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Haushalt 2026/27 der Landeshauptstadt Stuttgart

Eine halbe Million für Selfies

Haushalt 2026/27 der Landeshauptstadt Stuttgart: Eine halbe Million für Selfies
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Der Stuttgarter Doppelhaushalt ist verabschiedet, die öko-soziale Mehrheit im Gemeinderat war keine. Die Grünen haben sich mit der CDU zusammengetan. War wohl einfacher.

Von wegen, auf der kommunalen Ebene gehe es vor allem um die Sache und nicht um die Parteizugehörigkeit. Das mag für Dörfer und manche Kleinstädte stimmen, in Stuttgart ist es nicht der Fall. Zu erleben war das vorigen Freitag bei der abschließenden Lesung des Doppelhaushalts 2026/27. Ausgekaspert hatte den Entwurf die Verwaltung zusammen mit den Grünen und der CDU bereits in den Monaten davor. Die zwei Fraktionen haben zwar mit je 14 Stimmen keine Mehrheit. Als derart bürgerliches Bündnis konnten sie aber darauf setzen, dass andere Bürgerliche mitmachen: in diesem Fall die Freien Wähler und Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) sowieso. So kam es dann auch. Der unter Sparzwang stehende Etat wurde vergangenen Freitag gegen 21 Uhr mit 35 von 61 Stimmen abgesegnet. Gegen die Stimmen von SPD/Volt, Linke-SÖS-Plus, FDP, AfD und Puls, die zusammen auf 26 Stimmen kamen.

Das reiche Stuttgart muss sparen

Jahrelang konnten die Stuttgarter Stadträte stetig mehr Geld ausgeben, weil die Steuereinnahmen anstiegen: 2012 lagen die Ausgaben bei 2,3 Milliarden Euro, 2025 bei fast 5 Milliarden Euro. In den nächsten beiden Jahren sollen die Ausgaben auf 4,7 beziehungsweise 4,8 Milliarden Euro sinken. Ein Viertel fließt ins Soziale, fast genauso hoch sind die Kosten für die städtischen Beschäftigten. Auch sie werden den Sparhaushalt spüren: Die übertarifliche Stuttgart-Zulage wird von 150 auf 70 Euro gekürzt, das Deutschlandticket nur noch mit 50 Prozent bezuschusst und eine Einstellungssperre bis September 2026 verhängt.

Grund für die schlechte Finanzlage: Zum einen müssen Kommunen vieles bezahlen, was Bund oder Land beschließen, zum Beispiel Ganztagsbetreuung, Wiedereingliederung, Unterkunft von Bürgergeldempfänger:innen – ohne dass entsprechende Mittel dafür fließen. Außerdem steigen die Kosten für Personal, Infrastruktur, Energie, Inflation. Zugleich bricht wegen der Krise in der Autobranche die wichtigste Einnahmequelle Gewerbesteuer ein: Von 1,6 Milliarden Euro im Rekordjahr 2023, auf voraussichtlich 750 Millionen in diesem Jahr, 700 Millionen in 2026, und dann geschätzten 800 Millionen 2027. Mit dem neuen Haushaltsplan hat der Gemeinderat einer Erhöhung des Hebesatzes der Gewerbesteuer um zehn Prozentpunkte zugestimmt – der Hebesatz liegt damit wieder auf dem Niveau des Jahres 2000.

Da die Stadt in den nächsten Jahren mit mehr Ausgaben als Einnahmen rechnet, fällt der Haushaltsplan im Ergebnis negativ aus. Um die geplanten Investitionen in Höhe von 1,2 Milliarden in den nächsten zwei Jahren tätigen zu können – etwa in eine Feuerwache in Bad Cannstatt oder die Sanierung von Schulen –, muss die seit 2018 schuldenfreie Stadt wieder Kredite aufnehmen: mehr als vier Milliarden Euro bis 2030. Damit der neue Doppelhaushalt genehmigungsfähig ist, hat der Gemeinderat zugestimmt, noch nicht gebundene Rücklagen in Höhe von 184,5 Millionen Euro aufzulösen. Die waren ursprünglich für den Neubau des Katharinenhospitals, für kulturelle Infrastruktur, Investitionszuschüsse an die SSB sowie für die Wohnraumoffensive geplant.

