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Kontext im Merlin

Wie gehen wir mit Rechtsradikalismus um?

Kontext im Merlin: Wie gehen wir mit Rechtsradikalismus um?
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Muhterem Aras ist der erste Gast in der neuen Gesprächsreihe "Kontext im Merlin". Die Landtagspräsidentin spricht am 26. Februar mit Moderator Stefan Siller über die AfD und die rechte Welle. Und das Kulturzentrum im Stuttgarter Westen freut sich über einen "perfekten Partner".

Im Merlin, so scheint's, ist die Zeit stehengeblieben. Im Büro der Chefin hängt ein Plakat von 1995, auf dem eine Veranstaltung beworben wird mit dem Titel "Total mobil". Dazu gibt es Vorträge über Carsharing und sanften Tourismus, über die Psychoanalyse des Autofahrens sowie die Frage "Auto statt Stadt?". Die Antwort ist klar: "Wie wir unter die Räder kamen". Der Referent damals hieß Michael Kienzle, früher grüner Stadtrat in Stuttgart, später Redenschreiber von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, ebenfalls Grüner.

Auf das Plakat ist Annette Loers stolz. Sie hätten es vorausgesehen, die Einmischer:innen vom Merlin, sagt sie, schon vor 29 Jahren. Sie könnte es auch heute an die Tür hängen. Die Padrona, Markenzeichen Wuschelkopf, weiß, wie ein soziokulturelles Zentrum tickt, sie bringt die passende Biografie mit: im schwarzen Emmerich (Niederrhein) 1970 geboren, Sozialarbeit studiert, Geschäftsführerin im Zentrum für Aktion, Kommunikation und Kultur (ZAKK) in Düsseldorf, Öffentlichkeitsarbeit für die Stuttgarter Merz-Akademie, Sachkundige Bürgerin für Kultur (nur kurz – zu viel Bourgoisie), Chefin im Merlin seit 2012.

Mehr als ein Schmunzeln entlockt ihr die Aufregung aus den Anfängen nicht. Eine Brutstätte "rotfaschistoider Subkultur" sei das Café, schimpfte ein CDU-Mann im Bezirksbeirat anno 1986, was er wahrscheinlich daran erkannte, dass die Merlin-Truppe kollektiv nach Mutlangen marschierte wegen der Pershing-II-Raketen. Jahre später, an ihren ersten beiden Arbeitstagen, verzeichnete sie einen Polizeieinsatz, eine Schlägerei und eine Kündigung. "Das ist mein Laden", sagt sie.

Heute wird verbal abgerüstet. Im Stuttgarter Westen wird ein Programm "abseits des Mainstreams" gemacht, mitgetragen von der städtischen Kulturpolitik, mitunterstützt von der Landeszentrale für politische Bildung. Das gilt für die Musik, die Literatur, die Theaterbühne, Filme und Festivals wie "Klinke", für all die schrägen Sachen, die in der Augustenstraße 72 passieren, bis hin zur barbusig lesenden Schauspielerin Antje Mönning, die dann in der "Stuttgarter Zeitung" verpixelt wird. Aber halt, da gibt es noch die Sendung mit der Maus, die immer wieder sonntags gemeinsam geguckt wird, im Rahmen eines Frühstücks zu familienfreundlichen Preisen und anschließender Lesung über Lösungen zu einer "wirklichen Gleichberechtigung".

Nur als Vorwarnung: Am Samstag, 24. Februar, bleibt das Café geschlossen. "Wir sind auf der Demo", kündigt das Merlin-Team an, "höchste Zeit, die rechte Welle zu brechen!"

So fügt sich das eine zum andern. Kontext kann mit Merlin und umgekehrt, weil die Basis eine gemeinsame ist. "Kontext ist für uns der perfekte Partner", betont Loers, "um aktuelle politische Themen auf die Bühne und zur Diskussion zu bringen". Nicht neutral, sondern mit klarer Kante gegen Diskriminierung und Ausgrenzung jeglicher Art, besonders gegen Rechtsextremismus und Demokratiefeindlichkeit. Soziokultur sei eben hochpolitisch, meint sie.

