sitz in Genf. Er werde eher vom Daimler-Werkschutz übers Untertürkheimer Gelände gejagt. Den IMB-Präsidenten kennt er auch. Das ist Berthold Huber, der frühere IG-Metall-Chef, der auch eine linksradikale Vergangenheit hat. Im Kommunistischen Arbeiterbund Deutschland (KABD), der 1982 in der MLPD aufgegangen ist.

Nun ist die MLPD kein Verein von Lawinenrettern. Zumindest die führenden Figuren der "Mega-Monopole", etwa 500 rechnet Kraft, würden sich in Umerziehungslagern wiederfinden, wenn sich der "echte Sozialismus", sprich der Kommunismus durchsetzen würde. Da ist Kraft unversöhnlich. Der Verfassungsschutz findet diesen Plan nicht so charmant wie möglicherweise andere, beobachtet die von ihm auf 2300 Mitglieder geschätzte Truppe deshalb streng und stuft sie als "linksextremistisch" ein. Ex-Schlapphüte bezeichnen sie als "stalinistische Sekte" mit "enorm repressiven Strukturen", die darauf abzielten, die Mitglieder "völlig unter Kontrolle" zu bekommen.

Der Vorsitzende ist der wohl dienstälteste ZK-Chef aller Zeiten

Das klingt sehr bedrohlich, Scientology-mäßig, und wird auch nicht besser, wenn man weiß, dass der Parteivorsitzende Stefan Engel (Bochum) der wohl dienstälteste ZK-Chef aller Zeiten ist. Er führt die MLPD an, seit es die Partei gibt. Also seit 1982. Seine Gattin Monika Gärtner-Engel ist seine Stellvertreterin und Leaderin der Frauenorganisation Courage, die einen weiblichen Mitgliederanteil von 43 Prozent auf Linie hält. Vom Spott, die MLPD sei eine deutsche Kim Il-sung-Dynastie, hat der schwäbische Außenposten Kraft auch schon gehört. Aber er weist ihn energisch zurück. Auch der Genosse Engel habe sich dem Prinzip von Kritik und Selbstkritik zu unterwerfen.

Im ABZ, also im Arbeiterbildungszentrum, hängt kein Engel an der Wand. Womöglich hätte das auch Gäste wie Walter Sittler und Wolfgang Schorlau gestört, insbesondere Letzteren, der eine gestörte Beziehung zu allem hat, was eine kommunistische Kader-Vergangenheit hat. Nachzulesen in seinem Buch "Die Rebellen". Aber warum nicht in das schmucke Domizil kommen, das die MLPD anno 1999 für 1,5 Millionen Mark gekauft und heute so sauber renoviert hat, dass sogar Daimler-Monteure gerne für 18 Euro in den Gästebetten übernachten? Auch der CDU-Bezirksvorsteher von Untertürkheim schaut immer mal wieder vorbei, wenn er seine Sammlung von Marx- und Lenin-Plakaten komplettieren will. Und erst vor Kurzem war eine brasilianische Hochzeit im Haus. Wer war der Ehrengast? Cacau vom VfB Stuttgart. Die Nachtschläfer, beruhigt Kraft, müssten keine Sorge haben, eine Mao-Bibel im Nachtkästchen vorzufinden.

Kulturell-pädagogisch steht alles zum Besten. Dafür sorgt Caroline Herre, die Mutter von Rapper Max. Die 66-Jährige ist Dozentin an der Uni Stuttgart und für das ABZ-Bildungsprogramm zuständig. Auch sie verlangt nach "revolutionären Antworten" und hat auch schon für die MLPD zum Bundestag kandidiert. Was sie noch nicht geschafft hat, ist, ihren Max zu einem Konzert ins ABZ zu locken, wie sich das Kraft wünscht. Aber immerhin war der berühmte Sohn schon auf der Bühne der S-21-Gegner, zu denen seine Mutter auch zählt.

Die Kinder gehen zu den Rotfüchsen, die Alten zum Skat ins ABZ

Die Sache mit der Kultur und der Pädagogik ist der Partei nämlich wichtig. Die Kinder gehen zu den Rotfüchsen, die Jugendlichen zu den Rebellen, die Erwachsenen zur Gewerkschaft und in die Betriebsräte, und die Senioren zu den Skatabenden im ABZ. Davon weiß Gabriele Conrad (53) zu berichten. Sie ist seit 1998 in der Partei, Sprecherin der Landesleitung und kandidiert jetzt fürs Europaparlament. Ihr Sohn ist im Jugendverband Rebell und spielt dort in der Heavy-Metall-Band Kommando Umsturz, die an Pfingsten ins thüringische Truckenthal reist, um dort am großen MLPD-Musikfestival teilzunehmen, das wiederum Konstantin Wecker unterstützt.

Gabriele Conrad ist eine freundliche Frau, Lieblingsblume Rose, die gerade von einem Einsatz aus Schwäbisch Gmünd kommt, wo sie vor der Firma ZF Lenkungssysteme Wahlmaterial verteilt hat. 80 Prozent der Werktätigen, die bei der MLPD immer noch Arbeiterklasse heißen, hätten ihre Sachen gerne genommen, erzählt sie. Keine antikommunistischen Ausfälle, kein Ausspucken. Im Hauptberuf prüft die gelernte Mechatronikerin Elektrogeräte an der Fachhochschule Esslingen. Früher, in Aachen, war sie mal bei den Grünen, bis sie den Eindruck hatte, dass deren Basisdemokratie "absoluter Schmu" war. Dann ist sie zur MLPD, weil die Zerstörung der Natur nicht durch Sprüche, sondern "nur durch eine Revolution" zu verhindern sei. Schon Stalin, assistiert Genosse Kraft, habe mit einem Forstministerium das Abholzen der russischen Wälder verhindern wollen – bis Chruschtschow kam. "Die Menschen werden aufstehen", fährt die "revolutionäre Gärtnerin" (Eigenbeschreibung) fort, Eurovision Song Contest, Conchita Wurst, hin oder her.