90 Prozent der Konsolidierungen wurden über Einsparungen geschaffen, zehn Prozent über höhere Einnahmen. So steigen die monatlichen Kitagebühren stufenweise bis 2031: 100 Euro mehr für unter Kinder unter drei Jahren, 50 Euro für Kinder ab drei. Einrichtungen der Jugendhilfe wie Suchtprävention, mobile Jugendarbeit, Jugendfarm, Schulsozialarbeit müssen in den kommenden zwei Jahren pauschal 15 Prozent sparen. Die Kultureinrichtungen erhalten sechs Prozent weniger, viele Festivals bekommen nur noch halb so viel Zuschüsse. (ks)

Der Riss geht also tief in diesem Gemeinderat. In der zwölfstündigen Abschlusssitzung ließ sich gut verfolgen, wie wenig sich noch bewegt, wenn die Haushaltskoalition aus CDU und Grüne sich einmal geeinigt hat. Auf der Vorlage standen 838 Punkte, aufgeteilt nach Referaten wie "Soziales, Gesundheit und Integration" oder "Städtebau, Wohnen und Umwelt". Vor jedem Themenblock durften die Fraktionen ein Statement halten. Die Möglichkeit nutzten vor allem Linke-SÖS-Plus und Puls; die Grünen vor allem, um zu erklären, dass es trotz der Sparmaßnahmen keinen Kahlschlag gebe. Die Freien Wähler hatten in Person ihrer Fraktionsvorsitzenden Rose von Stein zu Beginn der Sitzung klar gemacht, dass sie sich im Großen und Ganzen aus der Politik verabschieden. Da leider kein Geld da sei, sehe die Fraktion davon ab, "Liebkindanträge zu stellen", nur um nachher sagen zu können, man habe es ja versucht. Ihr einziger Kritikpunkt: Grüne und CDU hätten Herrschaftswissen gehabt durch die Zusammenarbeit mit der Verwaltung. Anschließend zog von Stein ihre grellgrüne, mit bunten Kugeln geschmückte Weihnachtsbaumjacke an und strickte.

Mehr Arbeit hatten sich die links von den Grünen stehenden Fraktionen gemacht. Sie beantragten halbe Stellen für ein Projekt hier oder eine Beratung dort. Vielleicht in der Hoffnung, doch noch eine Kleinigkeit am grün-schwarzen Entwurf ändern zu können – vergebens. Vor allem ging es in der finalen Lesung darum, der Öffentlichkeit klar zu machen, wo die Fraktionen politisch stehen. Verschiebungen aber gab es nicht mehr. Manchmal so Halbamüsantes. Zum Beispiel hatte die AfD (nachdem es bereits in vorherigen Lesungen abgelehnt worden war) beantragt, rund 30 Millionen Euro zu streichen, die für Klimaschutzmaßnahmen in Eigenbetrieben und dem Klinikum eingeplant sind. Denn, so der AfD-Fraktionsvorsitzende Michael Mayer: "Der Klimaschutz ist zum großen Teil Quatsch, Herr Rockenbauch." Der angesprochene Fraktionsvorsitzende von Linke-SÖS-Plus Hannes Rockenbauch wurde unruhig, meldete sich. OB Nopper flehend: "Bitte Herr Rockenbauch, jetzt keine klimapolitische Debatte!" Rockenbauch: "Ganz kurz. Das kann ich nicht stehen lassen." Er wendet sich Richtung Mayer: "Wer Wissenschaft als Ideologie abtut wie Sie, der ist hier wirklich fehl am Platz."

Marketing absurd

Interessanter war die Debatte zum Stuttgart-Sign, Kosten: 470.000 Euro. Die CDU will mit dem Geld mit LEDs ausgestattete Buchstaben in der Innenstadt aufstellen lassen, denn laut einer Berechnung von Fraktionschef Alexander Kotz habe das Teil einen "Marketingmehrwert von 200.000 Euro" und sei eines von vielen Mitteln für eine prosperierende Innenstadt, ein attraktives Ziel für Gäste aus dem In- und Ausland. Die Opposition versuchte, den kostspieligen Schriftzug mit vielen Argumenten abzuwenden: Besser wäre das Geld im Projekt "Stadt am Fluss" angelegt, das das Neckarufer freundlicher machen soll (Tillmann Bollow, Volt), man müsse aufpassen, dass die Stadt mit der Aktion nicht bei der Satiresendung Extra 3 landet (Rockenbauch), Schwarz-Grün stehe damit für eine "Tiktokisierung", außerdem wolle man keine Backnangisierung (Christoph Ozasek, Klimaliste). Das konnte Nopper, Ex-OB von Backnang im Rems-Murr-Kreis, seinerseits nicht stehen lassen. Breit grinsend erläuterte er, dass das Backnang-Sign keinerlei öffentliche Gelder gekostet habe. Am Ende wurde die teure Peinlichkeit mit 30 zu 27 Stimmen, bei 3 Enthaltungen beschlossen.