Mit Aras gegen rechts

Nun soll daraus eine dauerhafte Kooperation werden. Eine Gesprächsreihe unter dem Titel "Kontext im Merlin". Alle zwei Monate. Zum Reden miteinander. Mit interessanten Leuten und kritischen Zeitgenoss:innen über relevante Themen.

Die Überschrift "Wie gehen wir mit Rechtsradikalismus um?" steht am Anfang. Aus aktuellen Gründen. Die AfD, die Massendeportationen von Menschen mit Migrationsgeschichte im Sinn hat, kann in mehreren Bundesländern stärkste Kraft werden. Also was tun? Verbieten oder politisch inhaltlich bekämpfen?

Als erster Gast kommt am Montag, 26. Februar Landtagspräsidentin Muhterem Aras. Sie ist doppelt betroffen. Privat und politisch. Die 58-Jährige ist die Tochter alevitisch-kurdischer Eltern, Grüne, 1978 aus Ostanatolien nach Filderstadt zugewandert, ohne ein Wort Deutsch zu können – und sie ist heute das Feindbild auf der rechtsextremen Seite. Insbesondere bei der AfD. Sie sagt, allein ihre Anwesenheit im Landtag genüge, um bei Rassisten als ultimative Provokation bekämpft zu werden. Und das ist vor allem seit 2016 so, seitdem sie Präsidentin des Parlaments ist. Sie sagt, heute könne sie einen ganzen Abend mit Hassmails und Morddrohungen bestreiten.

Wie geht sie damit um? Darüber spricht Stefan Siller mit Muhterem Aras. Er ist der Mann für die richtigen Fragen, lange Jahre beim SWR ("Leute"), seit 2017 bei Kontext ("Siller fragt") und jetzt Moderator der Gesprächsreihe "Kontext im Merlin". Auf seinen neuen Job freut er sich sehr: a) weil ihm kein Hierarch dazwischenquatscht, b) weil Kontext ein unabhängiges und kritisches Medium ist.

Das Spannende bei Aras sieht er in der Doppelperspektive: Als Person mit Migrationshintergrund könnte sie vom "Remigrationsprogramm" betroffen sein, das Mitglieder der AfD in Potsdam diskutiert haben. Als Landtagspräsidentin hat sie aggressive und unflätige Abgeordnete dieser Partei vor sich, die sie teils nur mit polizeilicher Hilfe des Saales verweisen kann. Deren Grenzüberschreitungen nähmen zu, je stärker sie in den Umfragen werde, bilanziert Aras.


"Kontext im Merlin" am Montag, 26. Februar 2024: "Wie gehen wir mit Rechtsradikalismus um?", Gespräch mit Landtagspräsidentin Muhterem Aras. Merlin, Augustenstraße 72, Stuttgart-West. Einlass ab 18:30 Uhr, Beginn 19:30 Uhr. Der Eintritt ist frei, über eine kleine Spende vor Ort freuen wir uns.

Keine Reservierung mehr möglich, der Saal ist ausgebucht. Sie haben die Möglichkeit, die Veranstaltung im Café des Merlin per Liveübertragung zu verfolgen. Das Café hat ab 18 Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei. Die Veranstaltung wird aufgezeichnet und das Video ist später hier bei Kontext anzusehen.

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1 Kommentar verfügbar

  • Dr. Jürgen Enseleit
    am 15.02.2024
    Antworten
    Ist das unabhängiger Qualitätsjournalismus? Meine Antwort - NEIN! DIE AfD gibt es in dem Sinne genauso wenig, wie DIE Kirche, DIE Politiker, DIE Konzerne usw.!
    Letztendlich geht es beim Thema nicht nur um die Mitglieder und Sympathisanten dieser Partei! In Deutschland gibt es noch sehr viel mehr…
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