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Rechte und Rechtsstaat

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Der US-Präsident lebt seine Allmachtsfantasien aus, entsendet Nationalgarde und Marineeinheiten in die kalifornische Stadt Los Angeles. Die sollen sich um die Protestierenden kümmern, die Beamte der Migrationsbehörde ICE unter anderem mit Flaschen, Steinen und Eiern bewarfen, nachdem diese Dutzende Migrant:innen in Haft nahmen. Die Mobilisierung von Streitkräften im Inland steht rechtlich gesehen auf wackligen Beinen, hierzulande löst der autoritär agierende Präsident damit Empörung aus. Dabei kann die hiesige Bundesregierung das selbst auch: den Rechtsstaat missachten. Nachdem das Berliner Verwaltungsgericht die Zurückweisung von drei Somalier:innen im Eilverfahren für rechtswidrig befand, erklärte Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) das schlicht als "Einzelfallbeschluss" und verkündete, weiter an den Zurückweisungen – de facto nichts anderes als Pushbacks – festhalten zu wollen. Rückendeckung erhält er von Unionskollegen, darunter auch Kanzleramtschef Thorsten Frei, dem mächtigsten Baden-Württemberger in Berlin. Der studierte Jurist meinte im ARD-Morgenmagazin, das "Berliner Verwaltungsgericht kann nicht über die Rechtslage in ganz Deutschland entscheiden". CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann spricht gar von einer "Inszenierung durch Asyl-Aktivisten". Ernsthaft? Ein unabhängiges deutsches Gericht soll sich vor den Karren einer Aktivisti-Inszenierung spannen lassen? Ein absurder Vorwurf und gefährlich in einem demokratischen Staat, schreibt Kontext-Redakteur Minh Schredle.

Wenn das Ignorieren von Gerichtsurteilen Schule macht, während rechtsextreme Kräfte stärker werden, ist das eine massive Gefahr für die Demokratie. Im Südwesten steht nun die Landesliste der AfD für die Landtagswahl im März 2026. Auf die Liste geschafft haben es durchaus einige fragwürdige Personalia. Und während die rechtsextreme Partei Wahl um Wahl mehr Sitze in den Parlamenten gewinnt, trauen sich auch Neonazi-Gruppen immer mehr. Das zeigte sich bereits vergangenen Sommer, als rechtsextreme Jugendgruppen bundesweit erstmals in Erscheinung traten, in Baden-Württemberg beispielsweise die "Unitas Germanica" oder die "Nationalrevolutionäre Jugend", letztere ist die Jugendorganisation der Partei "III. Weg".

Der Anlass: CSD- und andere Pride-Veranstaltungen. Als der erste CSD vergangenes Jahr in der Kleinstadt Bad Mergentheim im Nordosten Baden-Württembergs gefeiert wurde, zeigten sich dort zwei Dutzend junge Menschen mit Deutschlandfahnen. Alles andere als erfreulich findet das die CSD-Mitorganisatorin Verena Reichenberger. Auch dieses Jahr mobilisieren rechtsextreme Gruppen gegen Pride-Veranstaltungen, "Der Störtrupp" kündigt sich für Pforzheim an. Kleiner Hoffnungsschimmer für Reichenberger: Der CSD in Bad Mergentheim findet wie der Pforzheimer diesen Samstag, 14. Juni statt – vielleicht reisen alle Rechten gen Westen und der historische Kurort bleibt verschont.

Doch noch sind Rechtsextreme und andere Menschenhasser in der Minderheit. Beispiel aus dem Südwesten: das Tübinger "Ract!"-Festival, das größte "Umsonst & Draußen" der Republik. Für Kontext war Elias Raatz vor Ort. 22.000 Besucher:innen feierten Künstler:innen wie den Leipziger Rapper "HeXer", die sich klar gegen den Rechtsruck aussprechen.

Gedenkstätten an die von (Neo-)Nazis Ermordeten zu errichten, die uns zum "Nie wieder" mahnen sollen, erweist sich derweil als schwierig oder lückenhaft: In Stetten erinnert ein Denkmal an Menschen mit Behinderungen, die wegen des Euthanasieprogramms im Dritten Reich ihr Leben lassen mussten. Doch 70 Namen fehlen – Frauen, die kurz vor ihrer Ermordung aus Kork bei Kehl am Rhein nach Stetten im Remstal verlegt wurden. Ein Esslinger Lehrer nimmt die Dinge selbst in die Hand und hat mit seinen Schüler:innen Stelen für sie errichtet. Silvana El Sayegh erzählt die Geschichte des kosovarischen Gastarbeiters Sadri Berisha, 1992 im Schlaf erschlagen von einer Gruppe Neonazis in Ostfildern. Künstler Klaus Illi widmete ihm eine Ausstellung und möchte einen Ort des Gedenkens schaffen. Das ist gar nicht so einfach.

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