Vielleicht wird es ja gar nicht so schlimm? In jenem bizarren Zeitfenster, in dem Donald Trump das mächtigste Staatsamt der Welt bekleiden durfte, erläuterte der US-Präsident seine Corona-Strategie: "Wenn es ein bisschen wärmer wird, wird das Virus wie durch ein Wunder verschwinden." Das war im Februar 2020, bevor das Virus wie durch ein Wunder weiter existierte bis in die Gegenwart. Nicht mit einem ganz so vulgären Aberglauben begründet, aber unter Ausblendung vorhersehbarer Entwicklungen, ist die Bundesrepublik nach fast zwei Jahren Pandemie in die nunmehr vierte und heftigste Welle getaumelt. Wie der Hanns Guck-in-die-Luft in den Fluss.
Dass sich auch Geimpfte infizieren und ansteckend sein können, ist seit geraumer Zeit klar. Trotzdem wurden gebührenfreie Tests weitgehend abgeschafft. Nun, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, gibt es sie wieder kostenlos. Die Inzidenz wurde als Richtwert durch die Intensivbettenbelegung ersetzt. Sobald diese ein kritisches Level überschritten hat, greifen die Einschränkungen der Alarmstufe – deren Scheitern ebenfalls absehbar ist, wenn man die laxen Kontrollen von Impfzertifikaten und Antikörpernachweisen in Bars, Restaurants und Clubs berücksichtigt. Am herausragendsten aber ist die deutsche Ignoranz gegenüber Infektionen am Arbeitsplatz: Während andere Länder längst 3G verlangen, wo Menschen beim Beruf aneinanderkleben, appelliert die BRD wieder einmal an die unternehmerische Eigenverantwortung. Ein Konzept, das zuverlässig in Katastrophen führt.
So viel billig muss man sich leisten können: Wie viele Tests zum Beispiel ließen sich durch eine einzige vermiedene Intensivbehandlung finanzieren, die nicht nur menschliches Leid und überlastete Pflegekräfte mit sich bringt, sondern obendrein mit bis zu 30.000 Euro Kosten zu Buche schlägt? Durch deplatzierten Geiz und die naive Hoffnung, dass sich düstere Prognosen aus der Wissenschaft vielleicht doch nicht bewahrheiten, brockt sich das Krisenmanagement der Republik gewaltige Folgekosten ein. Eine Diagnose, die sich ohne größeren Aufwand auf die viel zu zurückhaltenden Maßnahmen gegen die Erderhitzung übertragen lässt, in Deutschland wie auf dem Globus. Bei der jüngsten Weltklimakonferenz ist mal wieder nicht die notwendige Trendwende gelungen, um die Bewohnbarkeit des Planeten abzusichern und Teil dieses Desasters ist, dass das Scheitern kaum noch jemanden ernsthaft verwundern kann. "It's all just a little bit of history repeating", das wussten schon Shirley Bassey und die Propellerheads.
Eine sich wiederholende Geschichte sind auch Veranstaltungen, die schweren Herzens abgesagt werden müssen. Oder nur abgespeckt stattfinden können wie die "Youmecon" am vergangenen Wochenende in Berlin. Von Kontext haben sich Susanne Stiefel und Anna Hunger in den Zug gesetzt, Corona hin, Maske her. Geimpft und mit Test, das war sowieso gesetzt beim Kongress der Jung-JournalistInnen, der nicht mehr Jugendpresse heißt, und forsch "Bitte mehr Haltung!" forderte.
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Reinhard Muth
am 17.11.2021