Lügenpresse, postfaktisch, Fake-News – prima Klima im Land. Es gibt einfach keine Tatsachen mehr. Nur noch das Gefühl, dass es so sein könnte, wie man im besten oder schlimmsten Fall vermuten könnte. Das wird den Hartz IV-Empfänger zum Lottogewinner, die Schwäbische Tafel zu Feinkost Böhm und die Bildzeitung zum Zentralorgan der Wahrheit machen. Am erfolgreichsten könnte also sein, wer am besten lügen kann. Alles Pinocchio oder was?
Nein, die Verhältnisse sind nicht so. Beispiel gefällig? 1969 ist in Deutschland jedes 73. Kind in einem Sozialhilfehaushalt aufgewachsen, 1994 jedes elfte, und heute lebt jedes siebte Kind in diesem entwürdigenden Zustand. Da hilft kein Gefühlsgeschwätz, kein Verweis von Leuten wie Wolfgang Schäuble auf das "postfaktische Zeitalter", das alles denkbar erscheinen, und die Verantwortung dafür, was man angerichtet hat, abschieben lässt. Am besten an diejenigen, die faktisch darunter zu leiden haben. Da hilft nur die tatsächliche Tat.
Der Journalismus wird dadurch nicht einfacher. Im Gegenteil. Wenn die Lüge zum Stilmittel wird, zum akzeptierten Element der Diskussion, zum legitimen Bestandteil im Streit um die Wahrheit, dann gute Nacht. Wo sind dann die gerne zitierten Leitplanken, zwischen denen zu informieren und kommentieren ist? Passen da die Tweets von Trump und die Hass-Posts auf Facebook noch rein?
Da wird es auch nicht reichen, eine (scheinbar) selbstkritische Diskussion darüber zu führen, ob der Journalismus zu nahe an den Eliten ist, und zu weit entfernt vom Volk. Das zu tun, wie jüngst von der "Zeit" angestoßen, ist sicherlich nicht verkehrt, gerade angesichts der Lügenpresse-Debatte, die das Mediengewerbe nicht los wird. Aber auch hier gilt das geschriebene Wort, das mehr denn je auf seine Verlässlichkeit zu überprüfen ist. Der Zustand der Branche gibt hier keinen Anlass zu übertriebenen Hoffnungen, der richtige Hinweis auf herausragende Texte und Sendungen keinen Grund zur Entwarnung.
In Kontext versuchen wir die Spur zu halten. Seit mehr als fünf Jahren. Auch wir sind vor Falschem nicht gefeit, tun nicht immer das Richtige, aber wir fragen uns immer, was richtig ist und was falsch. So wir Antworten haben, gibt es dafür einen Adressaten: die demokratische Gesellschaft. Sie muss wissen, wer und was sie gefährdet, wer und was ihr gut tut, wer und was ihr faktisch hilft. Dazu braucht sie Informationen aus der Wirklichkeit. So unabhängig, kritisch und wahr wie möglich.
Unsere 300. Ausgabe soll ein Beleg dafür sein. In ihr sind die Geschichten versammelt, die wir im Jahr 2016 für die wichtigsten gehalten haben. Postfaktisch ist keine davon.
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Wolfgang Jaworek
am 28.12.2016