Im Merlin, so scheint's, ist die Zeit stehengeblieben. Im Büro der Chefin hängt ein Plakat von 1995, auf dem eine Veranstaltung beworben wird mit dem Titel "Total mobil". Dazu gibt es Vorträge über Carsharing und sanften Tourismus, über die Psychoanalyse des Autofahrens sowie die Frage "Auto statt Stadt?". Die Antwort ist klar: "Wie wir unter die Räder kamen". Der Referent damals hieß Michael Kienzle, früher grüner Stadtrat in Stuttgart, später Redenschreiber von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, ebenfalls Grüner.
Auf das Plakat ist Annette Loers stolz. Sie hätten es vorausgesehen, die Einmischer:innen vom Merlin, sagt sie, schon vor 29 Jahren. Sie könnte es auch heute an die Tür hängen. Die Padrona, Markenzeichen Wuschelkopf, weiß, wie ein soziokulturelles Zentrum tickt, sie bringt die passende Biografie mit: im schwarzen Emmerich (Niederrhein) 1970 geboren, Sozialarbeit studiert, Geschäftsführerin im Zentrum für Aktion, Kommunikation und Kultur (ZAKK) in Düsseldorf, Öffentlichkeitsarbeit für die Stuttgarter Merz-Akademie, Sachkundige Bürgerin für Kultur (nur kurz – zu viel Bourgoisie), Chefin im Merlin seit 2012.
Mehr als ein Schmunzeln entlockt ihr die Aufregung aus den Anfängen nicht. Eine Brutstätte "rotfaschistoider Subkultur" sei das Café, schimpfte ein CDU-Mann im Bezirksbeirat anno 1986, was er wahrscheinlich daran erkannte, dass die Merlin-Truppe kollektiv nach Mutlangen marschierte wegen der Pershing-II-Raketen. Jahre später, an ihren ersten beiden Arbeitstagen, verzeichnete sie einen Polizeieinsatz, eine Schlägerei und eine Kündigung. "Das ist mein Laden", sagt sie.
Heute wird verbal abgerüstet. Im Stuttgarter Westen wird ein Programm "abseits des Mainstreams" gemacht, mitgetragen von der städtischen Kulturpolitik, mitunterstützt von der Landeszentrale für politische Bildung. Das gilt für die Musik, die Literatur, die Theaterbühne, Filme und Festivals wie "Klinke", für all die schrägen Sachen, die in der Augustenstraße 72 passieren, bis hin zur barbusig lesenden Schauspielerin Antje Mönning, die dann in der "Stuttgarter Zeitung" verpixelt wird. Aber halt, da gibt es noch die Sendung mit der Maus, die immer wieder sonntags gemeinsam geguckt wird, im Rahmen eines Frühstücks zu familienfreundlichen Preisen und anschließender Lesung über Lösungen zu einer "wirklichen Gleichberechtigung".
Nur als Vorwarnung: Am Samstag, 24. Februar, bleibt das Café geschlossen. "Wir sind auf der Demo", kündigt das Merlin-Team an, "höchste Zeit, die rechte Welle zu brechen!"
So fügt sich das eine zum andern. Kontext kann mit Merlin und umgekehrt, weil die Basis eine gemeinsame ist. "Kontext ist für uns der perfekte Partner", betont Loers, "um aktuelle politische Themen auf die Bühne und zur Diskussion zu bringen". Nicht neutral, sondern mit klarer Kante gegen Diskriminierung und Ausgrenzung jeglicher Art, besonders gegen Rechtsextremismus und Demokratiefeindlichkeit. Soziokultur sei eben hochpolitisch, meint sie.
Mit Aras gegen rechts
Nun soll daraus eine dauerhafte Kooperation werden. Eine Gesprächsreihe unter dem Titel "Kontext im Merlin". Alle zwei Monate. Zum Reden miteinander. Mit interessanten Leuten und kritischen Zeitgenoss:innen über relevante Themen.
Die Überschrift "Wie gehen wir mit Rechtsradikalismus um?" steht am Anfang. Aus aktuellen Gründen. Die AfD, die Massendeportationen von Menschen mit Migrationsgeschichte im Sinn hat, kann in mehreren Bundesländern stärkste Kraft werden. Also was tun? Verbieten oder politisch inhaltlich bekämpfen?
1 Kommentar verfügbar
Dr. Jürgen Enseleit
am 15.02.2024Letztendlich geht es beim Thema nicht nur um die Mitglieder und Sympathisanten dieser Partei! In Deutschland gibt es noch sehr viel mehr…