Weil die Union beleidigt ist, dass zigtausend Menschen gegen deren Abstimmung mit der AfD demonstriert haben, fährt sie nun große Geschütze auf: Im Bundestag haben die beiden Unionsparteien am vergangenen Montag eine Kleine Anfrage gestellt, in der sie in insgesamt 551 (!) Punkten die staatliche Förderung von NGOs und gemeinnützigen Organisationen abfragen und inwiefern sie sich bei den Protesten politisch nicht neutral verhalten haben sollen. Ein Beispiel: "Gibt es Belege dafür, dass der Verein Omas gegen rechts Deutschland e.V. einseitige Narrative in politischen Debatten fördert, und wenn ja, welche?" Angegriffen werden außer den Omas unter anderem auch die Rechercheplattform "Correctiv", die Journalist:innenorganisation Netzwerk Recherche, Greenpeace, die Amadeu Antonio Stiftung.
Die Unionsfraktionen befinden in der Anfrage, die "Proteste gegen die CDU Deutschlands" seien eine "gezielte parteipolitische Einflussnahme unmittelbar vor der nächsten Bundestagswahl" gewesen und damit "nicht mehr vom Gemeinnützigkeitsrecht gedeckt". Letztlich wollen sie den Organisationen Geld entziehen. Mit Merz als künftigem Kanzler startet die Union mit aller Macht einen Angriff auf die Zivilgesellschaft und auf kritische Medien. Die AfD dürfte sich freuen.
Umso wichtiger, sich solchen Tendenzen entgegenzustellen. Zum Beispiel am kommenden Samstag, 1. März ab 13 Uhr auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Dort ruft das Netzwerk gegen rechts zur Kundgebung: "Jetzt erst recht: Auf die Straße – nach der Wahl!" auf. Auf der Demo-Bühne stehen werden unter anderem der Gewerkschafter Frank Bsirske, Sabine Foth von der Evangelischen Landeskirche, Mersedeh Ghazaei von der Migrantifa Stuttgart und der Kabarettist Jess Jochimsen.
Pikante Grundsatzfrage
Mit Blick auf mögliche Regierungskonstellationen dürfte es sich wohl tatsächlich als vereinfachend erweisen, dass das BSW und die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert sind – denn so (und nur so) ist eine, nun ja, "Große Koalition" von CDU und SPD mit hauchzarter Mehrheit möglich. Doch insgesamt sind es knapp sieben Millionen Stimmen, die in der repräsentativen Demokratie nicht repräsentiert sind, weil sie der Sperrklausel zum Opfer fallen.
Was schlecht ist für Kleine und Sonstige, kommt den im Bundestag vertretenen Parteien zugute. Sie erhalten so mehr Sitze im Parlament als es ihrem anteiligen Wahlergebnis entspricht. Die AfD – die im Übrigen von der hohen Wahlbeteiligung und der Stimmabgabe früherer Nicht-Wähler:innen profitiert hat – verfügt nicht über ein Drittel der Sitze, hat also eine alleinige Sperrminorität verpasst.
Pikant ist nun die Grundsatzfrage: Wenn eine Mehrheitsbeschaffung mit der AfD tabu ist, gilt das dann auch für eine Sperrminoritätsbeschaffung? Würde etwa die Linke, egal um was es geht, dieses Mittel niemals mit der AfD zusammen nutzen? Clara Bünger, rechtspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, antwortet dem juristischen Fachportal LTO ausweichend: "Die Linke trifft ihre Entscheidungen eigenverantwortlich auf Grundlage ihrer Wertvorstellungen und des klaren Wahlauftrags ihrer Wählerinnen und Wähler."
Um auf eine Zweidrittelmehrheit zu kommen, die es für Grundgesetzänderungen und etwaige Sondervermögen braucht, müsste es künftig eine Zusammenarbeit von CDU, SPD, Grünen und der Linken geben. Ob es lagerübergreifend gelingen wird, sich beim heiklen Thema Rüstungsausgaben einig zu werden? So wird nun spannend sein, ob die zweifellos bevorstehende staatliche Neuverschuldung ausschließlich in Militärausgaben fließt oder ob SPD, Grüne und Linke erreichen können, die Schuldenbremse auch bei der Infrastruktur wie Bahn, Schulen, Brücken, Krankenhäusern zu lockern – gegen den Widerstand der CDU. Sollte es nicht gelingen, für breite Bevölkerungsschichten Verbesserungen bei der Daseinsfürsorge umzusetzen, dürfte es bei der nächsten Wahl wohl kaum noch für eine "Große Koalition" reichen.
Utopisch oder alternativlos?
Während unklar ist, ob mehr Geld ins Soziale fließen wird, scheint niemand daran zu zweifeln, dass die Rüstungsausgaben massiv zunehmen werden. Doch wie sehr? Und wer soll's bezahlen? Der Friedensforscher Thomas Nielebock plädiert in dieser Ausgabe dafür, dass Europa sich angesichts einer Trumpschen USA seiner Stärke bewusst wird, sein Verhältnis zu Russland neu definiert und einen pragmatischen Pazifismus pflegt. Und auch, wenn diese Überlegungen utopisch klingen – was ist die Alternative?
9 Kommentare verfügbar
M. Schenk
vor 3 Wochensoweit ich das richtig sehe, werden die in dem Artikel genannten Gruppen überwiegend nicht direkt vom Bund o. Ländern finanziert.
In DE haben wir aber noch das Konstrukt der indirekten Subvention über die sog. 'Gemeinnützigkeit', das auf die besprochenen Gruppierungen…