KONTEXT:Wochenzeitung
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Apokalypse konstruktiv

Apokalypse konstruktiv
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Am vergangenen, teils doch tragischen Wahl-Sonntag war Kontext eingeladen zum Workshop auf dem Campfire Festival in Düsseldorf, veranstaltet vom Recherche-Kollektiv Correctiv. Thema: konstruktiver Journalismus. Ein wachsender Trend in der Branche, erfunden von Ulrik Haagerup aus Dänemark, der sich seit Jahren gegen die medial vermittelte, tägliche Apokalypse einsetzt. Die LeserInnen, sagt er und präsentiert Statistiken und Umfragen, seien längst nachrichtenmüde. Denn kein Hirn verkrafte den Dauer-Weltuntergang, ohne depressiv zu werden und im zweiten Schritt das Vertrauen in die MedienmacherInnen zu verlieren.

Dabei ist das Konzept des konstruktiven Journalismus nicht zu verwechseln damit, nur gute Nachrichten zu vermitteln. Es geht um gute Recherche, Kontextualisierung, um Erklärung. Weniger Skandal, weniger Aufregung, weniger Säue, die kopflos durchs Dorf rennen. Durchatmen hilft, zuhören, Lösungen aufzeigen, gegen die schnelle Nachricht, für mehr seriöse Information.

Da sind wir froh, dass sich Kontext aus genau diesen Gründen vor acht Jahren gegründet hat und wir sozusagen voll im Trend liegen. Und auch in dieser Ausgabe wieder ganz konstruktiv Vorschläge für die künftige Nutzung der alten Bahnbrücke zwischen Bad Cannstatt und Stuttgart-City aufzeigen. Die verliert ihre Funktion und könnte mit ein bisschen Fingerspitzengefühl und gutem (konstruktivem!) Willen eine grüne Brücke werden. Mit Bäumen, Blümchen und Gräsern, ganz wie in Paris oder New York. Das wäre nicht nur hübsch, sondern täte dank des Grünen auch etwas für die bekanntlich miese Luft in der Kesselstadt Stuttgart.

Punk-Theatermann Schorsch Kamerun schafft es sogar, dem riesen Krater, in dem der neue Tiefbahnhof entstehen soll, etwas Positives abzugewinnen: Mitte September wird er dort eine "Dystopie-Sinfonie" aufführen.

Oder der Beitrag von Gerd Rathgeb, der sich mit seiner NGO Poema seit Jahrzehnten in Amazonien für die Rechte der Indigenen einsetzt und für diese Ausgabe seine Sicht auf die brennenden Regenwälder zu Papier gebracht hat. Sein Text endet mit den Worten: "Ich glaube, dass die Feuer gelöscht werden können, wenn in möglichst vielen von uns das Feuer der Veränderung entfacht wird."

Auch Entwarnung kann konstruktiv sein: Immer wieder und gerne in der heißen Zeit des Jahres ploppt in verschiedenen Medien die Mär um die Hortensien-Diebe auf. Die, so heißt es, schleichen sich in die Vorgärten leidenschaftlicher HobbygärtnerInnen und entwenden liebevoll gehegte und gepflegte Blüten. Um sie zu rauchen. Kontext-Autor Minh Schredle hat mit vollem Körpereinsatz recherchiert, ob das denn auch so stimmt.

An ihr Ende kommt die konstruktive Berichterstattung in dieser Woche möglicherweise beim Thema Wahl in Sachsen und Brandenburg. Mögen neu ersonnene Koalitionen, so sie denn stattfinden, gerne eine Chance sein. Möge man auch froh sein, dass die AfD nicht noch bessere Ergebnisse eingefahren hat. Traurig bleiben 27,5 Prozent in Sachsen und 23,5 Prozent in Brandenburg aber dennoch.

Seit Jahren ringen Medien um mehr oder minder gute Erklärungsversuche, warum diese Partei in den Neuen Bundesländern so stark ist. Vielleicht sollte bei alledem einfach auch mal festgehalten werden: Fehlende Bushaltestellen, Feuerwehrleute und sonstige maue Infrastruktur sind keine Ausrede dafür, Rechtsextremisten zu wählen. Auch Furcht vor der Zukunft oder gar Angst könnte ihren Ausdruck an ganz anderer Stelle im Parteiensystem finden, ebenso die berühmt-berüchtigte Protestwahl, um den "Altparteien" mal ordentlich zu zeigen, wo der Hammer hängt. Will heißen: nichts, wirklich garnichts rechtfertigt ein Kreuz bei Neonazis. Außer einer rechtsextremen Einstellung. Das mal ganz unkonstruktiv.

Den Bogen zur positiven Wendung am Ende dieses Editorials schlägt dann doch noch das Bündnis "Stuttgart gegen rechts", das für den heutigen Mittwoch von 18 bis 19 Uhr auf den Rotebühlplatz ruft – zur Solidaritätskundgebung für alle zivilgesellschaftlichen Initiativen in Sachsen und Brandenburg, die sich für eine offene und bunte Gesellschaft einsetzen: "Trotz aller widrigen Bedingungen gibt es auch vor Ort mutige Menschen, die sich seit Jahren gegen rechts engagieren. Ihnen gilt unsere Solidarität. Wir wollen zeigen, dass sie nicht alleine sind."


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