Warum werden sie das tun, fragen wir bei einer Tasse Tee, und sie antwortet mit ihrem Engel, dem Vorsitzenden. Genau das habe sie ihn in Friedrichshafen, als er aus seinem neuen Werk ("Katastrophen-Alarm") gelesen hat, auch gefragt. Und er habe gesagt: Genossin, erinnere dich an der Bergarbeiterstreik 1912 im Ruhrgebiet. Damals waren 150 000 auf der Straße.

In Stuttgart waren's immerhin 100 000. Bei den Protesten gegen Stuttgart 21 und deshalb ist die MLPD auch immer dabei. Gewiss, es sind jetzt weniger, aber unterm Pflaster liegt das neue Bewusstsein. Die Sinne sind geschärft, der Verstand ist hellwach, der Zorn groß, und wenn die Tunnel des Monopolkapitals einstürzen, ist das Volk auf den Barrikaden. Dann braucht es Anleitung.

Ob Maidemo, Ostermarsch oder S 21 – die MLPD ist immer da

Organisationsmäßig ist die Partei gerüstet. Durchhierarchisiert von oben nach unten, vom Zentralkomitee über die Landesleitungen bis zum Kreisverband, weiß jede(r ), was zu erledigen ist. Und alle, die sich mit der Logistik des Protests herumplagen, wissen, wie zuverlässig die letzten Kommunisten sind. Ob 1. Mai, Hartz-IV-Demos, Ostermärsche oder Stuttgart 21 – die MLPD ist da. Mit den größten Transparenten und bisweilen auch mit der größten Abordnung.

Daran erinnert sich auch Robert Tetzlaff. Der Buchhändler sitzt in seinem Antiquariat Buch & Plakat im Stuttgarter Bohnenviertel, hört SWR 1 und ist ganz vergnügt. In den frühen Achtzigern war er MLPD-Mitglied, hat die Partei als Familie erlebt, die sich durch ein klares, geschlossenes Weltbild ausgezeichnet habe. Hier die MLPD und die Arbeiterklasse, gut, dort das Kapital, böse. Er habe damals "Effizienz und Disziplin" gelernt, erzählt der 64-Jährige, davon zehre er noch heute. Aber ziemlich bald erschien ihm die Geschichte mit der Diktatur des Proletariats und dem gewaltsamen Umsturz nicht mehr realistisch, und er ging. Ohne Arg auf beiden Seiten, nach zehn Jahren zur SPD. Die notwendige Leidensfähigkeit habe ihm gefehlt, sagt er, allerdings auch bei den Sozialdemokraten. Bei deren Infoständen in Degerloch hätten fünf Genossen fünf verschiedene Meinungen vertreten. Das war ihm dann doch zu viel. Heute ist Tetzlaff bei Peter Grohmanns Anstiftern, die Klassiker stehen im Regal, sein "Karl-Marx-Sekt" ist der Renner.

Volker Kraft liest auch Bücher, viele Bücher. Marx, Engels, Lenin, Stalin, Mao. Sie festigen den theoretischen Überbau. Aber die Theorie ist das eine, die Praxis das andere. Drei Mal hat er sich für den Bundestag beworben, jedes Mal so um die 0,2 Prozent der Stimmen gekriegt. Zugegeben, das ist kein verlässlicher Stimmungsbarometer für den Reifegrad der Arbeitermassen, zumal die MLPD, medial gesehen, nur beachtet wird, wenn ein Bergmann eine Million spendet. Dann schafft sie es sogar in die "Bild"-Zeitung.

Trotzdem: Wir fragen bei einer Flasche Wasser, ob er wirklich glaube, dass sich die Völker bald erheben? Ob sie nicht lieber Lanz guckten? Das sei keine Frage des Glaubens, erwidert Kraft. Das sei Überzeugung. Der Kapitalismus führe zwangsläufig in die Barbarei, der Globus sei bald nicht mehr bewohnbar, also, was bleibe anderes übrig als ein "echter Sozialismus"? Nur, schränkt er ein: "Die MLPD alleine reißt das nicht." Irgendwie klingt zumindest das beruhigend.

Daten zur MLPD:

Mitgliederzahlen nennt die Partei grundsätzlich nicht. Der Verfassungsschutz spricht von 2300. Schwerpunkt der Organisation ist Nordrhein-Westfalen, zweitstärkster Bezirk ist Baden-Württemberg und hier vor allem Stuttgart/Sindelfingen. Nach eigenen Angaben ist sie in 500 deutschen Städten vertreten. Auffällig ist die gute Finanzlage. Der Partei wird ein Haus- und Grundvermögen von 11,5 Millionen Euro zugerechnet. Immer wieder erhält sie Spenden, zum Teil in Millionenhöhe. Ihr wichtigstes publizistisches Organ ist die "Rote Fahne", die in einer Auflage von 7500 erscheint.


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18 Kommentare verfügbar

  • Wolfgang Baur
    am 19.05.2014
    Antworten
    Was reitet J.O. Freudenreich und Kontext?
    So manche Kontext-Reportage fand ich wirklich hilfreich, für den Widerstand gegen S21 und die immer deutlicher in Erscheinung tretenden Destruktivkräfte des Kapitalismus. Sie waren im Sinne der Vereinssatzung geschrieben: „nachfragen, analysieren,…
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