Es wäre schön gewesen, an dieser Stelle mal zu sehen, wie sich Sachpolitik durchsetzt. Denn nach ihren eigenen Maßstäben konnten die Grünen dem Sign eigentlich nicht zustimmen. Aber wer weiß, was sie im Gegenzug ausgehandelt haben? Vielleicht, dass die ursprünglich mal geplanten eine Million Euro für zwei Superblocks nicht komplett gestrichen werden. Nun gibt es immerhin noch 50.000 Euro dafür.

Bei Jugend und Armen wird gespart

Im Sozialen hatten Verwaltung, Grüne und CDU pauschale Kürzungen von 15 Prozent geplant. Daran änderten auch die engagierten Reden von SPD-Fraktionschefin Jasmin Meergans –  "hier wird bei den ärmsten Kindern in der Stadt gespart" – oder der Linken Manja Reinholdt – "die Folgekosten werden deutlich höher" – nichts. Die Liga der freien Wohlfahrtspflege hatte im Vorfeld gewarnt: Die Rasenmäherkürzungen würden zu weniger Schulsozialarbeit und Streetwork führen. Auf Beratungstermine müssten Kinder und Jugendliche mit Drogenproblemen, Essstörungen oder Depressionen noch länger warten, Beschäftigte müssten entlassen werden – kurz: Es wird soziale Infrastruktur zerstört. Die Wohlfahrtsverbände fordern, zunächst mal Bürokratie und Doppelstrukturen abzubauen, um Kosten zu sparen.

Im Gegensatz zu den Sozialverbänden können Kultureinrichtungen, die sowohl von Stadt als auch Land gefördert werden, sich zumindest über eine Meldung freuen: Kunstministerin Petra Olschowski (Grüne) erklärte am Tag der Haushaltslesung: "Auch dort, wo Kommunen aktuell kürzen, werden wir unsere Kofinanzierung nicht kurzfristig anpassen, sondern unseren Anteil stabil halten." In Stuttgart beträfe das 50 Einrichtungen, darunter das Staatstheater, das Lindenmuseum und das Hotel Silber.

Es wird nun interessant zu sehen, wie sich der Sparkurs ab kommender Woche in Stuttgart auswirkt. Setzt das Staatsschauspiel teure Inszenierungen ab? Schickt die Caritas Sozialarbeiter:innen nach Hause? Kampieren mehr Wohnungslose im Schlossgarten, weil die Wohnungshilfe arbeitsunfähig wird? Verlieren die Schwimmbäder Besucher:innen, weil der Eintritt für manche zu teuer geworden ist? Bleiben mehr Mütter daheim, weil sich durch die gestiegenen Kitagebühren das Arbeiten nicht mehr lohnt? Schließen freie Theater ihre Pforten? Und wann werden die Stuttgarter:innen spüren, dass nach Baumfällungen nicht automatisch neue Bäume gepflanzt werden, Hitze also noch heftiger wird? Dass die Klimaneutralität bis 2035 (hatte der Gemeinderat mal beschlossen) nicht geschafft sein wird – wer soll das schon sicher sagen, wer weiß schon, was in zehn Jahren ist? Und vorher gibt es doch genügend, worüber man sich freuen kann: zum Beispiel das Stuttgart-Sign. Und im Sommer 2027 sind in der Stadt die "Finals", eine Art Mini-Olympia, in die Stuttgart 5,3 Millionen Euro steckt.

Ob ein genehmigungsfähiger Haushalt tatsächlich diese Einsparungen im Sozialen und der Kultur benötigt hätte, darf bezweifelt werden. Es sind politische Entscheidungen, in eine neue Schleyer-Halle 45 Millionen Euro (in vier Jahren) stecken zu wollen oder eine Verpackungssteuer abzulehnen. Ja, ein Komplettpaket hätte wahrscheinlich deutlich schwierigere Verhandlungen bedeutet. Aber Politik ist nun mal kompliziert. Wer sich nach der Kommunalwahl 2024 gefreut hatten, dass es im Gemeinderat wieder eine öko-soziale Mehrheit gab, dürfte enttäuscht sein.

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